Rembrandt: Darbringung im Tempel (1627/28); Hamburg, Kunsthalle |
Die Darbringung
im Tempel von 1627/28 gehört zu Rembrandts frühen Meisterwerken, die in seiner
Leidener Zeit (1625–1630) entstanden sind, bevor er 1631 nach Amsterdam
übersiedelte. Dargestellt ist eine im Lukas-Evangelium geschilderte
Begebenheit: Josef und Maria bringen ihren Erstgeborenen nach Jerusalem, um ihn
– dem jüdischen Gesetz folgend – Gott zu präsentieren und durch eine Opfergabe
auszulösen (Lukas 2,22-39). Hier begegnen sie dem alten, gottesfürchtigen
Simeon, dem vorhergesagt worden war, er werde erst sterben, wenn er den Messias
gesehen habe. Simeon erkennt in dem Kind den Erlöser, nimmt ihn in seine Arme,
spricht ein Dankgebet zu Gott und segnet die Eltern. Auch die hochbetagte
Prophetin Hanna preist Gott beim Anblick des Messias.
Rembrandt verdichtet die Erzählung in seinem
Bild und fasst zusammen, was eigentlich nacheinander geschieht: Simeon richtet
seine prophetischen Worte an die Eltern, während gleichzeitig Hanna angesichts
des Neugeborenen Gott zu preisen beginnt. Das alles ereignet sich jedoch nicht,
wie bislang in der Bildtradition üblich, vor dem Hochaltar, sondern in einem
eher abgelegenen Winkel der Synagoge. Außer den fünf ausdrücklich im Bibeltext
genannten Personen ist niemand anwesend. Simeon und das Elternpaar knien sich
gegenüber, der Greis hält das Kind im Arm, und mit begütigender Geste richtet
er seine Worte an die erschrockene, überwältigte Maria. Von hinten ist Hanna
herangetreten, um mit erhobenen Händen die Heilsbotschaft Simeons zu
bekräftigen. Josef ist als dunkle Repoussoirfigur im verlorenen Profil
dargestellt; er hat die beiden Opfertauben auf dem Boden abgesetzt (sie sind heute nicht mehr zu erkennen), um seine
Hände unter dem abgenommenen Hut zum Gebet zu falten. Die Stimmung des Bildes
ist daher zum einen geprägt von einer andächtigen, intimen Frömmigkeit, zum
anderen durch die extrovertierte Pathosgeste Hannas.
Theologisch interessant ist die „Eliminierung
von Priester, Altar und Ritus“ (Keller 1979, S. 97) auf Rembrandts Gemälde. Kunsthistoriker
sehen darin eine Stellungnahme des Künstlers: gegen die Amtskirche bzw. eine
von Priestern abhängige Gnadenvermittlung und für eine unmittelbare
Gottesbegegnung, die sich auf den wörtlichen Bibeltext berufen kann.
Marcantonio Raimondi: Die Jungfrau an der Wiege; Kupferstich nach Raffael |
Für die Figur der Hanna, die mit ihren erhobenen
Armen dargestellt wird, hat sich Rembrandt möglicherweise an einen Kupferstich
von Marcantonio Raimondi (1480–1534) angelehnt. Martin Warnke hat allerdings darauf
hingewiesen, dass ihre Gestik auch von Orantenfiguren auf altchristlichen
Mosaiken übernommen sein könnte. Wie dort die Gestalten oft vor einem Goldgrund stehen, sei Hanna auf Rembrandts
Gemälde vor hellgelbes Licht gestellt. Rembrandt aktiviere damit eine alte Formel,
um den „urchristlichen Geist gegen eine in dogmatische Zwiste verstrickte
Kirche in Erinnerung zu bringen“ (Warnke 1986, S. 40).
Hl. Apollinaris (6. Jh.); Mosaik aus S. Apollinare in Classe bei Ravenna |
Das blendend hell von links oben in den dunklen Tempelraum
einfallende Licht ist sicherlich ein Effekt, der auf die Utrechter Caravaggisten wie Gerrit van Honthorst oder Dirck van Baburen zurückgeht. Aber Rembrandts
Lichtregie hat auch inhaltliche Bedeutung: So spricht Simeon in seinem Lobpreis
an Gott davon, der neugeborene Heiland sei „ein Licht, zu erleuchten die Heiden“
(Lukas 2,23; LUT). Allerdings ist nicht das Jesuskind selbst die die Lichtquelle; es
bricht deutlich als Naturlicht von einem Fenster ein, dessen Gitter als
Schatten auf die gekalkte Wand fallen. Dabei erleuchtet es den Raum so heftig,
„daß die Lichtzone um das Christuskind mit dem zart flackernden Heiligenschein
eher als sekundäres Reflexlicht wirkt“ (Warnke 1986, S. 41). Von der wuchtigen
Säulentrommel ragt eine Halterung nach rechts in den dunklen Innenraum: Die
einsame Kerze darauf ist erloschen und könnte den Alten Bund symbolisieren, der
mit der Geburt Jesu ihr Ende findet. Die Zeit des Gesetzes ist von der Zeit der
Gnade und des Glaubens abgelöst worden.
In den besonders hellen Partien des Bildes – wie dem Christuskind, der Kleidung von Simeon sowie der vom Sonnenlicht beschienenen Teile der Mauer und der Säule im Hintergrund – finden sich die dicksten Farbschichten, während in den verschatteten Bereichen die Farbe viel dünner und gleichmäßiger aufgetragen wurde. In der hell aufleuchtenden Wand deuten Variationen von Braun, Gelb und Grau Feuchtigkeitsflecken und andere Unregelmäßigkeiten an – Rembrandt gelingt es auf diese Weise, den optischen Effekt einer verputzten Mauer zu erzeugen.
Rembrandts Darbringung im Tempel weist große kompositorische Übereinstimmungen mit seinem etwa zeitgleich entstandenen Paulus im Gefängnis auf (1627): Auch hier fällt das Licht von links durch ein nicht gezeigtes Sprossenfenster auf eine Wandzone mit wuchtiger Säule, vor der sich der Apostel markant abhebt. Der Bildteil rechts von ihm mit einer Holztür bleibt ebenfalls im Schatten. Rembrandts Gemälde Petrus und Paulus im Gespräch von 1628 zeigt vorne links eine Figur, die in vergleichbarer Weise wie Josef in der Darbringung im Tempel als Repoussoir fungiert, allerdings wesentlich schärfer konturiert. Die kniende Gestalt des Josef ist außerdem eng mit einer Hieronymus-Radierung verwandt, die im gleichen Zeitraum wie das Hamburger Gemälde entstanden sein dürfte.
In den besonders hellen Partien des Bildes – wie dem Christuskind, der Kleidung von Simeon sowie der vom Sonnenlicht beschienenen Teile der Mauer und der Säule im Hintergrund – finden sich die dicksten Farbschichten, während in den verschatteten Bereichen die Farbe viel dünner und gleichmäßiger aufgetragen wurde. In der hell aufleuchtenden Wand deuten Variationen von Braun, Gelb und Grau Feuchtigkeitsflecken und andere Unregelmäßigkeiten an – Rembrandt gelingt es auf diese Weise, den optischen Effekt einer verputzten Mauer zu erzeugen.
Rembrandt: Paulus im Gefängnis (1627); Stuttgart, Staatsgalerie |
Rembrandt: Petrus und Paulus im Gespräch (1628); Melbourne, The National Gallery of Victoria |
Rembrandt: Simeons Lobpreis im Tempel (1631); Den Haag, Mauritshuus (für die Großansicht einfach anklicken) |
Rembrandt: Der kniende Hieronymus im Gebet (um 1627/28); Radierung |
Rembrandt: Lobpreis Simeons (1630); Radierung (für die Großansicht einfach anklicken) |
Rembrandt: Darbringung im Tempel (um 1640/412); Radierung |
Rembrandt: Darbringung im Tempel (um 1657/58), Radierung |
Glossar
Repoussoirfiguren sind Gestalten im Vordergrund eines Gemäldes, die die Funktion haben, den Blick des Betrachters in die Tiefe zu ziehen. Sie werden deswegen häufig von hinten dargestellt.
Das verlorene Profil ist eine Ansicht von hinten, bei der nur noch die Konturen der Wangenknochen zu sehen sind; das Gesicht dreht sich in die Bildtiefe hinein.
Der Orantengestus ist eine Körperhaltung beim Gebet: Der Beter steht dabei mit in Schulterhöhe ausgebreiteten Armen, den Kopf entweder gesenkt oder zum Himmel erhoben.
Literaturhinweise
Gemäldegalerie Staatliche Museen zu Berlin (Hrsg.):
Rembrandt – Genie auf der Suche. DuMont Verlag, Köln 2006, S. 246;
Keller, Ulrich: Knechtschaft und Freiheit. Ein
neutestamentliches Thema bei Rembrandt. In: Jahrbuch der Hamburger
Kunstsammlungen 24 (1979), S. 77-112;
Ketelsen, Thomas (Hrsg.): Rembrandt, oder nicht? Hamburger Kunsthalle. Die Gemälde. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit 2000, S. 25-28 und 42;
Ketelsen, Thomas (Hrsg.): Rembrandt, oder nicht? Hamburger Kunsthalle. Die Gemälde. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit 2000, S. 25-28 und 42;
Pächt, Otto: Rembrandt. Prestel-Verlag, München 2005, S. 38-40 und 138-140;
van den Boogert, Bob: Rembrandt Harmensz.
van Rijn – Simeon im Tempel, um 1627/28. In: Ernst
van de Wetering/Bernhard Schnackenburg (Hrsg.), Der junge Rembrandt. Rätsel um
seine Anfänge. Edition Minerva, Wolfratshausen 2001, S. 214-217;Warnke, Martin: Zur Herkunft und zur Deutung der »Lobpreisung
Simeons« von Rembrandt in der Kunsthalle. In: IDEA. Jahrbuch der Hamburger
Kunsthalle V (1986), S. 33-45;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 20. Oktober 2024)
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 20. Oktober 2024)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen