Kreuzigungsgruppe aus der Stiftskirche in Innichen (um 1250; für die Großansicht einfach anklicken) Foto: © Almbauer. CC BY-SA 3.0 |
Die
der Gotik vorausgehende Kunstepoche der Romanik stellt den Gekreuzigten vor
allem als Christus coronatus bzw. Christus victor dar, d. h. als einen über
den Tod triumphierenden Christus. Dabei ist der Sohn Gottes meist in einer aufrecht
stehenden, frontalen, unbewegt-symmetrischen Haltung am Kreuz befestigt; die
Füße sind nebeneinander gesetzt. Mimik und Körper zeigen keinerlei Spuren von
Folter oder Schmerz; das Haupt, auf dem oft eine Krone sitzt, ist in gerader
Haltung erhoben, die Augen sind offen, das Antlitz ist das eines Lebenden. Diese
Triumphkreuze sind in der Regel überlebensgroß; meist wurden sie hoch oben an eisernen Ketten aufgehängt
oder auf einen hölzernen Balken montiert, ebenfalls in beträchtlicher Höhe.
„Die Triumphkreuze beherrschten als eschatologisches Zeichen des Sieges und
Triumphes Christi an markanter Stelle den Kirchenraum“ (Beer 2005, S. 25).
Nur
wenige Triumphkreuze sind noch in ihrem ursprünglichen architektonischen
Zusammenhang anzutreffen, selbst wenn sie sich noch an ihrem Ursprungsort
befinden. Die nördlich der Alpen entstandenen Triumphkreuze sind meist als
Skulptur gestaltet bzw. als Skulpturengruppen. Auf italienischem Boden dagegen
überwiegt bei den Triumphkreuzen eindeutig die Form der croci dipinti. Gemalte Triumphkreuze in der Art von Tafelkreuzen
gibt es im Norden nur in wenigen Ausnahmefällen.
Auch
das Triumphkreuz in Innichen ist überlebensgroß: Der Corpus des Gekreuzigten
ist 250 cm hoch (mit Suppedaneum). Seine Arme sind in leicht geschwungener
Linie fast horizontal ausgespannt, die ausgestreckten Hände knicken im Handgelenk
ein wenig nach unten. Christi Oberkörper ist extrem lang und schmal gearbeitet;
über einer eingeschnittenen Thoraxlinie sind die seitlich anschließenden Rippen
ornamental eingeritzt. Eine tiefe, rundum laufende Kerbe markiert den
Halsansatz. Ein mehrfach gedrehter Hüftwulst mit großem Knoten hält das
scheinbar dünne Lendentuch, das zahlreiche Plissefalten strukturieren.
Besonders über dem rechten Knie, wo der Stoff etwas höher liegt, ist die
Fältelung sehr dicht und die Saumkante bewegt. Der linke Oberschenkel zeichnet
sich dagegen erkennbar unter dem eng anliegenden Tuch ab, während eine diagonale
Saumkante das Knie bedeckt.
Das
längliche Antlitz Jesu wird von einer hohen, vierzackigen Lilienkrone bekrönt,
die über den großen Ohrmuscheln ansetzt. Der Blick der weit geöffneten Augen
ist geradeaus gerichtet. Unter den hochgezogenen Brauen liegen große, etwas
mandelförmige Augäpfel; die Nase ist lang und gerade, der Nasenrücken leicht
abgeflacht. Der geschlossene Mund sitzt über einem mittig geteilten Kinn, ein
Oberlippenbart mit spitzen Enden sowie ein Backenbart aus regelmäßigen
Rundlöckchen vervollständigen die Physiognomie. Auf jeder Schulter liegt eine
dünne Haarsträhne auf.
Christus als der neue Adam steht auf dem Kopf des ersten Adam |
Als Suppedaneum dient
Christus ein menschlicher Kopf – es ist der Kopf Adams, durch den der Tod in die Welt kam, weil mit ihm und vorgezeichnet von ihm alle
Menschen gesündigt haben (Römer 5,12). Christus als der neue oder auch der
„zweite“ bzw. der „letzte Adam“ (1. Korinther 15,45, LUT) hat jedoch – so die
theologische Aussage – durch seinen in freier Hingabe erlittenen,
stellvertretenden Sühnetod den Tod für alle Menschen überwunden.
Das Auflagekreuz ist nicht mehr original |
Die beiden
Assistenzfiguren Maria und Johannes stehen in blockhafter Strenge unter den
ausgebreiteten Armen Christi, als ständen sie unter seinem Schutz. Ihre Köpfe
sind leicht nach vorn und nach unten geschoben. Das ungegliederte, fest
anliegende Haupthaar des Johannes fällt hinter den großen Ohren in den Nacken
herab; Haar und Schultern Marias werden von einem Maphorion bedeckt. Maria hat
die erhobenen Hände überkreuzt und flach auf die Brust gelegt. Sie ist mit
einem Poncho-artigen Überziehmantel bekleidet, Paenula genannt, sowie einem
Untergewand, das gerade bis zu den beschuhten Füßen herabfällt. Johannes trägt
über einem Untergewand mit weiten Ärmeln eine Art Tunika, die über der rechten
Schulter liegt, über die Rückseite nach vorne führt und unter dem rechten Arm
hochgerafft wird. Mit der Linken hält der Jünger Jesu ein kleines Buch an seine
Brust, die Finger der rechten Hand liegen auf dessen Oberkante: Mit ihm ist
wohl das von Johannes verfasste Evangelium gemeint.
Johannes und Maria: blockhaft streng in gefasstem Schmerz |
Die Ausstrahlung
Christi, dieses königlichen Überwinders, der wirkt, als hätte er sich selbst,
ganz aus freien Stücken an das Kreuz gestellt, hatte damals für mich etwas
ungemein Trostreiches. War ich tief verzagt oder sehr aufgewühlt, ich kann es
nicht mehr genau sagen – ich empfand den Anblick Jesu jedenfalls als Einladung,
mich mit unter seine ausgebreiteten Arme zu stellen und wie Maria und Johannes
göttlichen Frieden zu empfangen.
In der Krypta des Doms von Bologna befindet sich eine Triumphkreuz-Gruppe, die sowohl stilistisch als auch vom Typus her eng mit dem Skulpturen-Ensemble in Innichen verbunden ist. Sie dürfte zwischen 1160 und 1180 entstanden sein. Auch hier sind die Figuren streng frontal ausgerichtet, wirken allerdings schlanker; Maria und Johannes scheinen ganz in sich versunken, was durch die geschlossene Umriss-Silhouette betont wird, und zeigen, zugunsten einer gänzlich hieratischen Darstellung, keinerlei emotionale Bewegung.
Kreuzigungsgruppe (um 1160/1180); Bologna, San Pietro |
Triumphkreuz (um 1200); Wien, Belvedere |
Glossar
Maphorion: Schleier, der auf
bildlichen Darstellungen Haar und Schultern der Mutter Jesu bedeckt
Suppedaneum:
Fußbrett bei einer Kreuzigung
Literaturhinweise
Beer, Manuela:
Triumphkreuze des Mittelalters. Ein Beitrag zu Typus und Genese im 12. und 13.
Jahrhundert. Verlag Schnell & Steiner, Regensburg: Schnell & Steiner
2005, S. 651-656;
LUT = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 25. April 2024)
LUT = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 25. April 2024)