Freitag, 3. Januar 2025

Märchenhafter Zauber – Adam Elsheimers „Heilige Familie mit Engeln und dem kleinen Johannes der Täufer“

Adam Elsheimer: Heilige Familie mit Engeln
und dem kleinen Johannes der Täufer (um 1599);
Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken)

Der in Frankfurt am Main geborene Maler Adam Elsheimer (1578–1610) ließ sich im Jahr 1600 in Rom nieder, wo er im Alter von nur 32 Jahren starb. Seine meist kleinformatigen Bilder, überwiegend auf Kupfer und in miniaturhaft feiner Ausführung unter Zuhilfenahme einer Lupe gemalt, machten ihn berühmt und wurden besonders von seinen Künstlerkollegen hoch geschätzt, u.a. von Peter Paul Rubens. Zeitlebens hat sich Elsheimer mit der Darstellung des Lichts auseinandergesetzt und dabei sowohl stimmungsvolle Landschaften im Mondlicht geschaffen wie auch geheimnisvolle nächtliche Innenräume, die nur von spärlichem Kerzenschein erleuchtet werden. Der deutsche Maler war aber auch ein spannender Erzähler: Auf seinen Bildern werden dramatische Ereignisse wie die Sintflut, brutale Mord- und Marterszenen und ebenso erstaunliche christliche Wunder geschildert. Elsheimers früher Tod und seine langsame Malweise sind der Grund dafür, dass er ein überschaubares Werk hinterlassen hat: Gegenwärtig sind nur 40 Gemälde von seiner Hand bekannt. Zwei davon habe ich in diesem Blog bereits vorgestellt: Die Steinigung des Stephanus (siehe meinen Post „Palmzweige für den Sieger“) und Der hl. Christophorus (siehe meinen Post „Nichts leuchtet heller“). Diesmal soll es um Die Heilige Familie mit Engeln und dem kleinen Johannes der Täufer aus Berlin gehen (um 1599 entstanden).

Auf seinem Kupfertäfelchen (37,5 x 24,3 cm) mit rundbogigem Abschluss führt Elsheimer zwei Erzählungen zusammen: die Ruhe der Heiligen Familie auf der Flucht nach Ägypten und die Begegnung des Jesuskindes mit dem Johannesknaben auf der Rückkehr aus Ägypten, von der nur Legenden erzählen. In einer dicht bewaldeten Landschaft hat sich Maria, traditionell mit rotem Gewand und blauem Mantel bekleidet, am Fuß eines Baumes mit abgebrochener Krone niedergelassen. Sie hält ihren Sohn mit der rechten Hand auf dem Schoß und hat ihre Linke auf den Rücken des kleinen Johannes gelegt, der das Jesuskind mit einer Umarmung begrüßt. Links neben Maria sitzt, angetan mit einer kostbaren Dalmatika und das Gesicht ins Profil gewendet, ein großer geflügelter Engel und nimmt mit seiner Linken den Ärmel ihres Mantels in die Hand. Er ist als Begleiter des jungen Besuchers anzusehen, denn vor ihm hat Elsheimer die Insignien des Täufers platziert, das Lamm mit dem Kreuzstab. Mit dem Tier ist das Lamm Gottes gemeint, von dem im Johannes-Evangelium die Rede ist (Johannes 1,29). Auf der schmalen Fahne, die sich um den Rohrstab windet, ist das Wort „Ecce“ zu lesen, das mit „Agnus Dei“ ergänzt werden muss.

Albrecht Altdorfer: Ruhe auf der Flucht nach Ägypten (1510);
Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken)

Am rechten Bildrand sitzt Joseph auf einem Baumstumpf, in sich versunken, mit seiner Zimmermannsaxt im Arm. Er dient als Repoussoirfigur, ähnlich der analogen Figur in Albrecht Altdorfers Ruhe auf der Flucht von 1510. Auf seiner Wanderschaft von Frankfurt nach Rom hatte Elsheimer in München auch Werke Altdorfers kennengelernt. Der knorrige Baumstamm auf der linken Seite ragt schräg in die Höhe, wo er abrupt endet und einige Zweige die überirdische himmlische Zone abgrenzen gegen den natürlich blauen Himmel über der zerklüfteten, wilden Gebirgslandschaft im Hintergrund. Von dieser überirdischen Zone gehen geht ein mystisch-göttliches Licht aus, das den gesamten Bildraum durchdringt und der innigen Szene einen geradezu märchenhaften Zauber verleiht.

Tintoretto: Das Markuswunder (1547/48); Venedig, Accademia

Hinter dem Baumstamm kommt oben ein großer Engel hervor, der auf die Szene unter ihm weist. Sowohl dessen Bewegung an sich wie auch die starke Verkürzung, in der ihn Elsheimer wiedergibt, erinnern an den venezianischen Maler Tintoretto (1518–1594). Elsheimer hielt sich, bevor er nach Rom ging, 1599 zu Studienzwecken in Venedig auf, wo er sicherlich dem Werk Tintorettos begegnet ist. Rechts sitzt auf einer unsichtbaren Wolke ein weiterer, Blüten streuender Engel. Ein himmlischer Strahl geht durch seine Hand und verdeutlicht das Herabschweben der Blüten.

Zwischen den beiden Engeln, die ein kompositorisches Gegengewicht zu den großen Figuren unten bilden, zieht sich in mehreren Windungen ein bewegter Reigen kleiner, mit Kränzen geschmückter und einander an den Händen fassender Engel herab, deren unterster huldigend dem Christus-Johannes-Paar einen Blumenkranz darbringt. „So wie der Engelreigen die fernste Himmelszone mit dem Geschehen am Fuße des Baumes im Vordergrund verbindet, so durchpulst das Licht, das die Körper aufscheinen läßt und sich in den Zweigen der Bäume bricht, den Bildraum und erfüllt ihn mit einer poetischen Stimmung, welche Figuren und Landschaft zu einer harmonischen Einheit verbindet“ (Schleier 1998, S. 420). Dieser stille poetische Zauber und die Intimität des kleinen Formats sind unverwechselbare Merkmale der Kunst Elsheimers. Mit dem Berliner Bild hat der Frankfurter Maler, kaum über zwanzig Jahre alt, ohne Frage eines seiner ersten Meisterwerke geschaffen.

Adam Elsheimer: Taufe Christi (um 1599); London, National Gallery
Adam Elsheimer: Steinigung des  Stephanus (um 1603/04),
Edinburgh, National Gallery of Scotland

Das Gemälde kommt in seinem Stil sowie in der Farbigkeit und Lichtführung der Taufe Christi in London nahe, mit der es auch den rundbogigen Abschluss teilt. Auch auf der Taufe Christi erscheint oben rechts ein großer Engel, der ein rotes Gewand oder Tuch trägt und auf die Hauptszene herabsieht. Die beiden Gemälde dürften in kurzem zeitlichen Abstand entstanden sein. Die prächtige Dalmatika des neben Maria sitzenden Engels wiederum weist auf die Roben voraus, die Elsheimer später in seinen Bildern des Hl. Laurentius und der Steinigung des hl. Stephanus gemalt hat.

 

Glossar

Eine Dalmatika ist ein liturgisches Gewand und die Amtskleidung eines Diakons.

Repoussoirfiguren sind Gestalten im Vordergrund eines Gemäldes, die die Funktion haben, den Blick des Betrachters in die Tiefe zu ziehen. Sie werden deswegen häufig von hinten dargestellt.

 

Literaturhinweise

Klessmann, Rüdiger: Im Detail die Welt entdecken. Adam Elsheimer 1578–1610. Edition Minerva. Wolfratshausen 2006, S. 62-65;

Schleier, Erich: Adam Elsheimer, Die Heilige Familie mit Engeln und dem kleinen Johannes dem Täufer (um 1599). In: Gemäldegalerie Berlin. 200 Meisterwerke. Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann, Berlin 1998, S. 418-420.