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Albrecht Dürer: Adam und Eva (1504); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
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Apoll vom Belvedere (1489 aufgefunden); Rom, Vatikanische Museen |
So wird aus Apoll nun der biblische Stammvater, nackt ohne Scham, würdevoll, Krone der ihn umgebenden Natur. Die Liebesgöttin Venus verwandelt sich in die Stammmutter der Menschheit, die Adam gleichwertig und gleich schön gegenübertritt. Diese Gleichberechtigung ist kein Zufall, sie dient dem Thema: „Sie versinnbildlicht einen letzten gemeinsamen Augenblick paradiesischer Unschuld“ (Rebel 1996, S. 194). Adam und Eva befinden sich noch im gottesebenbildlichen Zustand ante culpam, die verbotenen Früchte sind noch nicht angebissen – Dürer inszeniert den Moment vor der Selbstüberhebung des Menschen. Unmittelbar danach wird sich alles ändern, Paradies heißt dann Welt.
„Mit den Prototypen der Menschheit, Adam und Eva, war das physische Urbild Gottes auf die Welt abgespiegelt. Durch die Ursünde war es verlorengegangen oder als bloßer schwacher Nachhall, als Bruchstück in den Schönheiten der Welt erhalten geblieben. Dieses Urbild ist das Ideal von Schönheit. Indem es der Künstler über die Grundsätze der Proportion sichtbar macht, wiederholt er den ersten Schöpfungsakt symbolisch und anschaulich. Hierin, immer wieder in dieser Gottesanalogie, hat das Kunstideal Dürers seinen Ausgangs- und Endpunkt“ (Rebel 1996, S. 196).
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Venus Medici (1618 in der Villa des römischen Kaisers Hadrian aufgefunden); Florenz, Uffizien |
Adam sieht Eva an; Eva nimmt gerade eine zweite Frucht aus dem Maul der gekrönten Schlange entgegen, auf die auch ihr Blick – leicht nach unten gesenkt – gerichtet ist. Adams ausgestreckter linker Arm und geöffnete Hand ragen hinein in Evas Bildhälfte – ein Gestus, mit dem er die Frucht hinter Evas Rücken einzufordern scheint. Damit hätten Adam und Eva zu gleichen Teilen den Sündenfall verschuldet.
Christian Schoen sieht in Adams Arm- und Handhaltung zugleich aber auch eine Annäherung an Evas Geschlecht. Sündenfall und sexuelles Verlangen werden miteinander verknüpft: „In dem Moment, in dem Eva ihm den Apfel aushändigte, würde sie entblößt“ (Schoen 2001, S. 111). Und verlängerte man Evas Blickachse, so wären „ihre Augen auch auf Adams verdecktes Geschlecht gerichtet“ (Schoen 2001, S. 112), was folglich Adams fordernder Geste entsprechen würde. Adams Griff nach der Eberesche wiederum bedeutet nicht, dass er dort Halt sucht – darin offenbart sich vielmehr seine Hybris: Er umfasst den Ast vom Baum des Lebens, weil er beansprucht, „zu sein wie Gott und zu wissen, was gut und böse ist“ (1. Mose 3,5).
Thomas Schauerte hat noch eine andere Deutung zu Dürers Sündenfall-Darstellung vorgelegt: Eva halte in ihrer linken Hand keine Frucht vom Baum der Erkenntnis, sondern eine, deren Genuss stets erlaubt war (1. Mose 3,2). Eine solche Frucht verlange Adam von ihr – doch Eva reiche ihm stattdessen die verbotene. Aus dieser Sicht würde der Kupferstich dann die „Hauptschuld“ bei Eva belassen, Adam wäre vor allem der Verführte.
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Darin besteht die Ursünde: sein wollen wie Gott |
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Antonio Pollaiuolo: Kampf zehn nackter Männer (1470/75); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
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Hans Baldung Grien: Der Sündenfall (um 1514); Holzschnitt |
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Jan Gossaert: Adam und Eva (1507/08); Madrid, Museo Tyssen-Bornemisza |
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Jan Gossaert: Neptun und Amphitrite (1516); Berlin, Gemäldegalerie |
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Jan Gossaert: Adam und Eva (um 1520); Windsor, Royal Collection |
Borchert, Till-Holger (Hrsg.): Van Eyck bis Dürer. Altniederländische Meister und die Malerei in Mitteleuropa. Chr. Belser, Stuttgart 2010, S. 425;
Panofsky, Erwin: Das Leben und die Kunst Albrecht Dürers. Rogner & Bernhard, München 1977 (zuerst erschienen 1943), S. 113-117;
Rupprich, Hans (Hrsg.): Dürer. Schriftlicher Nachlaß. Band 1. Deutscher Verein für Kunstwissenschaft, Berlin 1956;
Schauerte, Thomas: Albrecht Dürer – Das große Glück. Kunst im Zeichen des geistigen Aufbruchs. Rasch Verlag, Bramsche 2003, S. 111-113;
Schoch, Rainer: Adam und Eva. In: Matthias Mende u.a. (Hrsg.), Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band I: Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München 2000, S. 110-113;
Sonnabend, Martin (Hrsg.): Albrecht Dürer. Die Druckgraphiken im Städel Museum. Städel Museum, Frankfurt am Main 2007, S. 106;