Adam Elsheimer: Jupiter und Merkur bei Philemon und Baucis (1608/09); Dresden, Gemäldegalerie |
Der römische Dichter Ovid (43 v.Chr.–12 n.Chr.) erzählt in seinen berühmten „Metamorphosen“ die Geschichte von Philemon und Baucis, die von den beiden antiken Göttern Jupiter und Merkur besucht werden (VIII, 611–724). Jupiter und Merkur wandern in Menschengestalt über die Erde; an tausend Türen bitten sie um Unterkunft – überall werden sie abgewiesen. Schließlich nehmen die alten, einträchtig zusammenlebenden Eheleute Philemon und Baucis sie in ihre ärmliche Hütte auf. Sie unternehmen alle erdenklichen Anstrengungen, um es den Gästen, in denen sie zunächst keine Götter erkennen, bequem zu machen. Sie bieten sogar an, ihre einzige Gans für die beiden Fremden zu schlachten. Zum Dank werden sie später von dem Untergang, der ihre ganze Umgebung trifft, verschont. Die Hütte wird in einen Tempel verwandelt, dem die Eheleute als Priester dienen. Und statt den Tod des jeweils anderen betrauern zu müssen, werden sie am Ende ihres Lebens im selben Augenblick zu Bäumen.
Adam Elsheimer (1578–1610) zeigt auf seinem um 1608/09 entstandenen Gemälde, einem kleinformatigen Kupfertäfelchen (16,5 x 22,5 cm), nicht die Verwandlung der beiden Eheleute, sondern konzentriert sich auf die auch bei Ovid ausführliche geschilderte Bewirtung der Götter. Die niedrige Tür und die Beengtheit der fensterlosen, aus rohen Balken zusammengefügten Hütte, das mit einem einfachen Polster bedeckte Bett, die emsigen Bemühungen um die beiden Gäste – all das entnimmt der deutsche Maler den „Metamorphosen“ und reichert es noch um weitere Motive an (wie etwa ein Bild an der Wand). Selbst die Gans, die die Alten für die Wanderer opfern wollen und die auf Geheiß der Götter verschont bleibt, ist im Vordergrund zu sehen.
Jupiter und Merkur haben abwartend Platz genommen, während Baucis mit Tüchern und decken für sie das Nachtlager bereitet und Philemon Speisen herbeiträgt. In ihrer legeren Haltung sind die olympischen Götter als solche kaum erkennbar, „der Maler schildert sie gleichsam mit den Augen der unwissenden Alten“ (Klessmann 2006, S. 170). Elsheimer fügt an verschiedenen Stellen seines Bildes künstliche Beleuchtung ein, um die verschiedenen Facetten der Handlung zu hervorzuheben. In der rechten Bildhälfte werden schwächere Lichtquellen verwendet, um die Vorbereitungen des kärglichen Mahles zu illuminieren: Aus dem Hintergrund tritt Philemon, der eine Kerze in der Hand hält, mit dem frisch geernteten Kohl herein, während rechts von ihm ein Feuer in der Herdstelle glimmt. Ein aus Fischen und Gemüsen bestehendes Stillleben am unteren Bildrand erhält seine Beleuchtung von einem kleinen Öllicht.
Eine größere Intensität – und damit das Zentrum der Handlung betonend – hat die Lampe, die auf dem Tisch in der linken Bildhälfte abgestellt ist. Sie wird von den beiden Göttern flankiert, deren Gesichter auf diese Weise besonders herausgehoben sind. „Die Helligkeit geht von den Göttern aus, die das ärmliche Leben von Philemon und Baucis verändern werden“ (Klessmann 2006, S. 173). Die am unteren Bildrand erkennbare Gans verdeutlicht, dass sie sich in diesem Moment den beiden Alten zu erkennen geben. Auf das für die „Metamorphosen“ konstitutive Thema der Verwandlung weist auch das „Bild im Bild“ hin: Das an der Wand befestigte Blatt zeigt die von Ovid berichtete Tötung des Argus durch Merkur (I, 668-721), der im Auftrag Jupiters die in eine Kuh verwandelte Io befreite.Pieter Bruegel d.Ä.: Der Tod Mariens (Nachstich von Philips Galle, 1574) |
„Im sorgfältigen Umgang mit verschiedenen Lichtqualitäten, deren Intensitäten differenziert und genau abgewogen werden, offenbart sich die Einbindung Elsheimers in die niederländische Tradition“, so Mirjam Neumeister (Neumeister 2003, S. 283). Allen voran wäre hier die Grisaille Der Tod Mariens von Pieter Bruegel d.Ä. (1525/30–1569) zu nennen (1564 entstanden), die Elsheimer wahrscheinlich über den Nachstich durch Philips Galle kannte. Der intensive Lichtfokus, der Maria umgibt, zeichnet sie als Zentrum des Bildes aus – dem entspricht bei Elsheimer die sich ankündigende Offenbarung der beiden Götter. Daher erfasst der Schein des Öllichts nicht nur die Götter, sondern auch die Weinkaraffe, die sich während des Mahles nicht leeren wird und somit auf das spätere Wunder vorausdeutet.
Die Betonung der für die Handlung entscheidenden Motive erzielte Elsheimer durch ein stark zurückgenommenes, aus der Beimischung von Schwarz entstehendes Kolorit, das im Kontrast zu der ausgeprägten Farbigkeit im Umkreis der Lichtquellen steht. „Diese bewirken aufblitzende, durch aufgetupfte weiße Höhungen angezeigte Glanzlichter, welche die Aufmerksamkeit des Betrachters lenken (Neumeister 2003, S. 283). So erfüllt ein abendliches Dunkel, durch einen tiefen Braunton wiedergegeben, den Raum, dessen gemütlich-trauliche Wirkung durch die im Kerzenschimmer nur schemenhaft hervortretenden Details wie die Deckenbalken oder einzelne Einrichtungsgegenstände gesteigert wird. Das gelbliche Licht der Leuchtmittel erzeugt eine warme Tonigkeit, die Elsheimers harmonisch-idyllische Tischszene prägt.Adam Elsheiemr: Der Brand Trojas (1600/01); München, Alte Pinakothek |
Adam Elsheimer: Judith enthauptet Holofernes (1601/03); London, The Wellington Museum |
Adam Elsheimer: Die Flucht nach Ägypten (1609); München, Alte Pinakothek |
Das Gemälde fügt sich damit in eine Reihe von „Nachtstücken“, die Elsheimer in Rom anfertigte, so etwa Der Brand Trojas, Judith enthauptet Holofernes (siehe meinen Post „Barock-Splatter“) und Die Flucht nach Ägypten. Sie wurden in Nachstichen und Kopien verbreitet und inspirierten Maler wie Peter Paul Rubens und Rembrandt zu eigenen Kompositionen (siehe meinen Post „Friedvolle Flucht“).
Literaturhinweise
Klessmann, Rüdiger: Im Detail die Welt entdecken. Adam Elsheimer 1578–1610. Edition Minerva. Wolfratshausen 2006, S. 170-173;
Neumeister, Mirjam: Das Nachtstück mit Kunstlicht in der niederländischen Malerei und Graphik des 16. und 17. Jahrhunderts. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2003, S. 281-283.
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