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William Turner: Die fünfte Plage Ägyptens (1800); London, Tate Britain |
Der englische Maler William Turner (1775–1851) ist
bekannt für seine Landschaftsbilder, in denen das Gegenständliche zugunsten der
Atmosphäre – dem Zusammenspiel von Licht und Luft, Wolken und Wind – fast
aufgehoben zu sein scheint. Doch Turner hat seine Karriere als Historienmaler
begonnen. Zu seinen frühen Bildern gehört auch Die fünfte Plage Ägyptens (siehe 2. Mose 9,1-7) aus dem Jahr 1800,
bei dem ganz das dramatische Aufeinandertreffen der Naturelemente im
Vordergrund steht. Allerdings ist entgegen der Betitelung die siebte Plage dargestellt: Hagel und Feuersturm. Anrollende, formlose Wolken, aus denen Asche und Hagel regnen, nehmen große Teile des Bildes ein. Sie zeigen die verheerende Gewalt des Unwetters, dem Mensch und Tier ausgesetzt sind. Schon hier wird deutlich, was die späteren Landschaften
des britischen Künstlers kennzeichnet: Hauptdarsteller sind nicht die Figuren, sondern Himmel und Wetter. Turner will nicht die menschliche Tragödie,
sondern die Naturkatastrophe mit ihren aufregenden Momenten in den Mittelpunkt
rücken. Man hat seine Bilder deswegen als „Augenblickslandschaften“ bezeichnet,
bei denen die Stimmung wichtiger ist als der historische Inhalt. Dabei gelingt es Turner nicht nur, Naturphänomene atmosphärisch überzeugend darzustellen, sondern sie auch symbolisch einzusetzen, Himmel und Wetter mit Bedeutung aufzuladen. So kann z. B. ein Blitz wie in The Field of Waterloo die Zerstörungskraft einer Schlacht anzeigen.
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William Turner: The Field of Waterloo (1818); London, Tate Britain |
Bei einer ganzen Reihe von Gemälden, die in diesem
Blog vorgestellt werden, handelt es sich um „Historienbilder“. Was genau ist
damit gemeint? Die einfachste Begriffserklärung für „Historienbild“ ist:
„Bilder mit Geschichten“. Aber nicht alle „Bilder mit Geschichte“ sind
Historienbilder. Im Historienbild werden außergewöhnliche, nicht-alltägliche
Ereignisse dargestellt: Szenen aus dem Alten und Neuen Testament und aus den
Heiligenlegenden, Episoden aus berühmten und weitverbreiteten Werken der
Weltliteratur (z. B. Dantes Göttliche Komödie oder Goethes Faust) und bedeutsame Begebenheiten aus
der Geschichte der Völker sowie aus dem umfangreichen Sagen- und Mythenschatz.
Gemälde hingegen, die ein alltägliches Geschehen schildern, nennt man
„Genrebilder“. Sie unterscheiden sich vom Historienbild durch ihren
anekdotischen Charakter.
Für das Verständnis von Historienbildern ist es
wichtig, immer auch nach dem Auftraggeber solch eines Gemäldes zu fragen. Denn
sehr oft diente es dazu, dessen Person und seine Taten zu glorifizieren. Dabei
wurde häufig auf weit zurückliegende Ereignisse Bezug genommen, die als
Parallelen zu zeitgenössischen Geschehnissen erscheinen sollten. Das Historienbild
galt bis in das 19. Jahrhundert hinein als die wichtigste Bildgattung, dem die
Landschaft, das Genrebild, das Porträt und das Stillleben in der Rangfolge
nachgeordnet waren. Dementsprechend wurden für das Historienbild auch die
größten Bildformate verwendet – man denke z. B. an das berühmte Floß der
Medusa von Théodore Géricault (1819) im Louvre, das 716 x 491 cm misst!
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Théodore Géricault: Das Floß der Medusa (1819); Paris, Louvre |
Literaturhinweise
Költzsch, Georg-W. (Hrsg.): William Turner – Licht und Farbe. Museum Folkwang, Essen 2001;
Richter-Musso, Inés: Feuer, Wasser, Luft und Erde. William Turner als Maler der Elemente. In: Ortrud Westheider/Michael Philipp (Hrsg.), William Turner. Maler der Elemente. Hirmer Verlag, München 2011, S. 41-51;
Wagner, Monika: William Turner. Verlag C.H. Beck,
München 2011.
(zuletzt bearbeitet am 22. März 2020)
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