Parmigianino: Selbstbildnis im Konvexspiegel (1523/24); Wien, Kunsthistorisches Museum |
Im Herbst 1524 schenkte der
italienische Maler Parmigianino (1503–1540) Papst Clemens VII. eines der
ungewöhnlichsten Selbstporträts, die in der Frühen Neuzeit entstanden sind: Der
Künstler hatte als Bildträger die hölzerne Nachbildung eines mittelgroßen
Konvexspiegels gewählt und auf dessen gewölbte Fläche sein Bildnis als verzerrte
Spiegelung gemalt (Durchmesser 24,4 cm). Der heutige breite Rahmen – das Werk
ist im Kunsthistorischen Museum Wien ausgestellt – macht allerdings die
ursprünglich beabsichtigte Fiktion eines alltäglichen Gebrauchsgegenstandes
zunichte. Denn gemeint war einer jener einfachen Rundspiegel, wie sie vor allem
in Venedig hergestellt wurden, als der teurere, zumeist viereckige Flachspiegel
sich noch nicht durchgesetzt hatte. Die Malfläche erhält bei Parmigianino also
den Anschein eines Spiegels, das gemalte Porträt den Anschein einer natürlichen
Spiegelung.
Fingiert ist folgende reale Situation:
Der auffallend jugendliche, beinahe knabenhafte Künstler zeigt sich sitzend in
einem Raum mit Kassettendecke und hochgelegenem Fenster. Offenbar handelt es
sich um sein Atelier, denn am rechten Rand des Bildes erscheint eine Staffelei.
Der runde glänzende Spiegel davor deutet auf einen halb abgewendeten
Rundspiegel seitlich der Staffelei. Die Entstehungssituation des künftigen
Selbstbildnisses ist hier simuliert. Doch der Porträtierte blickt nicht in den
Spiegel im Bild, sondern aus dem Bild heraus, was bedeutet, dass er
sich dem wirklichen Spiegel, also der vorgewölbten Malfläche des Bildes
zuzuwenden scheint.
Dabei hält Parmigianino dem Betrachter
die lässig abgelegte, bizarr vergrößerte und überlängte rechte Hand entgegen. Obwohl sie am unteren Bildrand platziert ist, zieht sie durch ihre Vergrößerung die Aufmerksamkeit auf sich, noch bevor der Betrachter sich dem Gesicht zuwendet. Das Haupt besetzt zwar den Mittelpunkt des Bildes, befindet sich aber in größerer Distanz zum Spiegel und fällt deshalb im Vergleich zur Hand eher klein aus. Die Hand bildet „eine
abschirmende Schranke, hinter der der Kopf um so sicherer an der vom Kragen bis
zum Scheitel markierten Achse entlang aufragen kann“ (Warnke 1997, S. 108). Durch
das gemeinsame Inkarnat sind Kopf und Hand deutlich aufeinander bezogen: Es ist
der Kopf, der die Hand aktiviert; nicht nur die Hand, sondern auch die Erfindungsgabe ist entscheidend, wenn ein bedeutsames Werk entstehen soll. Parmigianino betont auf diese Weise, dass es sich bei der Malerei ganz wesentlich um einen intellektuellen Prozess handelt.
Das Handgelenk des Künstlers wächst
regelrecht aus einer feinen Hemdrüsche hervor. Die vier Finger sind entspannt
ausgestreckt; den kleinen Finger ziert ein Goldring, der Daumen bleibt hinter
dem aufgelegten Handrücken verborgen. „Daß die Hand ruht und keinen Pinsel mehr
hält, mit dem doch die Tondo-Tafel gemalt worden ist, zeugt von der Vollendung
des Werks“ (Winner 2005, S. 102). Parmigianinos Gesicht ist im Vergleich zur
rechten Hand und dem stark fluchtenden Hintergrund nahezu unverzerrt
wiedergegeben – hierbei dürfte ein flacher oder anders gewölbter Spiegel zum
Einsatz gekommen sein.
Entgegen der Atelierrealität zeigt
Parmigianino sich in einem pelzbesetzten Wams, also in vornehmer, hoffähiger
Kleidung nach der aktuellen Mode. „Sie erinnert daran, dass in der Frühzeit der
Gattung Selbstporträt (...) die Kleidung nicht die soziale Wirklichkeit,
sondern den sozialen Anspruch des Malers spiegelt“ (Preimesberger 2005, S. 50).
Parmigianino ist, wie Sylvia Ferino-Pagden feststellt, der erste italienische
Maler, der sich in seinem Atelier darstellt und damit seine Profession preisgibt:
„Bis fast zur Mitte des 16. Jahrhunderts zogen gerade die italienischen Maler
es vor, sich als Gentleman darzustellen, ohne Hinweise auf ihre
Arbeitsinstrumente, wahrscheinlich um nicht Gefahr zu laufen, wieder unter die
,artes mechanicae‘ gereiht zu werden“ (Ferino-Pagden 2003, S. 50).
Martin Warnke
sieht in dem extravaganten, in äußerst reduziertem Farbspektrum ausgeführten Kunstwerk vor allem „ein Bewerbungsstück“
(Warnke 1997, S. 110) des einundzwanzigjährigen Malers, mit dem er seine
Originalität unter Beweis stellen und sich im päpstlichen Rom potentiellen
Auftraggebern empfehlen wollte. Seit dem 15. Jahrhundert war es übliche Praxis, dass Künstler unaufgefordert Arbeiten an Höfe oder Fürsten sandten, um sich in Erinnerung oder ins Gespräch zu bringen. Für Matthias Winner schließlich zeigt Parmigianinos Selbstbildnis
„nichts anderes als das körperhafte Bild einer überdimensionalen Pupille“
(Winner 2005, S. 113), denn die flache Wölbung des hölzernen Malgrunds folge
nicht dem steileren Reliefgrund eines Konvexspiegels, sondern ähnele
proportional dem abgeflachten Profil des menschlichen Sehlochs.
Literaturhinweise
Literaturhinweise
Ferino-Pagden, Sylvia: Parmigianinos Selbstporträt:
Materie und Reflex. In: Sylvia Ferino-Pagden (Hrsg.), Parmigianino und der
europäische Manierismus. Silvana Editoriale, Mailand 2003, S. 43-55;
Haselstein, Ulla: Selbstporträts im Konvexspiegel: Parmigianino und Ashbery. In: Erika Greber/Bettine Menke (Hrsg.), Manier – Manieren – Manierismen. Gunter Narr Verlag, Tübingen 2003, S. 41-62;
Preimesberger, Rudolf: Giorgio Vasari:
Ursprungslegende eines Selbstporträts (1550). In: Rudolf Preimesberger u.a.
(Hrsg.), Porträt. Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und
Kommentaren. Diettrich Reimer Verlag, Berlin 1999, S. 262-273;
Preimesberger, Rudolf: Parmigianino, Selbstbildnis
im Konvexspiegel, 1523/24. In: Ulrich Pfisterer/Valeska von Rosen, Valeska (Hrsg.): Der
Künstler als Kunstwerk. Selbstporträts vom Mittelalter bis zur Gegenwart.
Philipp Reclam, Stuttgart 2005, S. 50;
Warnke, Martin: Der Kopf in der Hand. In: Martin Warnke, Nah und Fern zum Bilde. Beiträge zu Kunst und Kunsttheorie. DuMont Buchverlag, Köln 1997, S. 108-120;
Warnke, Martin: Der Kopf in der Hand. In: Martin Warnke, Nah und Fern zum Bilde. Beiträge zu Kunst und Kunsttheorie. DuMont Buchverlag, Köln 1997, S. 108-120;
Winner, Matthias: Das ›O‹ von Lorenzo Lotto und
Parmigianinos Selbstbildnis im Konvexspiegel. In: Römisches Jahrbuch der
Bibliotheca Hertziana 36 (2005), S. 93-116.
(zuletzt bearbeitet am 28. April 2023)
(zuletzt bearbeitet am 28. April 2023)