Oskar Kokoschka: Bildnis Auguste Forel (1910); Mannheim, Kunsthalle (für die Großansicht einfach anklicken) |
Wie der größte Teil seiner frühen
Bildnisse hat Kokoschka den berühmten Schweizer Psychiater und Hirnforscher als
Halbfigur porträtiert. Die Farbigkeit ist dabei recht zurückhaltend ausgefallen:
Sie changiert zwischen Siena-, Umbra- und Brauntönen, die zudem sehr
dünnflüssig aufgetragen sind und die Struktur der Leinwand durchscheinen
lassen. Damit weicht Kokoschka deutlich von den kräftigen, kontrastreich
gesetzten Farben seiner expressionistischen Malerfreunde ab.
Kopf und Hände Forels sind vor dem
nicht näher bestimmbaren Hintergrund besonders herausgearbeitet. Auch bei
diesem Porträt setzt Kokoschka ein für ihn typisches Gestaltungsmittel ein:
kalligrafische, kratzende Eingriffe in die Farbfläche, etwa mit dem Ende des
Pinsels. Sie sind ein grafisches Element, mit dem der Künstler z. B. die
Gesichtszüge überzieht, indem er in die nasse Farbe nervöse Linien einritzt.
Nur die dunkelbraunen, weit geöffneten Augen, deren Ausdruck zwischen
Konzentration und Erschöpfung schwanken, bringen ein beruhigendes Moment in die
zeichnerisch aufgewühlte Gesichtslandschaft.
Der
Oberkörper Forels, den Kokoschka von links zeigt, ist nur schemenhaft
angedeutet. Der Oberarm verläuft parallel zum rechen, der Unterarm horizontal
zum unteren Bildrand. Hier greifen keine eingeritzten Schraffuren in die Oberfläche
ein, die Umrisslinien scheinen vielmehr fleckig in den Hintergrund überzugehen.
Lediglich das Händepaar am linken unteren Bildeck ist mit dunkelrot-braunen
Pinselstrichen deutlich hervorgehoben.
Die
altersbedingt gichtknöchigen Hände hat Kokoschka ebenfalls durch Kratzungen
betont, die durchsichtig gewordene Haut des alten Mannes durch stumpfe
Abschabungen akzentuiert, die den hellen Leinwandgrund freilegen. Über die
verbleibende freie Hintergrundfläche sind abstrakte Ornamente in Form von sternförmigen,
gekräuselten oder geschlängelten Einritzungen verteilt. Vereinzelt finden sie
sich auch auf Forels Oberkörper.
Vermittelt wurde der Porträtauftrag durch den Wiener Architekten Otto Wagner, der sich für den
damals 24-jährigen Kokoschka einsetzte. Forel hatte sich vorbehalten, das
Bildnis zurückweisen zu können (und nicht bezahlen zu müssen), sollte es ihm
nicht gefallen – und das tat er auch. Offensichtlich störte Forel vor allem,
dass Kokoschka ihn zeigte, als habe er einen Schlaganfall erlitten. Das
Bildnis gelangte deswegen in den Kunsthandel und wurde 1913 von der Kunsthalle
Mannheim erworben. 1912, zwei Jahre nach der Entstehung des Gemäldes, erlitt
Forel übrigens tatsächlich einen Schlaganfall und ähnelte danach sehr der Darstellung
auf Kokoschkas Leinwand.
Literaturhinweis
Natter, Tobias G. (Hrsg.): Oskar Kokoschka. Das moderne
Bildnis 1909 bis 1914. DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2002.
(zuletzt bearbeitet am 4. November 2021)
(zuletzt bearbeitet am 4. November 2021)