Mittwoch, 20. Juni 2012

William Turner, der – Historienmaler

William Turner: Die fünfte Plage Ägyptens (1800); London, Tate Britain
Der englische Maler William Turner (1775–1851) ist bekannt für seine Landschaftsbilder, in denen das Gegenständliche zugunsten der Atmosphäre – dem Zusammenspiel von Licht und Luft, Wolken und Wind – fast aufgehoben zu sein scheint. Doch Turner hat seine Karriere als Historienmaler begonnen. Zu seinen frühen Bildern gehört auch Die fünfte Plage Ägyptens (siehe 2. Mose 9,1-7) aus dem Jahr 1800, bei dem ganz das dramatische Aufeinandertreffen der Naturelemente im Vordergrund steht. Allerdings ist entgegen der Betitelung die siebte Plage dargestellt: Hagel und Feuersturm. Anrollende, formlose Wolken, aus denen Asche und Hagel regnen, nehmen große Teile des Bildes ein. Sie zeigen die verheerende Gewalt des Unwetters, dem Mensch und Tier ausgesetzt sind. Schon hier wird deutlich, was die späteren Landschaften des britischen Künstlers kennzeichnet: Hauptdarsteller sind nicht die Figuren, sondern Himmel und Wetter. Turner will nicht die menschliche Tragödie, sondern die Naturkatastrophe mit ihren aufregenden Momenten in den Mittelpunkt rücken. Man hat seine Bilder deswegen als „Augenblickslandschaften“ bezeichnet, bei denen die Stimmung wichtiger ist als der historische Inhalt. Dabei gelingt es Turner nicht nur, Naturphänomene atmosphärisch überzeugend darzustellen, sondern sie auch symbolisch einzusetzen, Himmel und Wetter mit Bedeutung aufzuladen. So kann z. B. ein Blitz wie in The Field of Waterloo die Zerstörungskraft einer Schlacht anzeigen.
William Turner: The Field of Waterloo (1818); London, Tate Britain
Bei einer ganzen Reihe von Gemälden, die in diesem Blog vorgestellt werden, handelt es sich um „Historienbilder“. Was genau ist damit gemeint? Die einfachste Begriffserklärung für „Historienbild“ ist: „Bilder mit Geschichten“. Aber nicht alle „Bilder mit Geschichte“ sind Historienbilder. Im Historienbild werden außergewöhnliche, nicht-alltägliche Ereignisse dargestellt: Szenen aus dem Alten und Neuen Testament und aus den Heiligenlegenden, Episoden aus berühmten und weitverbreiteten Werken der Weltliteratur (z. B. Dantes Göttliche Komödie oder Goethes Faust) und bedeutsame Begebenheiten aus der Geschichte der Völker sowie aus dem umfangreichen Sagen- und Mythenschatz. Gemälde hingegen, die ein alltägliches Geschehen schildern, nennt man „Genrebilder“. Sie unterscheiden sich vom Historienbild durch ihren anekdotischen Charakter.
Für das Verständnis von Historienbildern ist es wichtig, immer auch nach dem Auftraggeber solch eines Gemäldes zu fragen. Denn sehr oft diente es dazu, dessen Person und seine Taten zu glorifizieren. Dabei wurde häufig auf weit zurückliegende Ereignisse Bezug genommen, die als Parallelen zu zeitgenössischen Geschehnissen erscheinen sollten. Das Historienbild galt bis in das 19. Jahrhundert hinein als die wichtigste Bildgattung, dem die Landschaft, das Genrebild, das Porträt und das Stillleben in der Rangfolge nachgeordnet waren. Dementsprechend wurden für das Historienbild auch die größten Bildformate verwendet – man denke z. B. an das berühmte Floß der Medusa von Théodore Géricault (1819) im Louvre, das 716 x 491 cm misst! 
Théodore Géricault: Das Floß der Medusa (1819); Paris, Louvre

Literaturhinweise
Költzsch, Georg-W. (Hrsg.): William Turner – Licht und Farbe. Museum Folkwang, Essen 2001;
Richter-Musso, Inés: Feuer, Wasser, Luft und Erde. William Turner als Maler der Elemente. In: Ortrud Westheider/Michael Philipp (Hrsg.), William Turner. Maler der Elemente. Hirmer Verlag, München 2011, S. 41-51;
Wagner, Monika: William Turner. Verlag C.H. Beck, München 2011.

(zuletzt bearbeitet am 22. März 2020)

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