Lucas Cranach d.Ä.: Stigmatisation des Hl. Franziskus (1502/03); Wien, Belvedere (für die Großansicht anklicken) |
Lucas Cranach d.Ä. (1472–1553) hat dieses zentrale Ereignis im Leben des Franziskus um 1502/03 auf einer schmalen, hochformatigen Tafel wiedergegeben. Es ist in seiner Wiener Zeit entstanden (1502–1505) und zählt zu seinem expressiven Frühwerk. Giotto und Pietro Lorenzetti hatten das Geschehen auf ihren berühmten Wandbildern (Assisi, San Francesco; Ende des 13. Jhs.) in einer gebirgigen Einöde angesiedelt – Cranach verlegt es dagegen in ein begrüntes Tal. Auch Albrecht Dürer wählt für einen themengleichen Holzschnitt, der um 1503 entstanden sein dürfte, ein von Bäumen und Strauchwerk bewachsenes Gelände als Szenerie.
Albrecht Dürer: Stigmatisation des hl. Franziskus (um 1503/04); Holzschnitt |
Im Vordergrund kniet Franziskus, sein linkes Bein weit nach vorn schiebend. Erschrocken reißt er die Hände in die Höhe und richtet den Blick starr auf die Himmelserscheinung. Die Hände rahmen auf diese Weise den zurückgeworfenen, wuchtigen Kopf; in den Handflächen sind die Stigmata bereits sichtbar. Hinterfangen werden Kopf und Hände von der flächigen, metallen-goldene Scheibe des Nimbus. Breite Bleiweißstreifen betonen das verkürzte Gesicht sowie die Hände und Füße des Heiligen. Eine stoffreiche Kutte, die sich an der rechten Brustseite öffnet und das Aufspringen der Seitenwunde erkennen lässt, spiegelt das saftige Grün der Vegetation. Ihre üppigen, wulstigen Falten umkreisen die Arme und Schultern des Heiligen. Eine Eiche, die sich links wie ein Bogen vom unteren bis zum oberen Bildrand dehnt, klemmt Franziskus regelrecht in den Vordergrund des Bildes ein; ihre dynamische Form spielt die Dramatik des dargestellten Augenblicks. Ein so im Vordergrund positionierter Baum erscheint erstmals in Cranachs Ölberg-Holzschnitt von 1502.
Lucas Cranach d.Ä.: Christus am Ölberg (1502); Holzschnitt |
Die Figurengruppe ist von einer urwüchsigen, der Franziskus-Tafel vergleichbaren Landschaft hinterfangen, die jedoch im Unterschied zu dieser eine geringere Tiefenräumlichkeit entfaltet. Valentins Pontifikaltracht ist außerordentlich prunkvoll: Neben dem roten, goldgesäumten Pluviale mit goldener Schließe sind vor allem Mitra und Krummstab sehr kunstvoll und kostbar gearbeitet. Die Vorderseite der mit Perlen bestickten Bischofsmütze ziert die plastische Darstellung der Maria mit Kind im Typus einer Mondsichelmadonna. „Die Krümme des goldenen Stabs ist von expressivem, nahezu organischem Charakter, der die wild wachsende Natur des landschaftlichen Hintergrunds widerspiegelt“ (Messling/Richter 2022, S. 94).
Lucas Cranach d.Ä.: Der hl. Valentin präsentiert einen Stifter (1502/03); Wien, Akademie der bildenden Künste |
Dass beide Tafeln zusammengehören, legen nicht nur die sehr ähnlichen Maße und ihre eng verwandte Komposition nahe. Übereinstimmend ist auch die Machart der Heiligenscheine, die sich ansonsten in Cranachs Werk nicht findet: Die Nimben sind mit poliertem Blattgold belegt und durch konzentrische Kreise unterteilt, die äquidistant mit dem Zirkel gezogen wurden. Die Einstichstelle ist in der Röntgenaufnahme des Franziskus gut zu erkennen. Unklar ist bislang, welchen Platz die beiden Tafeln ursprünglich in einem Altar-Ensemble eingenommen haben. Die Figurenanordnung legt nahe, dass beide Bilder einst auf der linken Seite angebracht waren: „Der Hl. Valentin bildete dabei wohl die Innenseite des linken Flügels, sodass der betende Stifter bei geöffnetem Altar auf die ursprüngliche Mittelzone ausgerichtet war“ (Messling/Richter 2022, S. 95).
Cranachs Stigmatisation des hl. Franziskus ähnelt dem bereits erwähnten Dürer-Holzschnitt nicht nur durch das Naturambiente, verwandt sind auch – seitenverkehrt und detailgetreu – die groß gesehenen Figuren und das Kreuz. Vor allem die Körperhaltung des Heiligen mit dem aufgestellten rechten Bein scheint von Dürer zu stammen. Cranach versetzt seinen Franziskus allerdings mit den höher erhobenen Armen in eine größere Körperspannung und verleiht dem Charakterkopf noch individuellere Züge.
Literaturhinweise
Brinkmann, Bodo (Hrsg.): Cranach der Ältere. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2007, S. 122;
Messling, Guido/Richter, Kerstin (Hrsg.): Cranach. Die Anfänge in Wien. Hirmer Verlag. München 2022, S. 94-95;
Stadlober, Margit: Der Wald in der Malerei und der Graphik des Donaustils. Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2006, S. 175-177.
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