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Albrecht Dürer: Vier Apostel (1526); München, Alte Pinakothek
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Albrecht Dürers Vier Apostel sind auf zwei hochformatigen, überlebensgroßen Tafeln
dargestellt (jeweils 214 x 74 cm). Die beiden Gemälde sind annähernd
symmetrisch aufgebaut: Sie zeigen jeweils einen Apostel beherrschend im Vordergrund
und einen weiteren zur Bildmitte hin im Hintergrund, jeweils in einem Winkel
von 90 Grad zueinander gedreht. Links außen und nach rechts gewendet erkennt
man den jungen Evangelisten Johannes, hochgewachsen und bartlos, in einem straff
um den rechten Arm gewickelten, sich bauschenden roten Mantel über grünem
Gewand. Mantel und Körper werden vom linken Bildrand knapp überschnitten. „Das
amputiert die Gestalt aber nicht, stärkt und stützt vielmehr ihren Vertikalzug“
(Rebel 1996, S. 428). Gemeinsam mit dem neben ihm stehenden Petrus liest der Lieblingsjünger
Jesu in einem aufgeschlagenen Buch; es lässt sich der Beginn des
Johannes-Evangeliums in deutscher Übersetzung entziffern. Es handelt sich um
die Verse 1, 2, 6 und 7 des 1. Kapitels, also um Verse aus dem sogenannten
„Johannes-Prolog“. Dem Betrachter erhält aber nur so viel Einblick in die linke
Seite des Buches, um anhand der Anfangsworte einer jeden Zeile darauf schließen
zu können. Petrus wird als bärtiger alter Mann gezeigt, erkennbar an seinem Attribut,
einem großen goldenen Schlüssel. Nur sein nahezu kahler Kopf ist vollständig
sichtbar mit dem Ansatz eines die Schulter bedeckenden Kapuzenkragens. Die
Augenlider der beiden Männer sind gesenkt, was den Eindruck innerer Sammlung
und aufmerksamer Lektüre unterstreicht. Die Augenbrauen des Petrus sind über
der Nasenwurzel leicht zusammengezogen, wohl um eine altersbedingte Sehschwäche
auszugleichen und die Schrift in dem aufgeschlagenen Buch besser lesen zu
können.
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Petrus hat so seine Mühe mit dem Lesen ... |
Auf der rechten Tafel sind hinten im Halbdunkel
der Evangelist Markus und daneben im Vordergrund der Apostel Paulus zu sehen. Mit
der Rechten umklammert Paulus den Griff eines Schwertes, an dessen Schneide
Blutspuren sichtbar sind, die wohl auf sein Martyrium hinweisen sollen. Auf dem
linken Arm hält er einen geschlossenen Folianten; sein weißer Mantel, dessen
Falten wie gemeißelt wirken, beherrscht die rechte Tafel. Mit stechendem Blick, der durch die hervortretende Stirnader und die glänzende Schläfenpartie noch energischer wirkt, scheint
Paulus den Betrachter aus dem Augenwinkel heraus anzusehen. Lothar Sickel
spricht von dem das Gesicht beherrschenden, „zyklopenhaft anmutenden Auge“,
das eher ahnungsvoll forschend die Umgebung abtaste, als ein bestimmtes Ziel
zu fixieren (Sickel 1995, S. 44). Paulus auf der rechten Hälfte entspricht
kompositorisch Johannes’ auf der linken. Ihre Arme und die Bücher, die sie
halten, bilden regelrecht eine Brücke zueinander. Durch diese Verklammerung erreicht Dürer eine besondere Konzentration auf das obere Drittel der Tafeln, „auf die dichte Zusammenfügung der stark und charaktervoll sprechenden Köpfe, Hände und Attribute der Figuren“ (Arndt/Moeller 2003, S. 22). Als Eckpfosten der Gruppe
rahmen Johannes und Paulus den Auftritt der vier Apostel und öffnen so den
Bildraum für den Betrachter: „Die Runde steht offen für alle, die Orientierung
am Wort Gottes suchen“ (Rebel 1996, S. 430).
Der bärtige Markus mit wirrem, krausen Haar wiederum
hat den Kopf emporgereckt und späht mit aufgerissenen Augen hinter Paulus
vorbei auf etwas, das sich rechts außerhalb des Bildraumes befindet. In der
Hand hält er eine kleine Schriftrolle mit einem Hinweis auf sein Evangelium: In drei Zeilen ist dort „EVANG / MARCI /CAP 1“ zu lesen. Von seinem blauen Mantel sehen wir nur wenig. Alle vier Figuren tragen Sandalen, die unter den Gewändern hervortreten: Nach dem Markus-Evangelium hatte Jesus seine Jünger aufgefordert, zu zweit und mit Sandalen an den Füßen in die Welt zu ziehen und sein Wort zu verkünden (Markus 6,7-9). Darunter befindet sich eine Inschriftenleiste, die aber gegenüber den dargestellten Personen klein ausfällt und von manchem Betrachter leicht übersehen werden kann. „Die beiden Tafeln sind nichts als Figur, und die starke Aufsicht auf die Bodenfläche erzeugt in Verbindung mit dem deutlichen, untersichtig bedingten Höhenunterschied zwischen den jeweils vorderen und hinteren Köpfen nochmals intensiver den Eindruck der geradezu greifbaren Nähe dieser Gestalten“ (Arndt/Moeller 2003, S. 19).
Dürers Zusammenstellung ist überaus ungewöhnlich – es gibt für sie
keinerlei Vorbild. Denn genau genommen haben wir es weder mit einer Apostel-
noch mit einer vollständigen Evangelistenreihe zu tun: Drei Aposteln steht der
Evangelist Markus gegenüber. Der Künstler dürfte also unter den wichtigen Personen
des Neuen Testaments eine sehr bewusste Auswahl getroffen haben. Die vier Männer repräsentieren sozusagen das Neue Testament in Gestalt ihrer Verfasser: „Das Gotteswort ist in ihnen gleichsam personifiziert“ (Arndt/Moeller 2003, S. 37). Dürer selbst
benennt das Thema seines Bildes nicht, er spricht nur von einem „gemel“ und
„ein tafel“, er hat jedoch die Namen der Dargestellten über ihren Köpfen angebracht. Belegt ist die Bezeichnung als „Vier Apostel“ erstmals für das Jahr 1538.
Bei der Beschriftung zu Füßen der Männer handelt es sich um
ausführliche Zitate aus Martin Luthers Bibelübersetzung von 1522 (dem sogenannten
Septembertestament), die von dem Nürnberger Schreibmeister und Mathematiker Johann
Neudörffer angebracht wurden. Die schmale Schriftzone trägt und verbindet die
beiden Bildteile. Über den vier Inschriften, die sich jeweils unter einem
Apostel befinden, steht zunächst eine kurze Vorrede. Die Bibelzitate beginnen
mit einer Passage aus dem 2. Petrus-Brief und folgen dann gegen den
Uhrzeigersinn der Reihenfolge der Dargestellten; jedem einzelnen ist dabei ein nachweislich von ihm selbst verfasster Text zugeordnet. Da die Beschriftung für die
Deutung der Tafeln entscheidend ist, soll sie hier komplett zitiert werden:
Alle
weltliche regenten in disen ferlichen zeitten Nemen billich acht, das sie nit
fur das gottlich wort menschliche verfuerung annemen Dann Gott wil nit Zu
seinem wort gethon, noch dannen genomen haben [Offenbarung 22,18]. Darauf
horent dise trefflich vier menner Petrum Johannem Paulum vnd Marcum Ire
warnun[g].
Petrus
spricht in seiner andern Epistel Im andern Capittel also / Es waren aber auch
falsche prophetten vnter dem volck, Wie auch vnter euch sein werden falsche
lerer, die neben einfuren werden verderbliche seckten Vnnd / verleucken den
herren der sie erkaufft hat Vnnd werden vber sich furen ein schnel verdamnus
Vnd vile werden nachuolgenn Irem verderben, Durch / welche wird der weg der
warhait verlestert werden, Vnd durch geitz mit erdichten wortten, werden sie an
euch hantieren, Vber welche das vrtail von / lannger here nit saumig ist Vnnd
ir verdamnuss schlefft nicht. [2. Petrus 2, 1-3]
Johannes
in seiner ersten Epistel Im vierdten Capittel schreibt also / Ir lieben, glaubt
nicht einem yetlichen geist Sonndern prüffen die geister, ob sie von gott sind
Denn es sind vil falscher propheten ausganngen in die / wellt Daran erkennet
den geist gottis, Ein yetlicher geist, der da bekennet, das Jhesus Christus ist komen in das flaisch, der ist von gott Vnnd ein /
yetlicher geist, der da nicht bekennett das Jhesus Christus ist kome(n) in das flaisch,
der ist nicht von gott, Vnnd das ist der geist des widerchristis, von / welchem
ir habt gehoret, das er kompt, Vnnd ist yetzt schon in der wellt. [1. Johannes
4, 1-3]
In
der anndern Epistel zum Timotheo In dem dritten Capittel Schreibt S:Paulus also
/ Das soltu aber wissen, das zu den letzten zeitten werden grewliche zeittung
eintretten Denn es werden mennschen sein die von sich selbsz halten, Geitzig,
stoltz, / Hoffertig, Lesterer, den Eltern vngehorsam, vndanckpar, vngeistlich,
vnfeunntlich Storrig, schender, vnkeusch, vnguttig, wild, verrether, freueller,
auff= / geplasen, die mer lieben die wollust den(n) gott, die da haben das
geperde eines gotseligen wanndels Aber seine krafft verleucken sie Vnnd von
solchen wende / dich, Auss denselben sind die, die heuser durchlauffen, vnd
furen die weiblin gefangen, die mit sunden beladen sind, vnd faren mit
mancherlei lusten / Lernnen ymer dar, vnd kunden nymer Zur erkentnus der
warhait komen. [2. Timotheus 3, 1-7]
Sant
Marcus schreibt in seinem Euangelium Im 12 Capittel also / Vnnd er leret sie
vnd sprach zu Inen habt acht auff die schrifftgelertten, Die gehen gern In
lanngen kleidern. Vnnd lasse sie gern grüssen auff / dem marckt, Vnnd sitzen
gern obenan in den schulen vnd vber tisch, Sie fressen der wittwen heuser, vnnd
wenden langs gepet fur / Dieselben werden dester mer verdambnus emphahen.
[Markus 12, 38-40].
1526 bot Dürer das Werk dem Nürnberger Rat als
Geschenk an und kommentierte seine Gabe in einem Begleitbrief: Er habe auf die
Tafeln mehr Fleiß als auf andere Gemälde verwandt, man möge sie im Rathaus „zu einer gedechtnus“ aufhängen. Schon das Nürnberger Ratsprotokoll formulierte diesen Hinweis Dürers in „zue seyner gedechtnus“ um und legte damit die Interpretation nahe, der Maler habe die Bildtafeln zu seinem eigenen Andenken gefertigt, die Vier Apostel seien sozusagen ein
„selbstgesetztes Denkmal“. Auf die noble Geste des Meisters
durften die Ratsherren ihrerseits nicht kleinlich reagieren – Dürer wusste das
natürlich. Die amtliche Antwort vom 6. Oktober 1526 lautete: Mit Wohlgefallen
nehme man Dürers Werk an, wolle es aber „nit umb sunst“. Dem Künstler wurden
100 Gulden aus der Amtskasse ausgezahlt, und die Tafeln fanden für die nächsten
100 Jahre ihren Ehrenplatz in der „oberen Regimentsstube“ des Rathauses, bevor
sie 1627 auf Druck des bayerischen Kurfürsten Maximilian I. nach München kamen.
Der katholische Kurfürst ließ dann die Inschriften wegen ihres reformatorischen
Inhalts vom Bildteil absägen – erst 1922 wurden die beiden Teile wieder zusammengefügt.
Man könnte die Vier Apostel als eine Art gemalten „Ratsspiegel“ bezeichnen, ähnlich den Fürstenspiegeln, die Könige und Kaiser an ihre Pflichten
erinnerten. Dass die beiden Tafeln nicht in eine Kirche, sondern in das Rathaus gestiftet wurden, macht sie vergleichbar mit mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Weltgerichtsdarstellungen und den thematisch variablen „Gerechtigkeitsbildern“ in Rathäusern, auf denen den Ratsherren vor Augen geführt wurde, dass sie an der göttlichen Gerichtsbarkeit teilnahmen und gemessen wurden. Dürers Vier Apostel schärften jedoch nun „die neue Lehre ein, es solle das gesamte Handeln der für die Stadt Verantwortlichen unter die Gesamt-Norm der Bibel gestellt werden“ (Arndt/Moeller 2003, S. 45/46).
Die „trefflich vier menner“ sind als Autoritätsinstanzen des
Glaubens Wächter und Warner, die alle weltlichen Herren dazu aufrufen, die
Botschaft des Evangeliums vor Missbrauch und Fehldeutung zu schützen. „Johannes,
Petrus, Markus und Paulus sollten als mächtige Gemäldestatuen eintreten für die
Wahrheit der Heiligen Schrift, gegen alle deren Bedrohungen und sektierischen
Auslegungen; sollten mithin zu aufrechter, klarer und standfester Haltung auch
im religionspolitischen Geschehen mahnen“ (Rebel 1996, S. 426/427). Auf der linken Seite studieren Johannes und Petrus aufmerksam die Bibel – die Konzentration auf das „gottlich wort“ wird von ihnen beispielhaft vor Augen geführt. Auf der rechten Seite
stehen Markus und Paulus für Wachsam- und Wehrhaftigkeit
– das blutige Schwert des Paulus ist in diesem Zusammenhang sicherlich mehr als
nur ein Hinweis auf dessen Martyrium. „Es erscheint als Waffe des Paulus; es ruft in Erinnerung, dass man bereit sein müsse, den wahren Glauben kämpferisch zu behaupten. Ja, es konnte und sollte vielleicht geradezu als Richtschwert, d. h. als Symbol des Endgerichts, verstanden werden – kündigen doch die beigegebenen Texte den falschen Propheten und denen, die ihnen folgen, mehrfach die verdamnus an“ (Arndt/Moeller 2003, S. 21). Sickel deutet den Blick des
Markus allerdings anders: Der Evangelist nehme plötzlich die Quelle des von rechts
einfallenden Lichts wahr – nämlich die Gestalt Christi, der seinen Jüngern
erscheint. Paulus wiederum werde der Erscheinung erst allmählich gewahr. Für
diese Interpretation könnte sprechen, dass Christus im Johannes-Prolog, in den sich
Johannes und Petrus auf der linken Seite vertieft haben, explizit als „das
wahre Licht“ (Vers 9) bezeichnet wird: „In ihm war das Leben, und das Leben war
das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die
Finsternis hat’s nicht ergriffen“ (Johannes 1,4-5; LUT).
Dürer wurde früh Anhänger Martin Luthers;
spätestens seit 1518 sammelte er dessen deutsche Schriften. Mehrere Zeugnisse
seiner Verehrung für den Reformator sind bekannt: 1520 schreibt Dürer, gerne
wolle er Luther „mit fleis kunterfetten (porträtieren) vnd in kupfer stechen zw
einer langen gedechtnus“, da er ihm „aws grossen engsten geholffen“ habe. Die
Stadt Nürnberg bekannte sich 1525 – nach vorhergehenden Religionsgesprächen
zwischen evangelischen Predigern und katholischen Ordensleuten – zum
evangelischen Gottesdienst. Dürer hatte als Angehöriger des Größeren Rats im
März 1525 die Auseinandersetzungen zwischen altem und neuem Glauben hautnah miterlebt.
Seine Bildtafeln samt ihren Inschriften sind daher als grundsätzliches und
deutliches Ja zur Reformation zu sehen. Sie wollen den Kurs des Nürnberger
Rates unterstützen, „gegen die Gegner der Vergangenheit, der Gegenwart und wohl
auch der Zukunft“ (Goldberg u.a. 1998, S. 531). Tobias Leuker nennt Dürers Parteinahme für Luther als Grund, warum Petrus nicht gleichrangig mit dem zweiten Apostelfürsten Paulus großformtig in die vordere Ebene gerückt, sondern zurückgesetzt ist. Dies sei darauf zurückzuführen, „daß er die Römische Kirche repräsentiert, die dem Wort, dem geoffenbarten Logos, nicht jenen überragenden Stellenwert einräumte, der ihm nach Ansicht der Anhänger Luthers zukam“ (Leuker 2001, S. 81). Der Rangunterschied zwischen Paulus und Markus wiederum könnte auf Luthers Vorwort zu seinem Septembertestament hinweisen, in dem der Reformator den Evangelisten hinsichtlich seiner Bedeutung für den Glauben nicht nur unter Johannes, sondern auch unter Paulus eingeordnet hatte.
Johann Neudörffer erwähnt 1547, Dürer habe in den vier Männern auch die vier Temperamente dargestellt, also einen Sanguiniker, einen Choleriker, einen Phlegmatiker und einen Melancholiker. Erwin Panofsky hat diesen Hinweis aufgegriffen und zu einem wesentlichen Bestandteil seiner Interpration des Bildes gemacht: „Johannes, ein junger Mann von ungefähr fünfundzwanzig Jahren, von frischer Gesichtsfarbe, gesetzt und ernst, doch dabei milde und freundlich, muß der Sanguiniker sein! Markus – dessen Symbol der Löwe ist! – ist ein Mann mittleren Alters, und nicht nur das, sondern auch seine grünliche,
,gallige‘ Haut, seine knirschenden Zähne und rollenden Augen kennzeichnen ihn als den Choleriker. Paulus, ein Mann zwischen fünfzig und sechzig, gebieterisch, abweisend streng (er war es, der das Element des Asketischen in die christliche Religion einführte), und das
,schwärzliche, dunkle Antlitz‘ zeigend, das wiederholt als ein Symptom der atra bilis erwähnt wurde, muß der Melancholiker sein. Petrus, bei weitem der älteste von den vieren, hat ein blasses, fleischiges, ermattetes Aussehen, das, in Verbindung mit seinen niedergeschlagenen Augen, den Phlegmatiker anzeigt“ (Panofsky 1977, S. 313). Dürers Apostelfiguren verkörpern darüber hinaus auch die vier Lebensalter des Mannes: Johannes ist mit etwa 20, Markus mit 35, Paulus mit 50 und Petrus mit 65 Jahren dargestellt.
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Albrecht Dürer: Adam und Eva (1504); Madrid, Prado
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Die Vier
Apostel waren nicht das erste Zweitafelbild Dürers – bereits 1507 hatte er
Adam und auf Eva auf einer hochformatigen Doppeltafel dargestellt (siehe meinen Post „,Nicht Adam wurde verführt ...‘“), 1513 wurden dem Meister die überlebensgroßen Kniestücke Kaiser Karls des Großen und Kaiser Sigismundis bezahlt. Die enge Verbindung von jeweils zwei
Personen, der einheitliche Bildraum wie auch die perspektivische Anordnung mit
hinteren Figuren folgt italienischen Renaissancevorbildern. Allen voran sind
hier die Flügelbilder des Frari-Altar von Giovanni Bellini zu nennen, den Dürer
während seiner Venedig-Aufenthalte 1494/95 und von 1505 bis 1507 studieren konnte.
Allerdings konzentriert er sich bei Vier
Aposteln wie gesagt ganz auf die Personen: „Die einprägsame Monumentalität, die das
Bild aus der flächenfüllenden Dichte, der Statik der Figuren und der
Großflächigkeit der Gewänder gewinnt, war ein wesentliches Anliegen Dürers –
man sollte die Gestalten nicht so schnell vergessen“ (Goldberg u.a. 1998, S.
510). Herbert von Einem sieht allerdings in eher in den großformatigen deutschen Skulpturen des 13. Jahrhunderts die eigentlichen Ahnen der Apostel: „Es ist leichter, von Dürers Aposteln die Brücke nach Naumburg als etwa zu Raffael zu schlagen“ (von Einem 1969, S. 96).
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Giovanni Bellini: Frari-Altar; Flügelbilder mit den Heiligen Nikolaus, Petrus, Markus und Benedikt (1437);
Venedig, Santa Maria dei Frari (für die Großansicht einfach anklicken) |
Wie erwähnt, wurden die beiden Tafeln in der oberen
Regimentsstube des Nünberger Rathauses aufgehängt: Wolfgang Schmid vermutet,
dass Dürers Geschenk den Anstoß gab, dort im 16. Jahrhundert ein städtisches
Kunstkabinett einzurichten. Nach dem Tod des Künstlers gelangte dann auch
dessen berühmtes Selbstbildnis von 1500 dorthin, ebenso Kopien von Adam und Eva sowie der nach Entwürfen
Dürers angefertigte Drachenleuchter des Bildhauers Veit Stoß. Hier diente
Dürers Gemälde weniger der Ermahnung zu einem guten Regiment denn zur
städtischen Selbstdarstellung: Stolz konnte man Interessierten und
vornehmen Reisenden die staunenswerten Bilder des gebürtigen Nürnbergers präsentieren. „An die Stelle
einer Ratskapelle, in der Tafelbilder eine liturgische Funktion erfüllten, war
ein kommunales Kunstkabinett getreten, in dem auswärtigen Gesandten, Besuchern
und Künstlern Meisterwerke der führenden Werkstätten der Stadt vor Augen
geführt wurden. Für diesen Rezipientenkreis waren Dürers ,Vier Apostel‘
bestimmt, nicht etwa für die Ratsherren, die die Tafeln bei ihren Sitzungen gar
nicht zu Gesicht bekamen“ (Schmid 1996, S. 164).
Die Vier
Apostel sind ein bedeutender Bestandteil von Dürers Spätwerk, mit dem das
im Verlauf eines Lebens erworbene Wissen sowie seine Meisterschaft als Künstler
und Bilderfinder für die Nachwelt bewahrt werden sollte. Der Nürnberger Meister
beschäftigte sich in seinen letzten Lebensjahren – nach seiner Rückkehr von
seiner Reise in die Niederlande 1520/21 – ausführlich mit Frage der
Kunsttheorie. 1525 veröffentlichte er seine „Unterweisung der Messung“, 1527
die „Befestigungslehre“, und 1528 erschienen posthum die „Vier Bücher von
menschlicher Proportion“. Damit hatte er nicht nur als Künstler seinen Nachruhm
gesichert, sondern auch als Erfinder, Theoretiker und Humanist.
Literaturhinweise
Arndt, Karl/Moeller, Bernd: Albrecht Dürers „Vier Apostel“. Eine kirchen- und kunsthistorische Untersuchung. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2003;
Bonnet, Anne-Marie/Kopp-Schmidt, Gabriele: Die Malerei der deutschen
Renaissance. Schirmer/Mosel, München 2010;
Goldberg, Gisela/Heimberg, Bruno/Schawe, Martin: Albrecht Dürer. Die Gemälde der Alten
Pinakothek. Edition Braus, München 1998, S. 478-559;
Hess, Daniel: Dürer als Markenartikel. In:
Hermann Maué u.a. (Hrsg.), Quasi Centrum Europae. Europa kauft in Nürnberg – 1400-1800, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Nürnberg 2002, S. 451-464;
Leuker, Tobias: Neues und Nachdenkliches zu den Vier Aposteln. In: Tobias Leuker, Dürer als
ikonographischer Neuerer. Rombach Verlag, Freiburg im Breisgau 2001, S. 77-86;
Panofsky, Erwin: Das Leben und die Kunst Albrecht
Dürers. Verlag Rogner & Bernhard, München 1977 (zuerst erschienen 1943), S. 308-314;
Rebel, Ernst:
Albrecht Dürer – Maler und Humanist. C. Bertelsmann Verlag, München 1996, S.
426-438;
Schmid, Wolfgang: Warum
schenkte Albrecht Dürer dem Nürnberger Rat die ,Vier Apostel‘? In: Gerhard
Jaritz (Hrsg.), Pictura quasi fictura. Die Rolle des Bildes in der Erfahrung
von Alltag und Sachkultur des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Verlag
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1996, S. 129-169;
Sickel, Lothar: Der
„ungläubige“
Petrus. Zur Bedeutung eines Schlüsselmotivs in den ,Vier Aposteln‘
von Albrecht Dürer. In: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 34 (1995),
S. 41-56;
Strieder, Peter: Albrecht Dürers »Vier Apostel«
im Nürnberger Rathaus. In: Festschrift für Klaus Lankheit zum 20. Mai 1973.
Verlag M. DuMont Schauberg, Köln 1973, S. 151-157;
Suckale, Robert: Dürers
Stilwechsel um 1519. In: Petra Schöner/Gert Hübner, Artium Conjunctio.
Kulturwissenschaft und Frühneuzeitforschung. Aufsätze für Dieter Wuttke. Verlag
Valentin Koerner, Baden-Baden 2013, S. 245-267;
von Einem, Herbert: Dürers „Vier Apostel“. Festvortrag am 4. Juli 1968 im Germanischen
Nationalmuseum. In: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1969, S. 89-103;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 1. März 2021)