Albrecht Dürer: Der heilige Eustachius (um 1501); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Die Legenda
aurea berichtet von der wunderbaren Bekehrung des römischen Feldherrn
Placidus, der im Dienst des Kaisers Trajan stand. Auf der Jagd verfolgte er
einen mächtigen Hirsch; als er ihn auf einem Felsen stellte, wurde der Jäger
von einer hellen Lichterscheinung geblendet – das Kreuz Christi erschien im
Geweih des Hirsches, und Christus selbst sprach durch den Mund des Tieres zu
ihm: „Eustachius, was jagst du mich, glaube mir, ich bin Christus und habe
lange nach dir gejagt.“ Der Jäger bekehrte sich daraufhin zum Christentum und
nahm den griechischen Namen Eustachius an. Eustachius, dessen Legende der des
heiligen Hubertus verwandt ist, genoss als Jagdpatron und einer der vierzehn
Nothelfer im späten 15. Jahrhundert große Popularität.
Albrecht Dürers Kupferstich – um 1501 entstanden
und sein größter überhaupt – präsentiert die Begebenheit in einer rauen, von
geborstenen Bäumen bestandenen Berglandschaft nahe einer Steilküste. Der
Bildhintergrund wird von einer Höhenburg dominiert, zu der im Mittelgrund ein
Torturm und eine Vorburg gehören. Am linken Rand ist in der Ferne eine weitere
Burg zu erkennen, während rechts der Meeresspiegel und eine abgelegene Küste zu
zwei einfachen Linien reduziert sind. Der Nürnberger Künstler scheint die
Legende vor allem zum Anlass für eine detailreiche Naturdarstellung zu nehmen,
„die sich teppichartig über die Bildfläche breitet“ (Schoch 2000, S. 94). Das
eigentliche Geschehen tritt dagegen deutlich zurück: Wie eine Randfigur
erscheint der Heilige im zeitgenössischen Jagdkostüm mit kurzem Wams,
Beinkleidern, Stulpen, Fellmütze und Falknerhandschuhen. Allerdings vermisst man
außer einem Hirschfänger mit Horngriff die klassischen Jagdwaffen wie Armbrust,
Bogen oder Saufeder.
Der Jäger ist auf die Knie gesunken und erhebt die Hände zu einer Geste, die Erstaunen und Anbetung zugleich ausdrückt. Der Gegenstand seiner Verehrung, der wundersame Hirsch, ist zwischen dem Geäst der Bäume gar nicht auf Anhieb auszumachen. Eben noch gejagt, wird das Wildtier nun zum Symbol „für die irdischen Gefährdungen, denen sich der menschgewordene Gottessohn aussetzte. Der scheue Hirsch unterstreicht mit seinem Erscheinen am Waldesrand zugleich das Empfinden, wie kostbar und kurz der Augenblick ist, in dem sich das Geschehen ereignet“ (Schmitt 2012, S. 163). Dürer verbirgt das entscheidende Motiv weitab von der breit geschilderten Szenerie im Vordergrund verbirgt. Der Betrachter muss das Bild regelrecht durchforsten, um zu erfassen, was eigentlich dargestellt ist. „Während man den Stich besonders aufmerksam anschaut, eignet man sich die Erzählung an. Diese Aufmerksamkeit zu schärfen, indem der Fokus der Handlung aus dem Blick gerückt wird, ist wahrscheinlich Teil von Dürers Erzählstrategie“ (Schmitt 2912, S. 163).
Der Jäger ist auf die Knie gesunken und erhebt die Hände zu einer Geste, die Erstaunen und Anbetung zugleich ausdrückt. Der Gegenstand seiner Verehrung, der wundersame Hirsch, ist zwischen dem Geäst der Bäume gar nicht auf Anhieb auszumachen. Eben noch gejagt, wird das Wildtier nun zum Symbol „für die irdischen Gefährdungen, denen sich der menschgewordene Gottessohn aussetzte. Der scheue Hirsch unterstreicht mit seinem Erscheinen am Waldesrand zugleich das Empfinden, wie kostbar und kurz der Augenblick ist, in dem sich das Geschehen ereignet“ (Schmitt 2012, S. 163). Dürer verbirgt das entscheidende Motiv weitab von der breit geschilderten Szenerie im Vordergrund verbirgt. Der Betrachter muss das Bild regelrecht durchforsten, um zu erfassen, was eigentlich dargestellt ist. „Während man den Stich besonders aufmerksam anschaut, eignet man sich die Erzählung an. Diese Aufmerksamkeit zu schärfen, indem der Fokus der Handlung aus dem Blick gerückt wird, ist wahrscheinlich Teil von Dürers Erzählstrategie“ (Schmitt 2912, S. 163).
Aufmerksamkeit beanspruchen zunächst das Pferd und die fünf Windhunde des
Jägers im Vordergrund. Mit einer Ausnahme sind sie in reiner Seitenansicht
wiedergegeben und ohne Überschneidungen auf der Fläche verteilt – „wie eine
Sammlung selbständiger Naturstudien auf einem Musterblatt“ (Schoch 2000, S.
94). Der mit Abstand auffälligste Bildgegenstand ist freilich – szenisch
eigentlich völlig nachrangig – der Schimmel des Eustachius. Er fällt dem
Betrachter nicht nur durch seine schiere Größe sofort ins Auge, sondern auch
durch seine ruhigere, helltonigere grafische Struktur und durch seinen aus dem
Bild auf uns gerichteten Blick. Hinzu kommt, dass Dürer sehr bewusst in Kopf,
Hals und Vorderhand des Tieres die Mittelachse des Battes fortsetzt, die durch
einen abgestorbenen Baum betont wird. In seinen wesentlichen Teilen ist das
Pferd von Dürer konstruiert: So lässt sich der Rumpf einem Quadrat
einschreiben, während der Kontur von Bauch, Brustschild und Hals dem Bogen
eines mit dem Zirkel geschlagenen Kreissegments folgt.
Die Verehrung Christi geht in Dürers Kupferstich einher mit der
Verherrlichung der Schöpfung. Von den Pflänzchen im Vordergrund über die Brücke
mit dem Schwanenteich bis zu dem Vogelschwarm, der den Burgberg umkreist, ist
jede Einzelheit mit derselben Genauigkeit geschildert, sodass winzige Details
wie der Ritter, der den Burgberg hinaufreitet, oder der Falke, der einen
Singvogel schlägt, „im Motivreichtum dieses Mikrokosmos untergehen“ (Schoch
2000, S. 94). Um die den Turm anfliegenden Vögel überhaupt darstellen zu können, hat Dürer sie auf Punkte reduziert; zum Vogelschwarm werden diese Punkte, indem er sie in einer Flugformation anordnet und an einer der Spitzen verdichtet.
Antonio Pisanello: Vision des hl. Eustachius (um 1438-1442); London, National Gallery (für die Großansicht einfach anklicken |
Aus der Vielzahl von Naturstudien, die Dürer für
seine Komposition verwendet haben muss, ist nur eine einzige, mit dem Pinsel
gezeichnete Hundestudie in Windsor Castle erhalten geblieben. Der berühmte
italienische Künstlerbiograf Giorgio Vasari (1511–1574) war sehr beeindruckt
von Dürers Kupferstich und lobte 1568 unübertreffliche Schönheit der Hunde in
ihren unterschiedlichen Posen. Auch Dürer selbst schätzte das Blatt als
besondere Leistung seiner Hand: Noch auf seiner niederländischen Reise 1521,
also rund 20 Jahre nach Erscheinen des Stiches, verschenkte oder verkaufte er
den „Eustachium“ mindestens sechs Mal. Als mögliche Quellen für Dürers Arbeit
haben Kunsthistoriker auf ein Tafelbild des italienschen Malers Antonio
Pisanello (1395–1455) verwiesen: In der Anlage der Szene zeigen die beiden
Kunstwerke auffallende Parallelen.
Gerhard Marcks: Hubertuswunder (1921); Holzschnitt |
Literaturhinweise
Panofsky, Erwin: Das Leben und die Kunst
Albrecht Dürers. Rogner & Bernhard, München 1977 (zuerst erschienen 1943),
S. 108-109;
Schauerte, Thomas: Albrecht Dürer – Das große
Glück. Kunst im Zeichen des geistigen Aufbruchs. Rasch Verlag, Bramsche 2003,
S. 55-57;
Schmitt, Lothar: Der frühe Dürer und der Kupferstich im 15. Jahrhundert. In: Daniel Hess/Thomas Eser, Der frühe Dürer. Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 2012, S. 160-170;
Schmitt, Lothar: Der frühe Dürer und der Kupferstich im 15. Jahrhundert. In: Daniel Hess/Thomas Eser, Der frühe Dürer. Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 2012, S. 160-170;
Schoch, Rainer: Der heilige Eustachius. In:
Matthias Mende u.a. (Hrsg.), Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band I:
Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München 2000, S. 92-95;
Sonnabend, Martin (Hrsg.): Albrecht Dürer. Die Druckgraphiken im Städel Museum. Städel Museum, Frankfurt am Main 2007, S. 94.
(zuletzt bearbeitet am 31. Juli 2023)
Sonnabend, Martin (Hrsg.): Albrecht Dürer. Die Druckgraphiken im Städel Museum. Städel Museum, Frankfurt am Main 2007, S. 94.
(zuletzt bearbeitet am 31. Juli 2023)