Sonntag, 28. Juli 2013

Hautnah porträtiert – die Bildnisse des Antonello da Messina


Antonello da Messina: Porträt eines Mannes (um 1475/76); London, National
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Der in Sizilien geborene Renaissance-Maler Antonello da Messina (um 1430–1479) verließ seine Heimat in den frühen fünfziger Jahren, um sich in Neapel ausbilden zu lassen. Vor allem die von dem dortigen aragonesischen Königshaus bevorzugt gesammelten neuesten niederländischen Gemälde müssen sein spezielles Interesse geweckt und ihn angeregt haben, bevorzugt kleinformatige Porträts anzufertigen. Tatsächlich kommt dem süditalienischen Königreich bei der Vermittlung flandrischer Kunst eine Schlüsselfunktion zu. „Seine am Golf gemachten Erfahrungen sollte Antonello besonders folgenreich in Norditalien verbreiten und so zu einem der bestimmendsten Vermittler der Kunst zwischen dem Norden und dem Süden avancieren“ (Beyer 2002, S. 87).
Antonello da Messina: Porträt eines Mannes (1475/76); Madrid,
Museo Thyssen-Bornemisza (für die Großansicht einfach anklicken)
Antonello da Messina: Porträt eines Mannes (um 1475/76); Rom Galleria Borghese
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Antonello da Messina: Porträt eines Mannes (1476); Turin, Museo Civico dArte Antica
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Von niederländischen Malern wie Jan van Eyck, Petrus Christus, Rogier van der Weyden und Hans Memling übernahm Antonello das Porträt in Dreiviertelansicht; er schuf damit die ersten italienischen Beispiele für diesen Bildnistypus. Antonellos erhaltene Porträts sind ausnahmslos Brustbilder mit sehr knappem Bildausschnitt. Die Dargestellten sind immer nach links gewandt, von links beleuchtet und kraftvoll modelliert, den Blick aus den Augenwinkeln und oft mit hochgezogenen Augenbrauen auf den Betrachter gerichtet. Sie erscheinen entweder hinter einer schmalen Steinbrüstung, an der ein cartellino (ein gemaltes Papierstück) mit der Signatur des Künstlers angebracht ist, oder ohne Steinbrüstung wie in den frühen Bildnissen in Cefalù, Pavia und New York. Alle Porträts, bis auf das späte Berliner Bild, zeigen den Dargestellten vor dunklem neutralen Grund. Mehrere seiner Porträts hat Antonello in Venedig geschaffen, wo er sich von 1475 bis 1476 aufhielt.
Antoinello da Messina: Condottiere (1475); Paris, Louvre
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Eines der bedeutendsten Porträts Antonellos ist der sogenannte
Condottiere aus dem Pariser Louvre. Jedes einzelne Haar, die Augenbrauen, die Bartstoppeln, ja selbst das Pelzfutter des schwarzen Umhangs, jedes Detail der Haut, die tief liegenden Augen, die fleischigen Lippen, das Grübchen am Kinn bis hin zu den roten Wachstupfen, mit denen der cartellino an der Brüstung befestigt ist, sind mit einer großartigen Präzision festgehalten. Ebenso detailgetreu wird die kleine Narbe links oberhalb der Lippe dokumentiert und in gleicher Weise die auffällige Progenie, also das übermäßige Vorstehen des Unterkiefers. Dieser „epidermische Realismus“ (Beyer 2002, S. 94) ist ohne den Einfluss der frühen niederländischen Malerei nicht denkbar.
Die Inschrift auf dem cartellino lautet: „1475 / Antonellus messaneus me / pinxit“. Es verwundert zunächst, dass der cartellino den Namen des Malers nennt und nicht etwa den des Modells. Aber offensichtlich hat auch in der Geschichte der Bildnismalerei sehr rasch schon der Künstler und dessen Ruhm den Wert eines Porträts bestimmt. Der schwarze Umhang des Porträtierten und das ebenfalls schwarze Barett entsprechen der damaligen Mode in Burgund. Die Steinbrüstung und der neutrale Hintergrund sind ebenfalls der flämischen Bildnistradition entnommen. Aber anders als in vielen niederländischen Vorbildern blickt Antonellos Modell aus dem Bildnis heraus und sieht den Betrachter unmittelbar an – es entsteht so „ein nahezu dialogisches Verhältnis“ (Beyer 2002, S. 94) zwischen ihm und dem Porträtierten.
Der Titel Condottiere, also Söldnerführer, stammt aus dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Er beruht allerdings einzig auf die Narbe an der Lippe, die als Hinweis auf einen Waffenberuf gedeutet wurde. Zu der tatsächlichen Identität des Porträtierten gibt es keinerlei Hinweise.
Antonellos letztes Porträt und das einzige mit Landschaftshintergrund (um 1478);
Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken)
Interessanterweise wandelt sich Antonellos Bildniskunst während seines Aufenthaltes in Venedig kaum. Dem modernen, von Hans Memling in die flämische Porträtmalerei eingeführten Bildnistypus vor Landschaftshintergrund (siehe meinen Post Die Porträtkunst des Hans Memling) hat sich der Sizilianer bis zuletzt verweigert; „vielleicht waren seine Kunden konservativ oder bedeutete ihm Landschaft eine zu große Ablenkung von der psychologisierenden Physiognomik seiner Bildnisse“ (Borchert 2006, S. 38).

Literaturhinweise
Beyer, Andreas: Das Porträt in der Malerei. Hirmer Verlag, München 2002;
Borchert, Till-Holger: Antonello da Messina und die flämische Malerei. In: Mauro Lucca (Hrsg.), Antonella da Messina. Das Gesamtwerk. Belser Verlag, Stuttgart 2006, S. 27-42.

(zuletzt bearbeitet am 28. März 2021)

Montag, 15. Juli 2013

Tanz den Laokoon! – Albrecht Dürers „Tanzendes Bauernpaar“


Albrecht Dürer: Tanzendes Bauernpaar (1514); Kupferstich
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Hand in Hand, die Rücken einander zugewandt, dreht sich ein Bauernpaar in ausgelassenem Tanz. Die gedrungene Bauersfrau stößt sich mit ihrem rechten Fuß zu einem weit ausholenden Sprung ab und hält mit ihrer Rechten die am Gürtel befestigten Utensilien – Schlüssel, Messer und Geldbeutel – zusammen. Ihre andere Hand hält die des johlenden Mannes, der hinter ihr, gegengleich springend, heftig auftritt. Albrecht Dürer fideles Paar füllt den Bildraum seines Kupferstichs von 1514, ohne dass anekdotisches Beiwerk oder eine nähere Ortsbezeichnung hinzugefügt wären.
Der tumbe Charakter der beiden Tänzer ist nicht zu übersehen. Sie sind zwar wahrlich nicht anmutig, aber sichtbar guter Laune. Das gedrungene Äußere der Frau und das wilde Gehopse tragen dazu bei, dass sich auch der Betrachter amüsiert. Darüber hinaus sorgt Dürer auch für eine optische Irritation, wenn Füße und Waden so dargestellt sind, dass nicht sofort erkennbar ist, welches Bein zu welchem Tänzer gehört. Der Bildwitz besteht darin, dass der Bauersfrau das linke Bein zu fehlen scheint. Naturgemäß würde sie dann unweigerlich hinfallen. „Diesen Eindruck steigert der Künstler dadurch, dass die Bilderzählung mit einer aufwärts führenden Diagonale anhebt, die im Fuß der Bäuerin ihren Ausgangspunkt nimmt und in ihrem ausgestreckten linken Arm eine Fortsetzung findet“ (Müller 2011, S. 393).
Laokoongruppe (1506 wiederentdeckt); Rom, Vatikanische Museen
Keiner leidet schöner als der Priester-Vater Laokoon
Jürgen Müller ist der Ansicht, dass Dürer mit seinem Tanzenden Bauernpaar kein geringeres Kunstwerk als die berühmte Laokoongruppe zitiert (1506 in Rom ausgegraben, siehe meinen Post Das ultimative antike Meisterwerk) – und zwar in ironischer Absicht. Dabei hat der Künstler die Bäuerin in Bezug auf das Vorbild horizontal gespiegelt. Zudem macht er aus dem muskulösen Priester eine gedrungen-dickliche Frau. Auch der Bauer mit seinem wild-bewegten Lockenhaar und dem zum Schrei geöffneten Mund bezieht sich auf die antike Marmorskulptur.
Albrecht Dürer: Dudelsackpfeifer (1514); Kupferstich
Müller sieht in Dürers Kupferstich des
Musizierenden Dudelsackpfeifers, ebenfalls 1514 entstanden, das inhaltliche Gegenstück zum Tanzenden Bauernpaar. Beide Stiche sind in ihrer formalen Anlage insofern vergleichbar, als sie die Figuren auf schmalem, dunklem Vordergrundstreifen platzieren. Der Hintergrund hingegen bleibt von der Gestaltung ausgespart. So gewinnen die Figuren die Qualität von Skulpturen. Markant heben sich die Dürer-Monogramme vor dem weißen Hintergrund ab. 
Der Dudelsackpfeifer spielt auf. Entspannt hat er einen Fuß über den anderen gestellt und den Kopf konzentriert nach rechts geneigt. Ein turbanartig um Kopf und Schultern gelegtes Fransentuch und der dichte Vollbart geben jedoch nur wenig von seinem Gesicht preis. Uner dem Wams mit geschlitzten Ärmeln ragen ein kurzes Schwert sowie eine pelzbesetzte Gürteltasche hervor, die im Kontrast zum löchrigen und schadhaften Schuhwerk des Musikanten stehen. „Im Gegensatz zum wild tanzenden Paar wirkt er fast ein wenig melancholisch“ (Müller 2011, S. 389). Auch in der Komposition verhalten sich die beiden Blätter komplementär: Während das tanzende Paar aus lauter auseinander strebenden Diagonalen besteht, zeichnet den Stich des Dudelsackpfeifers die vertikale Grundausrichtung aus.
Auch für den Dudelsackpfeifer zitiert Dürer, so Müller, ein antikes Vorbild. Anatomisch gesehen, ist der rechte Fuß des Musikanten, unter dessen Sohle wir blicken können, ziemlich merkwürdig aufgesetzt. Das rechte Bein insgesamt wirkt seltsam verdreht. Auch die Schrägstellung des Kopfes mutet angesichts des anstrengenden Dudelsackpfeifens ungewöhnlich geziert an. Diese Posen werden verständlich, wenn man entdeckt, aus welcher Quelle sich Dürer bedient: Es ist nämlich keine geringere als der Flöte spielende Faun des berühmten antiken Bildhauers Praxiteles, der in zahlreichen Kopien und Varianten überliefert ist.
Praxiteles: Flöte spielender Faun (um 300 v.Chr.);
Paris, Louvre
Dürer erfindet mit dem Tanzenden Bauernpaar und dem Musizierenden Dudelsackpfeifer „nichts weniger als ein neues ikonographisches Verfahren: das inverse Zitat“ (Müller 2011, S. 392). In der tanzenden Bauersfrau die Verballhornung des Priester-Vaters aus der Laokoon-Gruppe und in dem Dudelsackpfeifer den Faun des Praxitels zu erkennen, setzt freilich ein ebenso geschultes wie gebildetes Auge voraus. „Dürer weiß sein Zitat geschickt zu verbergen und zugleich weist er uns klug darauf hin. Zeigen und Verbergen gehen im inversen Zitat ineinander über“ (Müller 2011, S. 294). Normalerweise wurde ein antikes Vorbild verwendet, um eine wichtige Figur besonders hervorzuheben – ihre „Noblesse“ sollte betont werden. Nicht so Dürer: Er etabliert das Prinzip der ironischen Verkehrung in der bildenden Kunst, indem er das Gesetz der Angemessenheit („decorum“) aufhebt, um mittels prominenter Motive Bauernfiguren zu gestalten. Dabei muss man davon ausgehen, dass sich Dürers ironischer Umgang mit solchen Inversionen in erster Linie an seine Künstlerkollegen wendet. „Künstler, besonders solche im Norden, denen Dünkel und Überlegenheitsgefühl ihrer italienischen Kollegen ein Dorn im Auge waren, werden solche Späße zu schätzen gewusst haben“ (Müller 2011, S. 397).
Albrecht Dürer: Der Marktbauer und sein Weib (1519); Kupferstich
1519 hat Dürer noch einen weiteren Kupferstich angefertigt, dass ein Bauernpaar zeigt. Wie die Tanzenden aus dem Jahr 1514 füllen auch diese beiden Figuren das kleine hochformatige Blatt völlig aus. Und erneut sind die zwei Marktbauern
nicht ohne Spott gezeichnete, knorrige Volkstypen in grober Kleidung (Scherbaum 2000, S. 216). Das runzlige, vom Kopftuch gerahmte Bratapfelgesicht“ (Schmidt 1971, Nr. 356) der Bauersfrau ähnelt dabei dem der tanzenden Bäuerin. Diesmal stehen die beiden jedoch nicht frei, sondern vor einer dunklen Mauer. Zwischen ihren Köpfen ist die Jahreszahl und auf einem Stein zu ihren Füßen das Monogramm des Künstlers angebracht. 
Der junge Mann hat seinen rechten Arm ausgestreckt; mit seiner linken Hand hält er entweder den abgenommenen Hut oder seine Börse fest, während er offensichtlich etwas ausspricht – vielleicht preist er seine Waren an, die er verkaufen will. Die ältere, rundliche Bäuerin, die etwas zurückgesetzt links neben ihm steht, hält zwei an den Füßen zusammengebundene Hühner in ihrer Linken; auf dem Rücken trägt sie weitere Marktlasten. Ein Krug und ein mit Eiern gefüllter Korb sind auf dem Boden abgesetzt. Der Inhalt des Blattes ist bis heute umstritten – nach Ansicht von Jürgen Müller geht es um eine sexuelle Zote: Die alte Frau habe dem jungen Mann ein sexuelles Angebot gemacht, der nun ängstlich seinen ,Geldsack hält“ (Müller 2013, S. 47). 
Sarkophag Rinuccini eines römischen Feldherrn (um 200 n.Chr.); Berlin, Altes Museum
Für diese Deutung spreche, dass Dürer seiner Darstellung das Thema der ungleichen Liebhaber unterlegt. Die forsche Alte werde dem ängstlichen jungen Mann lüstern gegenübergestellt, der mit einer abwehrenden Geste auf ihr Angebot reagiert. Auch auf diesem Blatt hat Dürer eine antike Vorlage
„verborgen“ – der Bauer ist nämlich so ähnlich dargestellt wie römische Felldherren etwa auf Sarkophagen.

Literaturhinweise
Müller, Jürgen: Ein anderer Laokoon. Die Geburt ästhetischer Subversion aus dem Geist der Reformation. In: Beate Kellner u.a. (Hrsg.), Erzählen und Episteme. Literatur im 16. Jahrhundert. Walter de Gruyter, Berlin/New York 2011, S. 389-414;
Müller, Jürgen: Antigisch art. Ein Beitrag zu Albrecht Dürers ironischer Antikenrezeption. In: Thomas Schauerte u.a. (Hrsg.), Von der Freiheit der Bilder. Spott, Kritik und Subversion in der Kunst der Dürerzeit, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2013, S. 23-57;
Scherbaum, Anna: Tanzendes Bauerpaar/Der Marktbauer und sein Weib. In: Matthias Mende u.a. (Hrsg.), Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band I: Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München 2000, S. 195-196 und 216-217;
Schmidt, Werner (Hrsg): Deutsche Kunst der Dürer-Zeit. Ministerium für Kultur/Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Dresden 1971, Nr. 356; 
Sonnabend, Martin (Hrsg.): Albrecht Dürer. Die Druckgraphiken im Städel Museum. Städel Museum, Frankfurt am Main 2007, S. 104.

(zuletzt bearbeitet am 22. Mai 2021)

Samstag, 13. Juli 2013

Georg Trakl: Die Schwermut


Wilhelm Lehmbruck: Trauernder (1916/17); Frankfurt, Städel Museum
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Die Schwermut

Gewaltig bist du dunkler Mund
Im Innern, aus Herbstgewölk
Geformte Gestalt,
Goldner Abendstille;
Ein grünlich dämmernder Bergstrom
In zerbrochner Föhren
Schattenbezirk;
Ein Dorf,
Das fromm in braunen Bildern abstirbt.

Da springen die schwarzen Pferde
Auf nebliger Weide.
Ihr Soldaten!
Vom Hügel, wo sterbend die Sonne rollt
Stürzt das lachende Blut –
Unter Eichen
Sprachlos! O grollende Schwermut
Des Heers; ein strahlender Helm
Sank klirrend von purpurner Stirne.

Herbstesnacht so kühle kommt,
Erglänzt mit Sternen
Über zerbrochenem Männergebein
Die stille Mönchin.

Georg Trakl

Montag, 8. Juli 2013

Berlins „Grüner Caesar“


Bildnis des Gaius Julius Caesar (1. Jh. n.Chr; röm.-ägyptisch), Berlin, Altes Museum
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Die etwas überlebensgroße Porträtbüste (Höhe mit Sockel 55 cm) aus ägyptischem Grünschiefer (Basanit) zeigt einen bartlosen, reifen Mann mit langem, hageren Gesicht und hoher Stirn. Seine Frisur aus kurzen, sichelförmigen Locken liegt eng am Schädel an und lässt Geheimratsecken erkennen. Das Haar ist vom Wirbel auf dem Hinterkopf nach vorn gestrichen; es ist aber nicht plastisch abgesetzt, sondern eingeritzt und wirkt dadurch schütter. Dass die Haare sehr unplastisch ausgearbeitet sind, dürfte auch mit der extremen Härte des sehr wertvollen Basanits zu tun haben. Der Kopf sitzt mit seinem dünnen Hals auf einer Toga-Büste.

Das schmale Antlitz mit ausgeprägter vertikaler Achse, vorspringendem Kinn und hohen, ausgeprägten Wangenknochen ist zur linken Schulter gewandt, sodass sich am Hals deutlich eingekerbte Falten bilden. Das Inkarnat ist glatt und straff modelliert mit dezenten Hebungen und Vertiefungen. Als scharfe Linien tief in das Gesicht eingetragen sind auch die diagonalen Nasolabialfalten, je zwei senkrechte Falten auf den Wangen, die senkrecht über der Nasenwurzel aufsteigenden Stirnfalten und die Krähenfüße in den äußeren Augenwinkeln. Der Mund ist geschlossen; die geschwungenen Lippen sind mit kleinen, nach unten weisenden Grübchen an den Mundwinkeln versehen. Besonders betont erscheint die Augenpartie mit ihren schweren Oberlidern, scharfkantig abgesetzten Orbitalen und kräftigen Brauenwülsten.
Der Denar links zeigt Gaius Julius Caesar, mit dem Lorbeerkranz bekränzt, wenige Tage vor seiner Ermordung
an den Iden des März 44 v.Chr
Dargestellt ist wahrscheinlich Gaius Julius Caesar (44 v.Chr. ermordet), der anhand von Münzbildern identifiziert werden kann, die in den letzten Lebensmonaten des Diktators ausgegeben wurden. Bei allen bekannten plastischen Caesar-Porträts handelt es sich um posthume, also erst nach seinem Tod entstandene Bildnisse, „die aus der Sicht seiner Nachfolger gestaltet sind und damit zugleich auch ihren eigenen Regierungsanspruch als Angehörige des julischen Geschlechts dokumentieren“ (Kunze 1992, S. 203). Der Grüne Caesar gehört in die Reihe von Porträtköpfen aus der Zeit der späten römischen Republik, die als ausgesprochen veristisch und individuell empfunden wurden und immer noch werden. Die Köpfe all dieser späten Republikaner geben jedoch keine individuellen Züge wieder – sie zeigen vielmehr typisierte Formen, durch die Qualitäten und Werte ausgedrückt werden, die von einem Staatsmann dieser Zeit verlangt wurden. Die Alterszüge verdeutlichen die Autorität (auctoritas) des Dargestellten, der schmallippige, geschlossene Mund und der Blick verweisen auf Ernst und Strenge (gravitas, severitas). Energie und Tatkraft werden in der Kopfwendung deutlich. „Als Staatsmann und einer der Ersten (persona principis) der Republik verkörpert auch Caesar die Werte seiner Zeit und präsentiert sich als ein vir fortis et gravis: sich des Ernstes der Lage und der hohen Würde seines Amtes bewusst, in strenger unerschütterlicher Gesinnung“ (Grassinger 2012, S. 251). Die mageren, asketischen Züge signalisieren die Nüchternheit und Entbehrungsfähigkeit des erfolgreichen Feldherrn. Allerdings zeigt sich Caesar hier nicht im Habit des Militärs, sondern als Staatsmann der Republik, als civis romanus in Tunica und Toga.
Die Augen sind wohl nicht original
Das Bildnis dürfte mindestens 50 Jahre nach dem Tod Caesars entstanden sein, wahrscheinlich in Ägypten. Denn die Büste zeigt nicht nur deutliche Züge der griechisch-römischen Porträtkunst, sondern auch der spätägyptischen: Auf sie verweisen die eingravierten Haare sowie die weit aufwölbende, straffe Kontur des Schädels. Der Rand des rechten Ohrs ist beschädigt, die aus weißem Marmor bestehenden Augen sind wohl im 18. Jahrhundert eingefügt worden. Auch der Sockel ist neuzeitlich. Der Kopf wurde 1767 von Friedrich II. für seine Bibliothek in Potsdam erworben.
Mit weiteren Antiken aus dem königlichen Besitz gelangte er Ende der 1820er Jahre in die Berliner Antikensammlung. Dort fand das Porträt 2010 seine jetzige Aufstellung im Alten Museum.

Literaturhinweise
Grassinger, Dagmar: ›Grüner Caesar‹. In: Staatliche Museen zu Berlin (Hrsg.), Die Antikensammlung. Altes Museum – Neues Museum – Pergamonmuseum. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2012, S. 250-251;
Klie, Sascha: Zum „Grünen Caesar“ in Berlin. In: MOUSIKOS ANHR. Festschrift für Max Wegner zum 90. Geburtstag. Verlag Dr. Rudolf Habelt, Bonn 1992, S. 237-242;
Kunze, Max: Bildnis des Gaius Julius Caesar. In: Staatliche Museen zu Berlin (Hrsg.), Die Antikensammlung im Pergamonmuseum und in Charlottenburg. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1992, S. 203;
Scholl, Andreas (Hrsg.): Katalog der Skulpturen in der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin. Band 1 – Griechische und römische Bildnisse. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2016, S.89-91;
Schwarzmeier, Agnes (Hrsg.): Der Brutus vom Kapitol. Ein Porträt macht Weltgeschichte. Staatliche Museen zu Berlin, Berlin 2010, S. 109-110.

(zuletzt bearbeitet am 19. März 2023)