Peter Paul Rubens: Die Geißblattlaube (1609); München, Alte Pinakothek (für die Großansicht einfach anklicken) |
Ende 1609, spätestens 1610 entstand das
Hochzeitsbild, wohl für die Schwiegereltern, das unter dem Namen Die
Geißblattlaube berühmt geworden ist. Denn in einer von Geißblatt bewachsenen
Gartenlaube sitzt das vor kurzem getraute Paar. Die junge Ehefrau kniet vorn
auf dem Wiesenboden. Sie trägt einen hohen Schäferhut neuester Mode mit
hochgeklappter Krempe und Lederband, darunter ein Spitzenhäubchen. Ein
Mühlsteinkragen aus Spitze umschließt ihr Gesicht. Über dem silberweißen
Seidenmieder mit eingewebten goldenen Blumen trägt sie den Vliegher, den der verheirateten Frau vorbehaltenen Überrock; die
Ärmel sind im selben Muster wie an Haube und Kragen mit Spitzenmanschetten versehen,
wohl niederländische Klöppelspitzen. Der violette, mit einer Goldbordüre
besetzte Rock ist weit über den Boden gebreitet, rechts vorn lässt er den
Unterrock sehen. Neben der kostspieligen Kleidung trägt Isabella noch
Edelsteinarmbänder, einen Diamantring, Perlenohrringe und eine Perlenagraffe an
der Hutkrempe. Ihr Blick ist dem Betrachter zugewendet, ihr Oberkörper leicht
dem Gatten zugeneigt, auf dessen rechte Hand sie die ihre legt. In ihrer Linken
hält sie einen zusammengefalteten Fächer.
Auch Rubens’ Kleidung ist auffällig elegant: Er
trägt einen hohen, schwarzen Hut mit goldverziertem Band, einen breiten
Spitzenkragen, eine Kette um den Hals, ein gefüttertes Wams mit
Schnurverzierung, schwarzseidene Pumphosen und gelbe Strümpfe, die unterhalb
der Knie von einem Band gehalten werden. Von den Schultern fällt ein dunkelbrauner,
grau gefütterter Umhang. Keine Frage, der Maler prunkt mit dem luxuriösen Lebensstandard,
den er seiner jungen Frau bieten kann. Dabei gibt er dem Betrachter keinerlei
Hinweis auf seine Profession.
Als ganzfiguriges, annähernd lebensgroßes Doppelbildnis (178 x 136,5 cm) eines bürgerliches Paares ist das Gemälde ohne Vorbild: Es zielt einerseits auf ein Höchstmaß an Repräsentation und lässt andererseits die Zuneigung des jungen Paares sichtbar werden. Nicht nur das Format des Gemäldes und die edle Bekleidung der Eheleute zeugen von einem hohem Statusbewusstsein und -anspruch, sondern auch der betont vorgezeigte Degen, „der außerhalb des spezifischen Betrachterkontextes im Haus der Schwiegereltern eine Verletzung des Dekorums bedeutet hätte, schließlich war das öffentliche Tragen einer solchen Blankwaffe ein Privileg des Adels“ (Büttner 2007, S. 41). Offensichtlich geht es Rubens bei dieser Selbstdarstellung darum, dem Betrachter deutlich zu machen, dass man es hier nicht mit einem subalternen Maler-Handwerker zu tun hat, sondern mit einem Patrizier und Maler-Fürsten, der seinen Auftraggebern gesellschaftlich ebenbürtig ist.
Als ganzfiguriges, annähernd lebensgroßes Doppelbildnis (178 x 136,5 cm) eines bürgerliches Paares ist das Gemälde ohne Vorbild: Es zielt einerseits auf ein Höchstmaß an Repräsentation und lässt andererseits die Zuneigung des jungen Paares sichtbar werden. Nicht nur das Format des Gemäldes und die edle Bekleidung der Eheleute zeugen von einem hohem Statusbewusstsein und -anspruch, sondern auch der betont vorgezeigte Degen, „der außerhalb des spezifischen Betrachterkontextes im Haus der Schwiegereltern eine Verletzung des Dekorums bedeutet hätte, schließlich war das öffentliche Tragen einer solchen Blankwaffe ein Privileg des Adels“ (Büttner 2007, S. 41). Offensichtlich geht es Rubens bei dieser Selbstdarstellung darum, dem Betrachter deutlich zu machen, dass man es hier nicht mit einem subalternen Maler-Handwerker zu tun hat, sondern mit einem Patrizier und Maler-Fürsten, der seinen Auftraggebern gesellschaftlich ebenbürtig ist.
Jan van Eyck: Die Arnolfini-Hochzeit (1434); London, National Gallery (für die Großansicht einfach anklicken) |
Erhöht auf der Seitenlehne einer Bank sitzend,
neigt sich Rubens ebenfalls leicht zu seiner Ehefrau hin. Sein rechter Arm ruht
auf dem Knie, der linke stützt sich mit dem Ellenbogen auf die Rückenlehne, die
Hand hält locker den Degenkorb. Betont weist deren Zeigefinger auf die
übereinandergelegten rechten Hände der Eheleute, ein seit der Antike übliches
Zeichen für das Ehegelübde, die „dextrarum iunctio“. Auch die langgezogene Krempe von Isabellas Hut zielt auf das
Händepaar. Eines der bekanntestes Beispiele für die „dextrarum iunctio“ ist die Arnolfini-Hochzeit des Jan van Eyck.
Einen weiteren Verweis auf eheliche Treue gibt das im Hintergrund rankende
Geißblatt (im Deutschen „Jelängerjelieber“), das seit dem Mittelalter als
Sinnbild ehelicher Liebe verwendet wurde. „Zudem sucht der äußere Umriss der
Figurengruppe die Idealität einer kreisig geschlossenen Form und ruft damit
Platons Vorstellung von der kugelförmigen Urgestalt des Menschen auf, deren
zusammengehörige Hälften Eros in der Liebe wieder zusammenführt“ (Kersting
2005, S. 26). Darüber hinaus erinnert das isolierte Menschenpaar in einer blühenden
Landschaft an die Glückseligkeit des Paradieses. Und auch eine Anspielung auf
die eheliche Erotik fehlt nicht: Isabellas Rocksaum fällt auf den rechten Fuß
ihres Mannes, und genau von dort zieht sich die mehrbändige Goldbordüre nach
oben, um unter der bauchigen Schneppe ihres Mieders zu verschwinden.
Isabella sitzt vor einem vollständig
geschlossenen, bergenden Laubwerk, während auf der Seite ihres Mannes der Blick
bis zum Horizont hin offensteht. Damit könnte durchaus die traditionelle
Rollenverteilung gemeint sein, die dem Mann die „Welt“ und der Frau das „Heim“
als Aufgabenbereiche zuweist. Die Unterordnung der Frau ist ohne Frage
erkennbar, entspricht aber der damaligen Auffassung von der Ehe. Rubens schafft
jedoch einen Ausgleich, indem er Isabella etwas weiter vorn sitzen lässt.
„Entscheidend aber ist der Eindruck liebevollen Verbundenseins“ (von Simson 1996,
S. 114), die selbstverständliche Zweisamkeit des Paares und die entspannte
Leichtigkeit ihrer Gesten. Isabella hat ihre Rechte mit erkennbarem Anspruch
auf die von Rubens gelegt, und er hat willig von sich Besitz ergreifen lassen.
Zugleich stützt er ihre Hand, einer sich des anderen vollkommen sicher. „Diese
Zwiesprache der Hände bildet das zwanglose Kraftzentrum des Zusammenseins und
des Bildes“ (Kersting 2005, S. 29/30). Rubens zeigt die Ehe als Liebesbund – und überwindet damit die steife, formelhafte und kontaktlose Aufreihung der Ehepartner in den flämischen Ehebildern des 16. Jahrhunderts.
In Rubens’ übergeschlagenen Beinen erkennt Julius Müller Hofstede darüber hinaus den alten Gestus des „otium sapientis“ – gemeint ist damit eine nachdenkliche, meditierende Haltung. Rubens verwendet diese Sitzfigur besonders eindrücklich in seinem Gemälde Pythagoras verteidigt die vegetarische Lebensweise von 1627, um den antiken Philosophen als „vir sapiens“ zu präsentieren. In der Geißblattlaube erscheine Rubens daher, so Müller Hofstede, nicht nur als angetrauter Ehemann, sondern auch als Humanist, zu dessen Lebensstil unabdingbar das „otium sapientis“ gehöre: „Auch darin bekundet sich seine Zugehörigkeit zur stadtbürgerlichen Elite Antwerpens“ (Müller Hofstede 1992, S. 112).
Rubens’ Gemälde wurde oben beschnitten – wann und warum dies geschehen ist, lässt sich nicht sagen. Ursprünglich zeigte das Bild den sich verjüngenden Hut von Rubens vollständig, und die Geißblatthecke war höher hinaufgezogen, wie Nachstiche belegen.
Peter Paul Rubens und Frans Snyders: Pythagoras verteidigt die vegetarische Lebensweise (um 1627); London, Windsor Castle (für die Großansicht einfach anklicken) |
Rubens’ Gemälde wurde oben beschnitten – wann und warum dies geschehen ist, lässt sich nicht sagen. Ursprünglich zeigte das Bild den sich verjüngenden Hut von Rubens vollständig, und die Geißblatthecke war höher hinaufgezogen, wie Nachstiche belegen.
Carl Ernst Christoph Hess: Die Geißblattlaube (Nachstich des Gemäldes in unbeschnittenem Zustand) |
Jacob Jordaens: Die Familie des Künstlers (1621/22); Madrid, Museo del Prado |
Literaturhinweise
Bayerische Staatsgemäldesammlungen (Hrsg.): Alte
Pinakothek. Ausgewählte Werke. Pinakothek-DuMont, München und Köln 2005, S.
306;
Büttner, Nils: Rubens. Verlag C.H. Beck, München
2007;
Kersting, Markus: „... in der Morgensonne der
Liebe“ – Die Geißblattlaube. In: Dagmar Feghelm/Markus Kersting, Rubens –
Bilder der Liebe. Prestel Verlag, München 2005, S. 24-31;
Müller Hofstede, Justus: Peter Paul Rubens 1577–1640. Selbstbildnis und Selbstverständnis. In: Ekkehard Mai/Hans Vlieghe (Hrsg.), Von Bruegel bis Rubens. Das goldene Jahrhundert der flämischen Malerei. Verlag Locher, Köln 1992, S. 103-120;
von Simson, Otto: Peter Paul Rubens (1577–1640).
Humanist, Maler, Diplomat. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1996, S. 114-117;Warnke, Martin: Rubens. Leben und Werk. DuMont Buchverlag, Köln 2011, S. 13-18.
(zuletzt bearbeitet am 25. November 2024)
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