Domenico Ghirlandaio: Abendmahl (1480); Florenz, Chiesa Ognissanti (für die Großansicht einfach anklicken) |
Ghirlandaio hat mit seiner Werkstatt im Abstand von wenigen Jahren insgesamt vier Abendmahl-Fresken gestaltet, von denen noch drei erhalten sind: neben dem in Ognissanti ein früheres in der Stadt Passignano (1476) und später dann im Florentiner Kloster San Marco (um 1486). In allen drei Wandbildern gleicht die Grundkomposition dem Fresko von Andrea del Castagno im Cenacolo di Sant’Apollonia in Florenz (um 1450): Die Apostel sind an einer dreiseitigen Tafel vor einer bildparallelen Rückwand aufgereiht, Christus ist in der Mitte platziert, sein Lieblingsjünger Johannes ruht rechts von ihm an seiner Brust, links davon sehen wir Petrus. Judas sitzt als Einziger vor dem Tisch und kann durch diese Position schnell identifiziert werden. Ebenso ist er als Einziger vollständig sichtbar und auch damit eine herausgehobene Figur. Allerdings erscheint sein Körper im Ognissanti-Fresko in einer schrägen Rückenansicht, zudem sitzt Judas hier niedriger, denn sein Hocker steht nicht auf dem Holzpodest, das die Bank der übrigen Personen trägt und erhöht.
Andrea del Castagno: Abendmahl (um 1450); Florenz, Cenacolo di Sant’Apollonia (für die Großansicht einfach anklicken) |
Ghirlandaio hat Christus und elf seiner Jünger zwar wie Castagno hinter eine lange Tafel gesetzt, dabei aber dessen etwas eintönige Reihung zugunsten von Zweiergruppen aufgegeben. Ausgenommen ist die Gruppe um Christus, Johannes und Judas, denen rahmend links Petrus und rechts ein weiterer Jünger zugeordnet sind. Die Jünger und Jesus haben etwa anderthalbfache Lebensgröße.
Ghirlandaio erfindet die Zweierbeziehung |
Petrus wird ungemütlich – und Judas gibt ihm Kontra (für die Großansicht einfach anklicken) |
Die auf dem Tisch verstreuten Kirschen sind Passionssymbole |
„Und sie wurden sehr betrübt und fingen an, jeder einzeln, ihn zu fragen: Herr, bin ich’s?“ (Matthäus 26,22; LUT) |
Wer nun von den dargestellten Jünger welcher Apostel ist, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen – aber manche Indizien rechtfertigen doch die eine oder andere Zuschreibung, wie wir schon bei Thomas gesehen haben. Der Jünger zur Rechten von Petrus, einer der beiden älteren Männer an der Tafel mit weißem Haar und kräftigem weißen Bart, dürfte Andreas sein. Es ist dieser Platz, der für eine solche Identifizierung spricht, denn Andreas ist der Bruder des Petrus und gemeinsam mit ihm von Jesus als seine ersten Jünger berufen worden (Markus 1,16-18).
Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei dem Mann neben Johannes um dessen Bruder Jakobus der Ältere. Die Geschwister waren die nächsten Jünger, die nach Petrus und Andreas von Jesus berufen wurden (Matthäus 4,21-22). Außerdem begleiten die beiden zusammen mit Petrus ihren Herrn auf den Berg der Verklärung (Matthäus 17,1) und bei seinem Gebet im Garten Gethsemane (Matthäus 26,37).
Wie schon bei seinem Hieronymus-Fresko erweist sich Ghirlandaio als äußerst realistischer Maler textiler Stofflichkeit: Man beachte die Wiedergabe der frisch aufgelegten Tischdecke mit ihren gerade geglätteten Falten und dem eingewebten Fries an den nach vorne weisenden Enden. Mit gleicher Detailtreue widmet sich der Künstler der Tischdekoration, zu der neben Trinkgläsern, Messern und Salzschälchen drei Teller mit aufgeschnittenen Lammfleischstückchen und über den Tisch verteiltem Brot zählen. Sie verweisen auf das gerade stattfindende Mahl. Drei paarweise auf dem Tisch angeordnete Glaskaraffen mit spiralförmigem Rillendekor enthalten Weißwein und Wasser; einige Früchte dienen als Tafelschmuck. Vor jedem Jünger steht ein Weinglas, abgesehen von der Mittelgruppe, wo die große Schüssel zwischen Judas und Johannes
den gesamten Raum beansprucht.
Sie ist ein unverzichtbares Requisit bei der Verratsankündigung
und als Hinweis auf Matthäus
26,33 zu verstehen: „Der die Hand mit mir in die Schüssel taucht, der wird mich verraten“ (LUT).
Beginnend in einer Höhe von 180 cm, misst das Fresko 400 x 810 cm. Ghirlandaio hat dabei den realen Raum durch sein Wandbild illusionistisch erweitert. Es sieht so aus, als ob sich das tatsächliche Gewölbe im Fresko fortsetzt, da sich die echten Konsolen in der Tiefe des gemalten Bildes wiederholen. Anders ausgedrückt: Die Lünettenfelder wurden in perspektivischer Verkürzung als kreuzgratgewölbte Joche ausgemalt, was eine Erweiterung des Realraumes suggeriert. Dabei ist es für den Betrachter nicht auf Anhieb zu erkennen, ob die Mittelkonsole nun zum Real- oder zum Bildraum gehört. Den Eindruck von Raumtiefe erzeugt Ghirlandaio vor allem durch den fluchtenden Fußbodenbelag, die perspektivisch verkürzte linke und rechte Seite des hufeisenförmigen Tisches und die Schatten, die die Jünger an die einheitliche Rückwand werfen.
Illusionistische Raumerweiterung: das Refektorium in Ognissanti (für die Großansicht einfach anklicken) |
Die Sitzbank besitzt nach dem florentinischen Geschmack des späten Quattrocento Seitenwangen aus geschnitzten spiralförmigen Akanthusranken. Das Ornament wiederholt sich im gemalten Fries des Kreuzgewölbes. Die leichte Erhöhung der Bank auf einer hölzernen Stufe entspricht den zeitgenössischen Gepflogenheiten in den Florentiner Refektorien, in denen die Tische und Bänke auf Postamenten aus Holz oder Stein standen. Der Ausblick über das Gestühl hinweg auf die Baumwipfel soll den Eindruck einer Gartenlandschaft erwecken, die sich an den gemalten Raum anschließt. Zu sehen sind Baumwipfel, die in den freien Himmel emporragen, in dem verschiedene Vögel fliegen – ein Motiv, das an pompejanische Wandmalereien erinnert. In der linken Lünette greift ein Raubvogel im Flug seine Beute, rechts jagt ein weiterer eine Ente. Bäume und Büsche sind mit botanischer Genauigkeit wiedergegeben und tragen üppige Früchte: Granatäpfel scheinen schon zu platzen, pralle Zitronen, Orangen sowie Äpfel leuchten im Licht, und in der Palmenkrone schimmern Datteln. Einige der Früchte haben ihren Weg auf die Abendmahlstafel gefunden, nur die auf dem Tisch verteilten Kirschen scheinen nicht aus dem Garten zu stammen, denn ein Kirschbaum fehlt dort.
Der Opfertod Jesu ermöglicht die Rückkehr in das Paradies (für die Großansicht einfach anklicken) |
Für Ronald G. Kecks wird dieser Garten durch die Pflanzen und Tiere zu einer Paradiesmetapher: Zypressen, Palme, Orangen-, Granatapfel- und Zitronenbäume stehen seiner Auffassung nach sinnbildlich für den Sieg über den Tod, die Erlösung, die Auferstehung und das ewige Leben. Er verweist darauf, dass z. B. die beiden schlanken Zypressen, die in der linken Lünette erkennbar sind, nach Hesekiel 31,8 zu den Bäumen im Garten Gottes gehören. „Die Perlhühner und Enten jagenden Greifvögel werden in diesem Zusammenhang wohl als Triumph Christi über das Böse gedeutet werden müssen“ (Kecks 2000, S. 216).
Eckart Marchand widerspricht dieser Deutung; was Ghirlandaio über der Apostelgruppe zeige, sei vielmehr als Blick in die Landschaft vor den Toren Jerusalems zu interpretieren, in der sich später die Passion Christi vollziehen werde. Für die These, die beuteschlagenden Greifvögel als Triumph Christi über das Böse zu verstehen, gebe es keinerlei Quellen. Außerdem habe Ghirlandaio das Motiv relativ häufig in seinen Landschaftsszenen verwendet. „Primär sind die Vögel sicherlich aus Gründen der varietas eingesetzt, sie bevölkern einen andernfalls eintönigen Himmel“ (Marchand 2003, S. 125).
Ich halte es dennoch für gerechtfertigt, Bäume, Früchte und Vögel auch symbolisch aufzufassen. So umflattern in der linken Lünette vier Stieglitze einen Granatapfelbaum, dessen Früchte auf den Opfertod Christi hindeuten. Das farbenprächtige, auffällige Gefieder dieser kleinen Vögel mit dem charakteristischen roten Fleck um den Schnabel führte zu der Legende, wonach ein Stieglitz die Dornenkrone vom Haupt Christi zu entfernen versuchte und dabei seinen Schnabel mit Blut befleckte. Zwei Stieglitze sind auch in der rechten Lünette abgebildet.
Eckart Marchand widerspricht dieser Deutung; was Ghirlandaio über der Apostelgruppe zeige, sei vielmehr als Blick in die Landschaft vor den Toren Jerusalems zu interpretieren, in der sich später die Passion Christi vollziehen werde. Für die These, die beuteschlagenden Greifvögel als Triumph Christi über das Böse zu verstehen, gebe es keinerlei Quellen. Außerdem habe Ghirlandaio das Motiv relativ häufig in seinen Landschaftsszenen verwendet. „Primär sind die Vögel sicherlich aus Gründen der varietas eingesetzt, sie bevölkern einen andernfalls eintönigen Himmel“ (Marchand 2003, S. 125).
Ich halte es dennoch für gerechtfertigt, Bäume, Früchte und Vögel auch symbolisch aufzufassen. So umflattern in der linken Lünette vier Stieglitze einen Granatapfelbaum, dessen Früchte auf den Opfertod Christi hindeuten. Das farbenprächtige, auffällige Gefieder dieser kleinen Vögel mit dem charakteristischen roten Fleck um den Schnabel führte zu der Legende, wonach ein Stieglitz die Dornenkrone vom Haupt Christi zu entfernen versuchte und dabei seinen Schnabel mit Blut befleckte. Zwei Stieglitze sind auch in der rechten Lünette abgebildet.
Der Pfau gilt seit dem frühen Christentum als Symbol für Auferstehung und Unsterblichkeit (für die Großansicht einfach anklicken) |
In den seitlichen Fensteröffnungen des Raumes sitzen ein Pfau und eine Taube, auch sie Symbole, und zwar für die Auferstehung und den Heiligen Geist. Die Kirschen sind wegen ihrer Farbe und des roten Saftes Sinnbilder für das Blutopfer Christi. Die beiden Zinkkannen am unteren linken und die Schale mit dem Salbgefäß am rechten Bildrand könnten wiederum auf die dem Abendmahl vorangegangene Fußwaschung (Johannes 13,1-11) anspielen. Unterhalb des Pfaus steht auf der Konsole der Sitzbank eine Vase mit weißen, rosafarbenen und roten Rosen. Sie trägt die Signatur der Auftraggeber für Ghirlandaios Fresko, des Konvents der Humiliaten von Ognissanti: Die Buchstaben „OSSCI“ stehen für „Omnes Sancti“; weitere Signaturen finden sich links und rechts an den Wangen der Sitzbank sowie auf dem Geschirr rechts unten; sie „bringen den Wunsch der Humiliaten auf Einbeziehung in das Heilsgeschehen zum Ausdruck“ (Ohlig 2000, S. 212).
Auftraggeber für Ghirlandaios Fresko war der Konvent der Humiliaten |
Leonardo da Vinci hat Ghirlandaios Fresko in Florenz sicherlich sehen können – es ist das Vorbild für sein berühmtes Abendmahl in Mailand und verdankt ihm den Landschaftsausblick, die Gruppenbildung der Jünger (Leonardo fasst dann jeweils drei der Jünger zusammen) wie auch manche der Gesten (siehe meinen Post „L’ultima cena“). Arthur Rosenauer hat Ghirlandaios Wandgemälde deswegen mit Recht einen „Meilenstein auf dem Weg zu Leonardo“ genannt (Rosenauer 1969, S. 72).
In und vor Ghirlandaios Fresko liefen die Bank- und die Tischpodeste an den Wänden entlang, Bildpersonal und Betrachter saßen jeweils mit dem Rücken zur Wand, der Raum vor dem Tisch blieb frei; die um Christus gruppierten Jünger dienten den Mönchen als Spiegelbild und Legitimation ihrer eigenen gemeinschaftlichen Lebensform. Im Teilen des Mahles, im Zusammen-Essen wurden für die Ordensmitglieder Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl erfahrbar; ihr Ziel wiederum war die kommende himmlische Tischgemeinschaft mit Christus, wie sie z. B. in Matthäus 26,29 von ihm verheißen wird: „Ich sage euch: Ich werden von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an den Tag, an dem ich von neuem davon trinken werde mit euch in meines Vaters Reich“ (LUT).
Literaturhinweise
Kecks, Ronald G.: Domenico Ghirlandaio und die
Malerei der Florentiner Frührenaissance. Deutscher Kunstverlag, München/Berlin
2000;
Marchand, Eckart: Una mensa fighure d’apostoli e del nostro signiore. Ghirlandaios
Abendmahlsdarstellungen. In: Michael Rohlmann (Hrsg.), Domenico Ghirlandaio. Künstlerische
Konstruktion von Identität im Florenz der Renaissance. VDG, Weimar 2003, S.
89-128;
Monstadt, Brigitte: Bemerkungen zu Ghirlandaios Florentiner Abendmahlsfresken. In: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 36 (1992), S. 236-250;
Monstadt, Brigitte: Judas beim Abendmahl.
Figurenkonstellation und Bedeutung in Darstellungen von Giotto bis Andrea del
Sarto. scaneg Verlag, München 1995, S. 219-239;
Ohlig, Stefanie Felicitas: Florentiner
Refektorien. Form, Funktion und die Programme ihrer Fresken. Hänsel-Hohenhausen,
Egelsbach 2000, S. 197-213;
Quermann, Andreas: Ghirlandaio. Könemann
Verlagsgesellschaft, Köln 1998, S. 26-35;
Rohlmann, Michael: Ghirlandaios Florenz. In: Michael Rohlmann (Hrsg.), Domenico Ghirlandaio. Künstlerische Konstruktion von Identität im Florenz der Renaissance. VDG, Weimar 2003, S. 9-61;
Rosenauer, Artur: Zum Stil der frühen Werke Domenico Ghirlandajos. In: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 22 (1969), S. 59-85;
Rohlmann, Michael: Ghirlandaios Florenz. In: Michael Rohlmann (Hrsg.), Domenico Ghirlandaio. Künstlerische Konstruktion von Identität im Florenz der Renaissance. VDG, Weimar 2003, S. 9-61;
Rosenauer, Artur: Zum Stil der frühen Werke Domenico Ghirlandajos. In: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 22 (1969), S. 59-85;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999
Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 23. September 2020)
(zuletzt bearbeitet am 23. September 2020)