Montag, 14. Juli 2025

Lucas van Leyden: Hl. Hieronymus (1521)

Lucas van Leyden: HL. Hieronymus (1521); Oxford, Ashmolean Museum

Alte Bilderwelt

 

Die Heiligen mit ihren Bärten,

ihr Höhlenfrieden

mit Löwen und Folianten,

die entrückten Frauen

in härenen Gewändern,

die Kupferstich-

Beweise,

daß es ein reineres

Leben gibt:

 

Wange an Wange

mit einem Totenkopf.

 

Rainer Malkowski

(aus: Rainer Malkowski, Das Meer steht auf. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main1989)



Sonntag, 13. Juli 2025

Alberto Giacometti: Le Chat

Alberto Giacometti: Le Chat (1951)

Tierplastik

(nach A. Giacometti)

 

Hals, Rücken, Schwanz:

ein Strich –

die zielstrebige

Katze.

 

Rainer Malkowski

(aus: Rainer Malkowski, Das Meer steht auf. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main1989)


Eduardo Chillida: Peine del Viento (1977)

Eduardo Chillida: Peine del Viento (1977; San Sebastián

 

Skulptur am Atlantik

                                            für Eduardo Chillida

Steht einfach da

und zeigt auf nichts.

Ungebeten

leistet sie dem Meer

Gesellschaft.

Versucht hartnäckig, den umgebenden Raum

ins Gespräch zu ziehn.

Über die Wollen vielleicht,

was weiß ich,

über eine hinter dem Horizont

verborgene Gegenwart.

Über die Luft,

aus der wir den Atem nehmen

für Arbeit, Traum

und einsame Spiele.

 

Rainer Malkowski

(aus Rainer Malkowski: Hunger und Durst. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997)


Donnerstag, 10. Juli 2025

Auguste Rodin: Schreitender Mann

Auguste Rodin: Schreitender Mann (1900)

          Gehender,

Notiz zu einem Torso

 

Ja schreite nur, schreite

über dich selber fort;

Bronze, unverrückbar

am zufälligen Ort.

 

Rainer Malkowski

(aus Rainer Malkowski: Vom Rätsel ein Stück. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1980)


Dienstag, 27. Mai 2025

Georg Trakl: Im Winter (1910)

 

Pieter Bruegel d.Ä.: Heimkehr der Jäger (1565); Wien, Kunsthistorisches Museum


Im Winter

 

Der Acker leuchtet weiß und kalt.

Der Himmel ist einsam und ungeheuer.

Dohlen kreisen über dem Weiher

Und Jäger steigen nieder vom Wald.

 

Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt.

Ein Feuerschein huscht aus den Hütten.

Bisweilen schellt sehr fern ein Schlitten

Und langsam steigt der graue Mond.

 

Ein Wild verblutet sanft am Rain

Und Raben plätschern in blutigen Gossen.

Das Rohr bebt gelb und aufgeschossen.

Frost, Rauch, ein Schritt im leeren Hain.

 

Georg Trakl

Samstag, 24. Mai 2025

Harmonie von Farbe und Licht – „Die Mutter“ von Pieter de Hooch

Pieter de Hooch: Die Mutter (um 1662); Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken)

Eine Frau sitzt neben einer Korbwiege und hat wohl soeben ihr Kind gestillt, das wir allerdings nicht sehen. Aus heutiger Sicht setzen wir voraus, dass es sich um die Mutter handelt, aber das Bild ist um 1662 entstanden, und im 17. Jahrhundert war es nicht selbstverständlich, dass eine Mutter ihren Säugling selbst stillt, vor allem nicht in den höheren Gesellschaftsschichten. Das blieb häufig einer Amme überlassen. Auf unserem Bild von Pieter de Hooch (1629–1684), einem holländischen Genremaler, trägt die Mutter eine elegante schwarze Jacke mit Pelzbesatz und darunter ein rotweißes Schnürmieder. Die Wiege steht vor einem Alkoven, der von einem gestreiften Vorhang zur Hälfte verdeckt wird, daneben hängt ein glänzender Bettwärmer aus Messing und an der Seite an einem Garderobenhaken ein roter Mantel. Die Mutter beginnt, sich das zum Stillen geöffnete Mieder wieder zu schnüren, hält aber kurz inne, wendet sich nochmals ihrem Baby zu und nimmt liebevoll lächelnd Blickkontakt zu ihm auf; ihre ausgestreckte rechte Hand, in der sie die Miederschnur hält, unterstreicht ihre Blickrichtung.

Eine Tür auf der rechten Seite der Wohnung führt in ein von warmem Licht erhelltes Foyer oder vorhuis: Hier steht ein kleines Mädchen, im verlorenen Profil gezeigt, nahe der offenen Halbtür und blickt nach draußen ins Freie. Der untere Teil des hoch angesetzten Fensters am rechten Bildrand ist mit hölzernen Läden verschlossen; durch die obere Hälfte fällt mildes Tageslicht, das sich diagonal über die Szene ausbreitet. Unter dem Fenster steht an die Wand gerückt ein kleiner Tisch mit Kerzenleuchter und Keramikkrug; ein Hündchen verharrt dicht neben der Mutter auf dem gekachelten Fußboden, auf dem sich nicht nur das – virtuos gemalte – von der Haustür hereinströmende Licht, sondern auch die Hinterläufe des Tieres spiegeln.

Der ausgestreckte Arm der Mutter lenkt unseren Blick hin zum Säuling – den wir nicht sehen

Der vom halbdunklen Zimmer vorn abgesetzte lichterfüllte Flur dahinter verleiht den beiden Interieurteilen eindrucksvoll Raumtiefe. Perspektivisch äußerst genau hat de Hooch das Fliesenmuster wie auch die Zimmerdurchblicke konstruiert – sie wurden nachgerade zu einem Markenzeichen des Künstlers. De Hoochs Darstellungen des häuslichen Lebens sind stets von der Architektur des Innenraumes her erdacht und gestaltet. Mit malerischer Sorgfalt sind auf dem Berliner Bild auch die Farbakzente gesetzt: Das kostbare Funkeln des Messings von Wärmepfanne und Kerzenleuchter wie auch das intensive Rot von Wiegendecke, Mieder und Mantel leiten das Auge in sorgsam kalkulierter Abfolge hin zum sonnigen Licht des Vorraums. „Erst aus der Harmonie von Farbe und Licht entsteht jene anheimelnde Sphäre, die der dargestellten Situation angemessen ist“ (Kelch 1998, S. 274).

Die Schwelle, hinter der die Zukunft wartet
Die Mutter wird von de Hooch nicht nur als fürsorglich und liebevoll zugewandt charakterisiert – sie ist offensichtlich auch eine mustergültige Hausfrau, wie der glänzende Fußboden und die auffallende Ordnung des Raumes belegen. De Hooch schreibt in sein Bild auch den kindlichen Entwicklungsprozess mit ein: vom bedürftigen, noch ganz auf die Mutter angewiesenen Säugling hin zum Kleinkind, mit immer größerer Bewusstwerdung seiner selbst und der Außenwelt, für die das einfallende Sonnenlicht steht. Das junge Mädchen geht auf die Schwelle zu, hinter der seine Zukunft wartet: sich allmählich ablösen von der Mutter (von der sie sich ja schon behutsam abgewendet hat), hinaustreten, um das Draußen zu entdecken, und zunehmend eigenständiger werden als erwachsene Frau.

Pieter de Hooch: Das Schlafzimmer (1669); Washington D.C., National Gallery of Art
Pieter de Hooch: Junge Mutter und Dienerin (1664); Wien, Kunsthistorisches Museum
Nicolaes Maes: Der unartige Trommler (um 1655); Madrid, Museo Thyssen-Bornemisza

Das Berliner Gemälde zeigt eine der schönsten und einfühlsamsten häuslichen Szenen, die de Hooch geschaffen hat, und es ist zugleich ganz und gar charakteristisch für seine Werke der 1660er Jahre, wie etwa Das Schlafzimmer aus Washington D.C. oder Junge Mutter und Dienerin in Wien. Es galt früher als ein Werk von Nicolaes Maes (1634–1693), dessen Frühwerk de Hoochs häusliche Szenen wahrscheinlich beeinflusst hat; als Beispiel sei hier Der unartige Trommler aus Madrid genannt (um 1655).

 

Literaturhinweise

Gemäldegalerie Berlin (Hrsg.): Von Frans Hals bis Vermeer Meisterwerke holländischer Genremalerei. Weidenfeld Kunstbuch GmbH, Berlin 1984, S. 196-198;

Giltaij, Jeroen (Hrsg.): Der Zauber des Alltäglichen. Holländische Malerei von Adriaen Brouwer bis Johannes Vermeer. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit 2005, S. 237-239;

Kelch, Jan: Pieter de Hooch, Die Mutter (um 1661/1663). In: Gemäldegalerie Berlin. 200 Meisterwerke. Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann, Berlin 1998, S. 274.