Hans Holbein d.J.: Bildnis des Charles de Solier (um 1534/35); Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister (für die Großansicht einfach anklicken) |
Hans Holbein d.J.: Bildnis der Dorothea Kannengießer (1516); Basel, Kunstmuseum |
Holbein blieb bis
1528 in London und kehrte dann nach Basel zurück. 1532 brach er erneut nach
England auf, wo er sein Ziel, Hofmaler Heinrich VIII. zu werden, spätestens 1536
erreichte. Zunächst aber musste Holbein in London neue Auftraggeber und
Förderer finden: Thomas More war wegen seines Dissenses mit dem König in der
Frage der Ehescheidung von seinem Amt als Lordkanzler zurückgetreten und in
Ungnade gefallen (er wurde 1535 hingerichtet); William Warham, Primas der
anglikanischen Kirche, der sich von Holbein während seines ersten
England-Aufenthaltes hatte malen lassen, starb 1532.
Unmittelbar nach seiner
Ankunft nahm Holbein Kontakt auf zu den Hansekaufleuten aus dem Heiligen
Römischen Reich, die im Londoner Stalhof ihre zentrale Niederlassung hatten.
Zahlreiche der in London ansässigen Handelsherren gaben ab 1532 bei Holbein Porträts
in Auftrag. Während seines Aufenthaltes als französischer
Gesandter am englischen Hof zwischen April 1534 und Juli 1535 ließ sich auch Charles de
Solier von Holbein porträtieren.Das lebensgroße Bildnis zeigt den Diplomaten frontal als Dreiviertelfigur nah an die vordere Bildebene herangerückt, wobei er das Bildformat mit seiner massigen Figur fast zur Gänze ausfüllt. Höchst effektvoll heben sich das bärtige Gesicht, die Hände und das weiße Hemd, das zum Teil aus den Ärmelschlitzen hervorblitzt, vom Dunkel der kostbaren schwarzen, teils pelzbesetzten Kleidung und dem dunkelgrünen Damastvorhang ab, der den Dargestellten hinterfängt.
Jean Clouet: Bildnis Franz I. (um 1530); Paris, Louvre |
Die Maße des ungewöhnlich
großen Porträts (92,5 x 75,5 cm) stimmen fast zentimetergenau mit Jean Clouets Bildnis des französischen Königs Franz I.
überein. Bei Clouets Gemälde handelt es sich um ein frontal ausgerichtetes
Halbfigurenporträt vor rotem Brokat, wobei der Oberkörper leicht gedreht
erscheint. Der französische König trägt einen reich geschmückten schwarzen Hut
mit einer weißen Straußenfeder, die Kette des St. Michael-Ordens und ein Gewand
aus goldbesticktem schwarzem Samt und weißem Satin. Die linke Hand hält den goldenen
Griff des Schwertes, die rechte, die auf der mit grünem Samt bedeckten Brüstung
aufliegt, einen Handschuh. Für diesen Typus hatte Jean Fouquet (1420–1481) mit
seinem Porträt Charles VII. das
Modell geliefert.
Jean Fouquet: Bildnis Charles VII. (um 1445); Paris, Louvre |
Clouets imposantes
Bildnis von Franz I. war offensichtlich auch in England bekannt und diente
Holbein als Vorbild. „Es ist nachvollziehbar, dass der Botschafter, der
Frankreich und dessen Interessen am englischen Hof vertrat, sein Bildnis als
dezidiertes Manifest französischer Hofkultur, Machtdemonstration und Loyalität
gegenüber Franz I. verstanden wissen wollte“ (Bonnet/Kopp-Schmidt 2010, S. 376).
Holbein platziert den Gesandten ebenfalls vor einem stoffdrapierten
Hintergrund. Charles de Solier zeigt sich allerdings anders als der halbfigurig
porträtierte französische König bis unterhalb der Hüften. Die Ärmel seines
breitschultrigen Mantels reichen bis an die Bildränder, werden aber nur wenig
überschnitten. Kopf und Körper sind frontal ausgerichtet; die Beleuchtung kommt
deutlich von links, deswegen ist die dem Licht abgewandte Gesichtshälfte
verschattet. Die strenge Frontalität „bewirkt eine ungemein zwingende
Konfrontation des Betrachters mit dem Dargestellten, da weder Blick noch
Körperhaltung auf etwas anderes als das Gegenüber ausgerichtet zu sein
scheinen“ (Bonnet/Kopp-Schmidt 2010, S. 376).
Die Präsenz de
Soliers wird gesteigert durch das Gewand nach französischer Mode mit seinen
ausladenden, geschlitzten und von Goldnesteln zusammengehaltenen Ärmeln und dem schwarzen, mit braunem Fell gefütterten Mantel. Er trägt ein mit der
Kopfbedeckung des französischen Königs fast identisches Barett mit
Goldapplikationen und einer Agraffe am hochgestellten Rand. Die Haare des Gesandten
sind bereits ergraut, während sein akkurat geschnittener Vollbart noch Strähnen
der ursprünglich rötlich-blonden Farbe zeigt. Auf den eindringlichen Blick
hatte sich Holbein bereits in der vorbereitenden Kreidestudie, die er dem
Porträt zugrunde legte, konzentriert.
Holbeins Vorzeichnung befindet sich ebenfalls in Dresden (Kupferstich-Kabinett) |
Wie bei Clouet ziehen
auch de Soliers Hände die Aufmerksamkeit auf sich, hier in Höhe der Hüften. In
der bloßen rechten Hand hält er einen hirschledernen Stulphandschuh, mit der behandschuhten Linken
umfasst er die Scheide eines kostbaren goldenen Dolches, der an einer
blau-goldenen Kette von seinem Gürtel herabhängt. Zusammen mit der schweren
Goldkette verdeutlichen sie den hohen sozialen Status des Gesandten.
Werkstatt des Hans Holbein d.J.: Bildnis Heinrich VIII. (um 1535-40); Rom, Galleria Nazionale |
Das Bildnis Charles
de Soliers bildet ohne Frage einen Höhepunkt der höfischen Porträtkunst
Holbeins. Dafür sorgt nicht nur die Kostbarkeit der illusionistisch genau gemalten Stoffe wie Samt, Seide, Atlas oder Pelz, sondern vor allem die geradezu einschüchternde Persönlichkeit des Gesandten. Holbeins Bildnis nimmt außerdem die ganzfigurige Darstellung Heinrich VIII. vorweg,
die Holbein 1537 für die „Privy Chamber“ in Whitehall Palace angefertigt hatte.
Das Original ist verloren (es wurde 1698 bei einem Brand zerstört); seine Gestaltung, die den Typus des Königsporträts
Heinrich VIII. festlegte und den unbedingten Machtanspruch des Königs ins Bild
setzt, blieb aber durch Kopien und die Entwürfe Holbeins erhalten.
Hans Holbein d.J. war nur etwas über ein Jahrzehnt Arbeits- und Lebenszeit in England vergönnt – er starb, vermutlich an der Pest, am 29. November 1543 in London.
Hans Holbein d.J. war nur etwas über ein Jahrzehnt Arbeits- und Lebenszeit in England vergönnt – er starb, vermutlich an der Pest, am 29. November 1543 in London.
Literaturhinweise
Bätschmann, Oskar/Griener, Pascal: Hans Holbein.
DuMont Buchverlag, Köln 1997, S. 134-135;
Bonnet, Anne-Marie/Kopp-Schmidt, Gabriele: Die Malerei der deutschen Renaissance.
Schirmer/Mosel, München 2010;Marx, Harald: Das Bildnis des Charles de Solier, Sieur de Morette, von Hans Holbein dem Jüngeren. In: Hans Holbein der Jüngere. Akten des Internationalen Symposiums Kunstmuseum Basel, 26.–28. Juni 1997. Verlag Karl Schwegler, Zürich 1999, S. 263–279;
Sander, Jochen: Gebt dem König, was des Königs ist! Hans Holbein d.J. als Bildnismaler in Basel und London. In: Sabine Haag u.a. (Hrsg.), Dürer – Cranach – Holbein. Die Entdeckung des Menschen: Das deutsche Porträt um 1500. Hirmer Verlag, München 2011, S. 139-143.
(zuletzt bearbeitet am 9. Juni 2020)