Herkules Farnese; Neapel, Museo Archeologico Nazionale (für die Großansicht einfach anklicken) |
Der Herkules Farnese stammt aus den ersten
Jahrzehnten des 2. Jahrhunderts n.Chr.; er ist aus einem Block weißen Marmors
geschlagen und misst mit Basis 3,17 m. Seit 1787 befindet sich die Statue in
Neapel, wo sie heute im Museo Archeologico Nazionale steht. Zusammen mit einer
zweiten, etwa gleich großen Herkulesstatue und anderen antiken Skulpturen wurde sie – in viele Teile zerbrochen – 1545 oder 1546 in Rom in den 216 n.Chr. eingeweihten Caracalla-Thermen gefunden.
Immer noch imposant: die Reste der Caracalla-Thermen in Rom |
Hendrik Goltzius: Hercules Victor; Kupferstich, veröffentlicht 1617 |
Der
Archäologe und Altertumsforscher Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) schreibt
in seiner „Geschichte der Kunst des Alterthums“ (1776) über den Herkules Farnese:
„Denn in dieser Statue ist derselbe zwar ruhend, aber mitten in seinen Arbeiten
vorgestellet, und mit aufgeschwollenen Adern und mit angestrengeten Muskeln,
die über die gewöhnlichen Maaße elastisch erhöhet sind, so daß wir ihn hier
gleichsam erhitzet und athemlos ruhen sehen, nach dem mühsamen Zuge zu den
hesperischen Gärten, deren Äpfel er in den Händen hält.“
Die Hesperiden, Nymphen der griechischen
Mythologie, hüteten in ihrem Garten einen Wunderbaum mit goldenen Äpfeln, den
die Erdgöttin Gaia der Hera zu ihrer Hochzeit mit Zeus hatte wachsen lassen. Die Äpfel verliehen den Göttern ewige Jugend. Der Baum
wurde durch den hundertköpfigen Drachen Ladon bewacht. Durch eine List brachte Herakles (bzw. Herkules) den Vater der Hesperiden (Atlas) dazu, für ihn die Äpfel zu pflücken. Es war
die elfte der ihm von König Eurystheus aufgetragenen zwölf Arbeiten.
Zwei untrügliche Attribute des Herkules: Löwenfell und Keule |
Der
Herkules Farnese steht neben einem Felsen, auf dem er seine Keule abgestellt hat. Über der riesenhaften Waffe (nur der Heros selbst kann sie schwingen) hängt das Fell eines Löwen – beides Attribute des Herkules. Die nackte Figur ist bis auf den zur linken Seite geneigten Kopf frontal angelegt. Körperbau, Gesichtszüge und Bart zeigen keinen jugendlichen Helden, sondern einen erwachsenen Mann mittleren Alters. Der Herkules Farnese kann nicht von allein stehen, da die Hüften stark nach links verschoben sind. Während der massige Oberkörper in betonter Passivität schwer auf der als Achselstütze dienenden Keule aufliegt, staffeln sich die Beine geradezu spielerisch hintereinander. Das Standgewicht der Skulptur lastet fast ganz auf dem
zurückgesetzten rechten Fuß, nur er steht mit voller Sohle auf der Basis. Trotzdem sind die Muskeln des linken Beins nicht völlig entspannt, sondern teilweise kontrahiert. „Dabei treten einzelne Muskelstränge an der Innenseite des Oberschenkels, wo sie anatomisch sogar widersinnig sind, und an der Wade jeweils sehr markant hervor und suggerieren ein enormes Kraftpotential“ (Cain 2002, S. 41).
Ähnliches lässt sich am Oberkörper beobachten: Kein einziger Muskelbereich wirkt ermüdet oder erschlafft; jeder noch so winzige Muskel steht unter der gleichen tonischen Daueranspannung. Wie die Bein- und Rumpfmuskulatur, so sind auch die Muskeln der beiden Arme alles andere als gelockert. Den rechten Arm nimmt Herakles hinter den Rücken; dessen Muskeln sind regelrecht ineinander verschraubt, zudem sind kurze straffe Venen sichtbar, in denen das Blut stockt. Auch der herabhängende linke Arm ist angespannt, wie die Schrägansicht zeigt, und energisch einwärts gedreht. Die Haltung der linken Hand ist uns allerdings nicht überliefert – was uns die Skulptur in Neapel zeigt, ist ab der Mitte des Unterarms modern ergänzt. Auch am Kopf sind sämtliche Muskeln an Stirn, Schläfen und Wangen deutlich und bewusst zusammengezogen – ein Ausdruck höchster Konzentration. „Weder in seinen Proportionen noch im Aufbau und Zusammenwirken seiner Muskeln ist dieser Herakles mit Erfahrungen aus der Beobachtung spezialisierter Athletenkörper erklärbar. Nahezu jedes Detail ist darauf angelegt, die Gestalt des Heros über ein nachvollziehbares Maß an anatomischen Besonderheiten hinaus zu verfremden“ (Cain 2002, S. 43).
Wir haben also einen kolossalen Kraftprotz vor uns, der alle seine durchmodellierten Muskeln anspannt; dennoch neigt der Herkules Farnese zur Leibesfülle neigt und bedarf einer Stütze. Damit formuliert die Statue eine klare Gegenposition zu der klassischen Musterfigur des männlichen Körpers schlechthin: dem berühmten Doryphoros des Polyklet, eine Bronzeskulptur aus der Zeit um 440 v.Chr., die heute nur noch durch Marmorkopien aus römischer Zeit bekannt ist (siehe meinen Post „Polyklets Musterknabe“). Der jugendliche Speerträger präsentiert sich in einem genau ausbalancierten Verhältnis von be- und entlasteten Körperteilen. Sein Stand ist breit, der Körper straff durchtrainiert. Der Doryphoros steht in völliger Ruhe und völlig unberührt vor uns, in sich selbst versunken, die eigene Makellosigkeit genießend. Der Herkules Farnese dagegen vibriert regelrecht vor Energie, seine Anspannung und Handlungsbereitschaft sind deutlich zu spüren.
Ähnliches lässt sich am Oberkörper beobachten: Kein einziger Muskelbereich wirkt ermüdet oder erschlafft; jeder noch so winzige Muskel steht unter der gleichen tonischen Daueranspannung. Wie die Bein- und Rumpfmuskulatur, so sind auch die Muskeln der beiden Arme alles andere als gelockert. Den rechten Arm nimmt Herakles hinter den Rücken; dessen Muskeln sind regelrecht ineinander verschraubt, zudem sind kurze straffe Venen sichtbar, in denen das Blut stockt. Auch der herabhängende linke Arm ist angespannt, wie die Schrägansicht zeigt, und energisch einwärts gedreht. Die Haltung der linken Hand ist uns allerdings nicht überliefert – was uns die Skulptur in Neapel zeigt, ist ab der Mitte des Unterarms modern ergänzt. Auch am Kopf sind sämtliche Muskeln an Stirn, Schläfen und Wangen deutlich und bewusst zusammengezogen – ein Ausdruck höchster Konzentration. „Weder in seinen Proportionen noch im Aufbau und Zusammenwirken seiner Muskeln ist dieser Herakles mit Erfahrungen aus der Beobachtung spezialisierter Athletenkörper erklärbar. Nahezu jedes Detail ist darauf angelegt, die Gestalt des Heros über ein nachvollziehbares Maß an anatomischen Besonderheiten hinaus zu verfremden“ (Cain 2002, S. 43).
Wir haben also einen kolossalen Kraftprotz vor uns, der alle seine durchmodellierten Muskeln anspannt; dennoch neigt der Herkules Farnese zur Leibesfülle neigt und bedarf einer Stütze. Damit formuliert die Statue eine klare Gegenposition zu der klassischen Musterfigur des männlichen Körpers schlechthin: dem berühmten Doryphoros des Polyklet, eine Bronzeskulptur aus der Zeit um 440 v.Chr., die heute nur noch durch Marmorkopien aus römischer Zeit bekannt ist (siehe meinen Post „Polyklets Musterknabe“). Der jugendliche Speerträger präsentiert sich in einem genau ausbalancierten Verhältnis von be- und entlasteten Körperteilen. Sein Stand ist breit, der Körper straff durchtrainiert. Der Doryphoros steht in völliger Ruhe und völlig unberührt vor uns, in sich selbst versunken, die eigene Makellosigkeit genießend. Der Herkules Farnese dagegen vibriert regelrecht vor Energie, seine Anspannung und Handlungsbereitschaft sind deutlich zu spüren.
Polyklet: Doryphoros; römische Marmorkopie, Neapel, Museo Archeologico Nazionale |
Während
das Attribut des Speerträgers in der Vorderansicht zu sehen ist, hat der
Herkules Farnese die aktive Hand hinter seinem Rücken versteckt. Diese Hand
muss den Schlüssel für das Verständnis der Figur bieten. Was sie konkret hält,
lässt sich aus dem Löwenfell erraten, das Herkules als Trophäe seiner ersten Tat mit sich führte. „Es ist also nur konsequent, dass
der Held in der Hand hinter dem Rücken den Lohn seiner letzten Tat hält: die
goldenen Äpfel der Hesperiden und damit buchstäblich die Früchte für sein
tatbestimmtes Leben“ (Schneider 2005, S. 148). Denn erst nach dieser seiner
letzten Tat war ihm der Ruhm der Unsterblichkeit und die Aufnahme unter die
Götter im Olymp gewiss.
Nein, hier wird keineswegs Boccia gespielt |
Im Gegensatz
zum Speerträger sind daher in der Komposition des Herkules Farnese zwei Hauptansichten
verankert: die Vorder- und die Rückseite. Die Skulptur verbindet den Kontrast
von körperlicher Entspannung durch die betonte Ruhehaltung einerseits und
körperlicher Anspannung durch das anatomisch ausdifferenzierte und überdimensionierte Muskelbild
andererseits. Oder anders formuliert: Sie zeigt den nach seinen Ruhmestaten
erschöpften, sich aufstützenden Helden und ebenso den angespannten, jederzeit
zu neuen Taten bereiten Kraftmenschen.
Unter Archäologen besteht Einigkeit darüber,
dass es sich beim Herkules Farnese um
die römische Kopie einer Bronzeskulptur
des griechischen Bildhauers Lysipp handelt. Bekannt geworden ist Lysipp vor
allem als Hofkünstler Alexander des Großen. Antike Autoren berichten über eine
Vielzahl seiner Werke: Siegerstatuen, Götterbilder, Skulpturengruppen und Porträts.
Sicher rekonstruierbar sind jedoch nur zwölf seiner Arbeiten. Der Herkules Farnese gilt als getreueste
Nachbildung des lysippischen Originals, die um 320 v.Chr. entstanden sein dürfte.
Unübersehbar ist vorne auf dem Felsen in griechischen Buchstaben die Signatur
des Kopisten angebracht: „Glykon der Athener hat die Statue gemacht“. Eine sehenswerte Marmor-Variante des Kopfes ist übrigens im Londoner British Museum ausgestellt.
Büste des Herkules Farnese London, British Museum |
Literaturhinweise
Cain, Hans-Ulrich: Der Herakles Farnese – ein müder Heros? In: Angelika Corbineau-Hoffmann/Pascal Nicklas
(Hrsg.), Körper/Sprache. Ausdrucksformen der Leiblichkeit in Kunst und
Wissenschaft. Georg Olms Verlag, Hildesheim 2002, S. 33-61;
Krull, Diethelm: Der Herakles vom Typ Farnese. Kopienkritische Untersuchung einer Schöpfung des Lysipp. Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main 1985, S. 10-22;
Löwe, Wanda: Die Kolossalfigur des Lysipp. In: Christiane Lukatis/Hans Ottomeyer (Hrg.), Herkules – Tugendheld und Herrscherideal. Das Herkules-Monument in Kassel-Wilhelmshöhe. Edition Minerva, Eurasburg 1997, S. 23-30;
Lukatis, Christiane: Der Herkules Farnese. »Ein achönes Muster der starken männlichen Natur«. In: Christiane Lukatis/Hans Ottomeyer (Hrg.), Herkules – Tugendheld und Herrscherideal. Das Herkules-Monument in Kassel-Wilhelmshöhe. Edition Minerva, Eurasburg 1997, S. 35-60;
Schneider, Rolf M.: Der Hercules Farnese. In: Luca Giuliani (Hrsg.), Meisterwerke der antiken Kunst. Verlag C.H. Beck. München 2005, S. 136-157.
(zuletzt bearbeitet am 22. März 2020)
Krull, Diethelm: Der Herakles vom Typ Farnese. Kopienkritische Untersuchung einer Schöpfung des Lysipp. Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main 1985, S. 10-22;
Löwe, Wanda: Die Kolossalfigur des Lysipp. In: Christiane Lukatis/Hans Ottomeyer (Hrg.), Herkules – Tugendheld und Herrscherideal. Das Herkules-Monument in Kassel-Wilhelmshöhe. Edition Minerva, Eurasburg 1997, S. 23-30;
Lukatis, Christiane: Der Herkules Farnese. »Ein achönes Muster der starken männlichen Natur«. In: Christiane Lukatis/Hans Ottomeyer (Hrg.), Herkules – Tugendheld und Herrscherideal. Das Herkules-Monument in Kassel-Wilhelmshöhe. Edition Minerva, Eurasburg 1997, S. 35-60;
Schneider, Rolf M.: Der Hercules Farnese. In: Luca Giuliani (Hrsg.), Meisterwerke der antiken Kunst. Verlag C.H. Beck. München 2005, S. 136-157.
(zuletzt bearbeitet am 22. März 2020)
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