Apoll vom Belvedere (1489 aufgefunden); Rom, Vatikanische Museen (für die Großansicht einfach anklicken) |
Der italienische Künstlerbiograf Giorgio Vasari hatte 1568 die Werke Raffaels und Michelangelos zur höchsten Entwicklungsstufe der Kunst erklärt. Den Grund dafür sah er darin, dass der Apoll vom Belvedere und der Laokoon mit anderen Statuen jetzt erst ausgegraben und ans Licht getreten seien. Ihre Schönheit stand eben einem Giotto, Masaccio oder Mantegna noch nicht als Modell zur Verfügung.
Die Marmorstatue des Apoll wurde 1489 in Grottaferata auf einem Landgut an der Via Appia entdeckt, das dem Kardinal Giuliano della Rovere gehörte. Als der Kardinal zum Papst gewählt worden war (Julius II., 1503–1513), zog der sensationelle Fund 1511 in den Vatikan ein, und zwar in den dortigen Statuenhof (Cortile) des Belvedere. Der Sonnengott trägt Sandalen und einen Schultermantel, Chlamys genannt, von dessen Falten sich der glatte Körper wirkungsvoll abhebt. An dem Baumstumpf, der die Skulptur stützt, windet sich eine Schlange hoch: Sie verweist darauf, dass Apoll auch der Gott der Heilung ist. Durch die Stellung der Beine in „schwebendem Schritt“, der keine echte Belastung des Standbeines erkennen lässt, bleibt die Bewegung Apolls uneindeutig: „Schreitet der Gott eilend aus oder hält er eher in seinem Vorwärtsdränge inne: die Frage muß und soll wohl auch offen bleiben“ (Vetter 1995, S. 455).
Stich von Marcantonio Raimondi (um 1530) |
Stich von Hendrik Goltzius (1592) |
Von Anfang an beeindruckte und beeinflusste der Apoll vom Belvedere Maler und Bildhauer. Der Kupferstich Apollo und Diana von Jacopo de Barbari (1440–1516) ist um 1500 entstanden und gibt sein Vorbild deutlich zu erkennen.
Jacopo de Barbari: Apollo und Diana (um 1500); Kupferstich |
Albrecht Dürer: Adam und Eva (1504); Kupferstich |
Das idealschöne Haupt des heidnischen Gottes ... |
... dient Michelangelo als Vorbild für den Weltenrichter im Jüngsten Gericht der Sixtinischen Kapelle |
Baccio Bandinelli: Orpheus (um 1518-1520); Florenz, Palazzo Medici-Riccardi |
Antonio Canova: Apoll krönt sich selbst (1781/82); Los Angeles, J. Paul Getty Museum |
Antonio Canova (1800/01): Perseus; Rom, Vatikanische Museen |
Bertel Thorvaldsen: Jason (1828 vollendet); Kopenhagen, Thorvaldsens Museum |
Jean-Marie Bonnassieux: David (1877), Troyes, Musée Saint-Loup |
1. Beschreibung von Johann Joachim Winckelmann
Die Statue des Apollo ist das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Altertums, welche der Zerstörung derselben entgangen sind. Der Künstler hat dieses Werk gänzlich auf das Ideal gebaut, und er hat nur ebenso viel von der Materie dazu genommen, als nötig war, seine Absicht auszuführen und sichtbar zu machen. Dieser Apollo übertrifft alle andern Bilder desselben so weit, als der Apollo des Homerus den, welchen die folgenden Dichter schildern.
Über die Menschheit erhaben ist seine Gestalt, und seine Stellung zeugt von der ihn erfüllenden Größe. Ein ewiger Frühling, wie in dem glücklichen Elysium, bekleidet die reizende Männlichkeit vollkommener Jahre mit gefälliger Jugend und spielt mit sanften Zärtlichkeiten auf dem stolzen Gebäu seiner Glieder. Gehe mit deinem Geiste in das Reich unkörperlicher Schönheiten und versuche ein Schöpfer einer himmlischen Natur zu werden, um den Geist mit Schönheiten, die sich über die Natur erheben, zu erfüllen: denn hier ist nichts Sterbliches, noch was die menschliche Dürftigkeit erfordert. Keine Adern noch Sehnen erhitzen und erregen diesen Körper, sondern ein himmlischer Geist, der sich wie ein sanfter Strom ergossen, hat gleichsam die ganze Umschreibung dieser Figur erfüllt.
Er hat den Python, gegen den er zuerst seinen Bogen gebrauchte, verfolgt, und sein mächtiger Schritt hat ihn erreicht und erlegt. Von der Höhe seiner Genügsamkeit geht sein erhabener Blick, wie ins Unendliche, weit über seinen Sieg hinaus: Verachtung thront auf seinen Lippen, und der Unmut, welchen er in sich zieht, bläht sich in den Nüstern seiner Nase und tritt bis in die stolze Stirn hinauf. Aber der Friede, welcher in einer seligen Stille auf derselben schwebt, bleibt ungestört, und sein Auge ist voll Süßigkeit, wie unter den Musen, die ihn zu umarmen suchen. In allen uns übrigen Bildern des Vaters der Götter, welche die Kunst verehrt, nähert er sich nicht der Größe, in der er sich dem Verstande des göttlichen Dichters offenbarte, wie hier in dem Gesichte des Sohnes, und die einzelnen Schönheiten der übrigen Götter treten hier wie bei der Pandora in Gemeinschaft zusammen.
Eine Stirn des Jupiter, die mit der Göttin der Weisheit schwanger ist, und Augenbrauen, die durch ihr Winken ihren Willen erklären: Augen der Königin der Göttinnen groß gewölbt und ein Mund, der dem geliebten Branchus die Wollüste eingeflößt. Sein weiches Haar spielt, wie die zarten und flüssigen Schlingen edler Weinreben, gleichsam von einer sanften Luft bewegt, um dieses göttliche Haupt: es scheint gesalbt mit dem Öl der Götter und von den Grazien mit holder Pracht auf seinem Scheitel gebunden.
Ich vergesse alles andere über dem Anblicke dieses Wunderwerkes der Kunst, und ich nehme selbst einen erhabenen Stand an, um mit Würde anzuschauen. Mit Verehrung scheint sich meine Brust zu erweitern und zu heben wie diejenige, die ich wie vom Geiste der Weissagung aufgeschwellt sehe, und ich fühle mich weggerückt nach Delos und in die lycischen Haine, Orte, die Apollo mit seiner Gegenwart beehrte: denn mein Bild scheint Leben und Bewegung zu bekommen, wie des Pygmalion Schönheit. Wie ist es möglich, es zu malen und zu beschreiben. Die Kunst selbst müßte mir raten und die Hand leiten, die ersten Züge, welche ich hier entworfen habe, künftig auszuführen. Ich lege den Begriff, welchen ich von diesem Bilde gegeben habe, zu dessen Füßen, wie die Kränze derjenigen, die das Haupt der Gottheiten, welche sie krönen wollten, nicht erreichen konnten.
(aus: Geschichte der Kunst des Altertums, 1764)
2. Beschreibung von Wilhelm Heinse
So wie dieser Jüngling [gemeint ist die Statue des Antinous, ebenfalls im Cortile del Belvedere aufgestellt] am mehrsten an die Menschheit grenzt, so ist hingegen Apollo ganz Gott, und es herrscht eine Erhabenheit durchaus, besonders aber im Kopfe, die niederblitzt; göttliche Schönheit in allem von dem nachlässig sanft gewundnen Haare bis zu den schlanken behenden Schenkeln und Beinen, ihre geistige Blüte, nicht die irdische Fülle. Stand und Blick, und Lippen voll Verachtung geben seine Hoheit zu erkennen. Die Augen sind selig, leicht aufzutun und zu schließen, in weiten Bogen. Sein kurzer schlank und zart geformter Oberleib zu den langen Beinen macht ihn zu einer ganz besondern Art von Wesen und gibt ihm Übermenschliches.
Ein erstaunliches Werk von Erfindung und Phantasie! Das Problem ist aufgelöst: da steht ein Gott, aus der Unsichtbarkeit hergeholt und in weichem Marmor festgehalten für die Melancholischen, die ihr Leben lang nach einem solchen Blicke schmachteten. Es ist der höchste Verstand und die höchste Klugheit mit Zornfeuer und Übermacht gegen Verächtliches; darauf zweckt alle Bildung. Was Apollo hat, ist ihm eigen und läßt sich wenig durch Nachahmen übertragen.
Auch dessen Altertum hat man angetastet und ihn zwar für keine Kopie, doch für ein Werk aus der Kaiser Zeiten halten wollen; weil der Marmor karrarischer zu sein schien, welcher kurz vor dem Plinius entdeckt wurde, und kein parischer, woraus die Griechen ihre mehrsten Bildsäulen verfertigten.
Wenn man dieses beweisen könnte, so wär es wohl ausgemacht wahr; allein daran fehlt viel. Der parische ist nicht durchaus gleich, und man hat sichre neuere Proben kommen lassen, die von dem Marmor des Apollo im Korn nicht unterschieden sind. Und ferner gibt es so zarten karrarischen, daß er mit dem besten parischen übereinkömmt. Und wo ist der übergroße Marmorkenner, der von irgendeinem Stücke sagen will, gerade woher es sei, da dieser Stein in jedem Klima zu finden ist? Apollo hat nicht das gelbliche Alter des Laokoon und andrer griechischen Bildsäulen; vielleicht weil er nicht der Witterung so ausgesetzt war. Er ist augenscheinlich für einen bestimmten Platz gemacht, und das Bild tut nur Wirkung, wenn man es von der linken Seite im gehörigen Standpunkt betrachtet; von der rechten steht er da gerade wie ein Seiltänzer, so gespannt, und sein Kopf sitzt offenbar auf der rechten Schulter, viel zu weit von der Mitte. Wenn man denselben von seiner Richtung zurechtdrehte, so wär es abscheulich. Aber von der linken Seite betrachtet, wohin er schaut, ist es homerischer Apollogang; man sieht ihn fortschreiten, sieht das Gesicht ganz, und der Kopf kömmt in die Mitte. Ein wahrer Gott des Lichts dann und der Musen! Man darf sich ihm nicht viel nähern; er kann keinen Flecken leiden, und man müßte bei ihm immer haarscharf gescheit sein und vernünftig sich aufführen: so erhaben ist er über die Menschheit.
Wenn man dies einmal gefaßt und seine Schönheit im ganzen genossen hat, so mag man sich hernach doch an ihm herumdrehen, wie man will, und er bleibt ein erstaunlich Werk von Vollkommenheit. Er ist zwar lauter Ideal, nichtsdestoweniger hat der Kopf Natur, die man gesehen hat, welches der Ausdruck noch verstärkt. Ein außerordentlicher Jüngling gab gewiß den Stoff dazu her, und der Künstler brachte das Höchste und Äußerste von lebendiger Einheit hinein.
Einige stolze Erdensöhne können dies bewunderte und schier noch angebetete Bild nicht ohne Verdruß und Widerwillen betrachten; und behaupten: ihr Gefühl empöre sich allezeit, sooft sie sich das Gesicht als griechisch denken wollten. Der Kopf des Perikles und auch des Alexander habe schon im bloßen Porträt viel göttlichre Art von Erhabenheit; Apollo sei dagegen eher hager und ärgerlich im ganzen, und es wittre daraus etwas von einem römischen Kaiserprinzen, etwas Neronisches, das nicht auf eigner natürlicher Kraft beruhte; und dies wäre für sie ein andrer Beweis als der von Marmor.
So verschieden sind die Meinungen der Menschen!
Gegen solche Atheisten will ich nicht predigen; ihr eigen Mißvergnügen sei ihnen Strafe, und der Neid an andrer Freude.
Gewiß ist, daß das Bild verliert, weil es kein vollkommen Ganzes ausmacht und man nicht weiß, worüber der Gott zürnt. Hätt er zu einer Gruppe der Niobe gehört, wie er denn in einer erhobnen Arbeit davon in Person auf der einen Seite und seine Schwester Diana auf der andern ihre Pfeile abdrücken, so würden die Unzufriednen mit ihm desto mehr Mitleiden mit der unglücklichen reizenden Familie haben. Doch ist eher wahrscheinlich, daß dem Meister der Apollo des Leontinischen Pythagoras vorschwebte, welcher den Pythischen Drachen erlegte. Und beiden war ohne Zweifel der Homerische, von den Gipfeln des Olymp herunter, das Urbild.
(aus: Ardinghello und die glücklichen Inseln, 1787)
Literaturhinweise
Himmelmann, Nikolaus: Apoll vom Belvedere. In: Matthias Winner u. a. (Hrsg.), Il Cortile delle Statue. Der Statuenhof des Belvedere im Vatikan. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1998, S. 211-225;
Hintzen-Bohlen, Brigitte: Zum Apollon vom Belvedere. »Delphisches« in Pergamon? In: Bazon Brock/Achim Preiß (Hrsg.), Ikonographia. Anleitung zum Lesen von Bildern. Kilinkhardt & Biermann Verlagsbuchhandlung, München 1990, S. 11-26;
Ovid: Metamorphosen. In der Übertragung von Johann Heinrich Voß. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1990, S. 27;
Roettgen, Steffi: Begegnungen mit Apollo. Zur Rezeptionsgeschichte des Apollo vom Belvedere im 18. Jahrhundert. In: In: Matthias Winner u.a. (Hrsg.), Il Cortile delle Statue. Der Statuenhof des Belvedere im Vatikan. Verlag Philip von Zabern, Mainz 1998, S. 253-274;
Vetter, Andreas W.: Zeichen göttlichen Wesens. Überlegungen zum Apollon vom Belvedere. In: Archäologischer Anzeiger 1995, S. 451-456;
Winner, Matthias: Zum Apoll vom Belvedere. In: Jahrbuch der Berliner Museen 10 (1968), S. 181-199;
Winner, Matthias: Paragone mit dem Belvederischen Apoll. Kleine Wirkungsgeschichte der Statue von Antico bis Canova. In: Matthias Winner u.a. (Hrsg.), Il Cortile delle Statue. Der Statuenhof des Belvedere im Vatikan. Verlag Philip von Zabern, Mainz 1998, S. 227-252.
(zuletzt bearbeitet am 19. Juli 2024)
Grandiös, Norbert. Danke für den Post...
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AntwortenLöschenDanke für all die wunderbaren Blogbeiträge! Als Nürnbergerin muss ich aber anmerken, dass Dürer 1528 gestorben ist (und nicht wie oben steht 1521).
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