Dienstag, 2. Januar 2024

Kühle Ingenieurskunst – „Der Eiserne Steg“ von Max Beckmann

Max Beckmann: Der Eiserne Steg (1922); Düsseldorf,
Kunstsammlung NRW (für die Großansicht einfach anklicken)

In den 1920er-Jahren gehören Stadtansichten von Frankfurt zu den zentralen Bildmotiven Max Beckmanns. Beckmann lebte von 1915 bis 1937 in Frankfurt und entwickelte in dieser Zeit seinen ihn kennzeichnenden Stil zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit. Seit 1925 hatte er eine Stelle als Meisterlehrer an der Städelschule inne, die ihm direkt nach der Machtergreifung Hitlers im Zug der nationalsozialistischen Kampagne gegen die „Entartete Kunst“ fristlos gekündigt wurde.

Max Beckmann: Die Synagoge in Frankfurt am Main (1919); Frankfurt, Städel Museum
(für die Großansicht einfach anklicken)

Den Beginn von Beckmanns Stadtansichten bildet Die Synagoge in Frankfurt am Main (1919). Eine der bekanntesten Arbeiten dieser Werkgruppe ist das Gemälde Der Eiserne Steg von 1922. Dominiert wird die Komposition von der gleichnamigen Fußgängerbrücke, die, hier in steiler Aufsicht gezeigt, die Frankfurter Stadtteile Römerberg und Sachsenhausen miteinander verbindet und nur wenige Gehminuten von Beckmanns damaligem Atelier gelegen ist. Majestätisch und kühl beherrscht das 1868/69 von Peter Wilhelm Schmick erbaute Stahlgerüst die diagonale Bildachse, während die Fassade der neugotischen Dreikönigskirche einen architektonischen Akzent im Hintergrund links setzt. Kennzeichen der zunehmenden Industrialisierung, darunter das auf dem Main dahingleitende Dampfschiff und der rauchende Fabrikschornstein im Hintergrund, überragen die verloren wirkenden Gestalten der wenigen winzigen Stadtbewohner. Die Menschen sind insbesondere im Verhältnis zum Eisernen Steg minimalisiert. Sie wirken eher wie Komparsen und scheinen der hochgelobten technischen Neuerung, die damals großes Aufsehen erregte, untergeordnet. Sachsenhausen selbst ist erstaunlicherweise menschenleer.

Der Blick auf das Sachsenhäuser Ufer mit der zwischen 1875 und 1880 erbauten Dreikönigskirche entspricht noch der heutigen Ansicht; der große rote Schornstein sowie die drei am Horizont auftauchenden Fabrikschlote sind eine Erfindung Beckmanns. Die grün umzäunte Badeanstalt existiert heute nicht mehr. Auf dem Main zieht ein Schlepper namens „MAINZ“ ein Floß, dessen Fahrwasserwellen ein Ruderboot mit drei Personen umspült, und am diesseitigen Ufer sind als weitere Eisenkonstruktionen ein Kran und ein Bagger abgebildet. Ebenso wie in Beckmanns Bild Das Nizza in Frankfurt am Main von 1921 ist hier weitestgehend die tatsächlich bestehende Ansicht einer Stadt zu erkennen.

Max Beckmann: Das Nizza in Frankfurt am Main (1921); Basel,
Kunstmuseum (für die Großansicht einfach anklicken)
Eine klare Z-Form verbindet die drei Ebenen der Komposition: Gebildet wird sie aus den schrägen Linien der Telegrafendrähte von links oben nach rechts, die Diagonalen der in die Tiefe fliehenden, auf vier massiven Steinpfeilern ruhenden Brückenkonstruktion, die die hintere mit der vorderen Ebene verbindet, und der Schräge in der Ecke links unten. Trotz der dynamischen Brücken-Diagonale wirkt Beckmanns Gemälde statisch. „Die klar abgegrenzten Gegenstände sind starr, isoliert, collagenhaft montiert. Die mit einem feinen Pinsel Detail für Detail glatt und exakt gemalten Gegenstände, präzise schwarz konturiert, unterstützen den Eindruck des Unbewegten“ (Harter 1990, S. 88). Die Rauchwolken, die wie „eingefroren“ und kondensiert erscheinen, entsprechen den Laubkronen am Sachsenhäuser Ufer. Der Eindruck des Erkalteten und Starren wird von dem metallischen Grau sowie den kühlen Grüntönen unterstützt. „Die Strenge der Komposition, die Isolation der Dinge, der Puppencharakter der Figuren und die »naiven« Wölkchen geben der Ansicht das Aussehen einer aus dem Holzbaukasten zusammengesetzten Spielzeugstadt“ (Harter 1990, S. 88).

Max Beckmann: Eisgang (1923); Frankfurt, Städel Museum (für die Großansicht einfach anklicken)

Der melancholische Unterton, der in Beckmanns Gemälde vernehmbar ist, tritt in der thematisch eng verwandten Folgearbeit Eisgang noch stärker in den Vordergrund. Gegenstand des Bildes ist erneut die Fußgängerbrücke über den Main, die nunmehr an einem kalten Wintermorgen vom westlichen Sachsenhäuser Ufer in den Blick genommen wird. Obgleich der Dom Sankt Bartholomäus hinter dem Eisernen Steg sichtbar ist, wendet sich das Werk ab von einer genauen Wiedergabe der Topografie zugunsten einer dramatischen Darstellung des Flusses. Von einem noch immer leuchtenden Sichelmond wird die Szenerie in ein kaltes Licht getaucht, während mächtige Eisschollen langsam den Main hinuntertreiben.

Max Beckmann: Der Eiserne Steg (1922); Radierung

Beckmann hat 1922 auch eine Radierung seines Gemäldes Der Eiserne Steg angefertigt, auf der die Bildgegenstände seitenverkehrt erscheinen, da die Darstellung nicht spiegelbildlich auf die Kupferplatte übertragen wurde.

1937 emigrierte Beckmann nach Holland, wo er die nächsten zehn Jahre in einer von Armut und Entbehrungen geprägten Exilphase verbrachte und von wo aus ihm die ersehnte Ausreise in die USA erst 1947 gelingen sollte.

 

Literaturhinweise

Harter, Ursula: Der Eiserne Steg, 1922. In: Klaus Gallwitz (Hrsg.), Max Beckmann. Gemälde 1905 – 1950.Verlag Gerd Hatje, Stuttgart 1990, S. 88;

Schulz-Hoffmann, Carla/Weiss, Judith C. (Hrsg.): Max Beckmann. Retrospektive. Prestel-Verlag, München 1984, S. 216.


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