Pieter Bruegel d.Ä.: Der Bethlehemitische Kindermord (um 1564; originale, in Details übermalte Fassung); Surrey, Hampton Court (für die Großansicht einfach anklicken) |
Pieter Bruegel d.J.: Der Bethlehemitische Kindermord (um 1564/66, Kopie); Wien, Kunsthistorisches Museum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Dieser Stern ist jedoch nur in einer Kopie des Bildes von Pieter Bruegel d.J. zu sehen. Denn das Original von Bruegels Gemälde – es befindet sich in Hampton Court südwestlich von London – wurde in Details übermalt. Ein späterer Besitzer hatte die Szenerie als derart grausam empfunden, dass er viele der ermordeten Kinder durch
Vögel und andere Motive
ersetzen ließ. Offensichtlich glaubte dieser Eigentümer, „dass
der Künstler das Thema zu blutrünstig dargestellt und dadurch das Decorum
verfehlt habe“ (Müller 2009, S. 137). Die Fassung im Kunsthistorischen Museum Wien ist zwar später entstanden, zeigt uns
aber den ursprünglichen Zustand des Bildes.
Mit äußerster Grausamkeit
gehen die Soldaten gegen die Zivilbevölkerung vor. Die Schergen schleppen die
Kinder vor den schwarzgekleideten Mann in der Bildmitte und massakrieren sie vor
dessen Augen. Diese improvisierte Hinrichtungsstätte ist das eigentliche
Zentrum des Gemäldes. Von hier geht der Befehl zur Tötung aus, hierher kehren
die Häscher zurück, um die Morde auszuführen. Viele Kinder liegen bereits tot
im Schnee und werden von ihren Müttern beweint.Nicht Truthähne werden hier getötet, wie die Übermalung des Originals zeigt, sondern Wickelkinder (für die Großansicht einfach anklicken) |
Hilflos sind die
Menschen den Soldaten ausgeliefert; überall im Bild treffen wir auf
Verzweiflung und tiefe Niedergeschlagenheit, Fassungs- und Ratlosigkeit. Im Mittelgrund
erkennt man auf der rechten Seite, wie ein Häscher in ein Haus eindringt,
während eine Mutter mit ihrem Kind auf dem Arm durch einen Seiteneingang zu
fliehen versucht. Hier wartet jedoch schon ein weiterer Scherge, der diese
Fluchtmöglichkeit offensichtlich vorausgesehen hat. Auf der gegenüberliegenden
Seite ist ein aufgebrachter Mann zu sehen, der wohl auf den Henkersknecht vor
ihm losgehen würde, hielten ihn seine Nachbarn nicht zurück. Unmittelbar
daneben versucht ein Vater, seine kleine Tochter, auf die er mit dem linken
Zeigfinger weist, gegen seinen Sohn, der gerade von einem Soldaten weggetragen
wird, zu tauschen.
Immer aufs Neue
hoffen wir, dass es doch wenigstens einer Mutter gelänge, den Mördern zu
entkommen – um dann feststellen zu müssen, wie aussichtslos das ist. Das Dorf
selbst wirkt dabei wie „ein großes optisches Gefängnis“ (Müller 2009, S. 142). Uns als Betrachter weist der gewählte Bildausschnitt einen distanzierten Standort zu: Es ist, als würden wir aus dem Fenster eines Hauses herunterschauen, das sich auf Höhe der gegenüberliegenden Dächer befindet.
Die Häuser links und rechts der Straße rahmen das Geschehen und führen gleichzeitig in die Tiefe des verschlossenen Bildraums. Wie einer undurchdringlichen Phalanx sieht sich der Betrachter den schwerbewaffneten Lanzenreitern gegenüber, in deren Mitte der schwarzgekleidete Anführer auf seinem Pferd sitzt. Falls den Häschern aber doch ein Kind entwischen sollte, ist für diesen Fall auf der Brücke im Hintergrund eine berittene Wache aufgestellt. So kann man oberhalb des angebundenen Pferdes links eine Person erkennen, die versucht, sich mit einem Kind davonzuschleichen. Doch der Betrachter weiß, dass dies erfolglos sein wird, scheint man doch die Brücke passieren zu müssen ...
Die Häuser links und rechts der Straße rahmen das Geschehen und führen gleichzeitig in die Tiefe des verschlossenen Bildraums. Wie einer undurchdringlichen Phalanx sieht sich der Betrachter den schwerbewaffneten Lanzenreitern gegenüber, in deren Mitte der schwarzgekleidete Anführer auf seinem Pferd sitzt. Falls den Häschern aber doch ein Kind entwischen sollte, ist für diesen Fall auf der Brücke im Hintergrund eine berittene Wache aufgestellt. So kann man oberhalb des angebundenen Pferdes links eine Person erkennen, die versucht, sich mit einem Kind davonzuschleichen. Doch der Betrachter weiß, dass dies erfolglos sein wird, scheint man doch die Brücke passieren zu müssen ...
Selbst die Häuser
bieten den Menschen kein Schutz vor den Soldaten, die nicht eher ruhen zu wollen scheinen, bis sie auch die letzten Kinder gefunden und umgebracht haben. Vorne rechts brechen finstere
Gestalten auf Befehl ihres Hauptmanns in ein Haus ein, während eine andere
Gruppe dabei ist, durch ein Fenster einzudringen. Dafür hat sie eigens ein Fass
gegen die Hauswand gestellt, das als Tritt benutzt wird. Anders dagegen der große Spürhund im Vordergrund, der nur widerwillig seiner Aufgabe nachkommen will: Die Jagd auf Kinder scheint mit dem Instinkt des Tieres nicht vereinbar zu sein.
In der linken
Bildhälfte erkennt man einen Reiter, der gegen eine Hauswand pinkelt, während
ein Mann sein Pferd hält (ein Detail, das man übrigens auch in Bruegels Volkszählung zu Bethlehem findet; siehe meinen Post „Bethlehem in Flandern“).
Das „dringende Bedürfnis“ des Soldaten hat dazu geführt, dass die bereits
erwähnte fliehende Person im linken Hintergrund hat vorbeischlüpfen können. Doch
schon im nächsten Moment wird sich dieser vermeintlich friedliche, von seinem
Harndrang getriebene Mensch in einen Mörder zurückverwandeln.
Zu der Hinrichtungsszene in der Bildmitte gehören auch zwei Frauengestalten, von denen die eine im Klagegestus die Hände erhoben und die andere in ihrem Schmerz ihr Gesicht mit den Händen bedeckt. Sie gehören zum typischen Bildpersonal einer Kreuzigung. „Durch dieses Versatzstück aus der Kreuzigungsikonographie ergibt sich ein typologischer Hinweis für das Verständnis der Tafel, denn die Kinder werden dadurch zu Protomärtyrern erklärt und weisen auf das Martyrium Christi voraus“ (Müller 1998, S. 287). Auch bei den Reitern mit den aufgerichteten Lanzen kann man an eine Kreuzigungsszene denken.
Zu der Hinrichtungsszene in der Bildmitte gehören auch zwei Frauengestalten, von denen die eine im Klagegestus die Hände erhoben und die andere in ihrem Schmerz ihr Gesicht mit den Händen bedeckt. Sie gehören zum typischen Bildpersonal einer Kreuzigung. „Durch dieses Versatzstück aus der Kreuzigungsikonographie ergibt sich ein typologischer Hinweis für das Verständnis der Tafel, denn die Kinder werden dadurch zu Protomärtyrern erklärt und weisen auf das Martyrium Christi voraus“ (Müller 1998, S. 287). Auch bei den Reitern mit den aufgerichteten Lanzen kann man an eine Kreuzigungsszene denken.
In der kunsthistorischen
Forschung ist der Bethlehemitische Kindermord von Bruegel immer wieder mit
der spanisch-habsburgischen Fremdherrschaft in den südlichen Niederlanden in
Verbindung gebracht worden. Dabei wurde der schwarze Anführer im Zentrum des
Bildes mit Herzog Alba gleichgesetzt, der seit 1567 Statthalter in den
habsburgischen Niederlanden war und dort ein Terrorregime errichtete. Damit begann
ein über 80 Jahre andauernder Befreiungskrieg. Der jugendliche Bote rechts, um
dessen Pferd sich mehrere Bewohner scharen, trägt den Habsburger Doppeladler
auf seiner Brust – ein eindeutig zeitgeschichtlicher Hinweis. Der Doppeladler
findet sich auch am Dachfirst des Hauses, das auf der vertikalen Bildachse
platziert ist. Keine Frage: Bruegel bezieht mit seinem Bild eindeutig Partei
gegen die brutalen Besatzer und Unterdrücker.
Literaturhinweise
Gräf, Christian: Die Winterbilder Pieter Bruegels d.Ä. Jahreszeitliche Erscheinungen des Winters als Bedeutungs- und Stimmungsträger. VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2009;Müller, Jürgen: Überlegungen zum Realismus Pieter Bruegels d.Ä. am Beispiel seiner Darstellung des Bethlehemitischen Kindermordes. In: Morgen-Glantz. Zeitschrift der Christian Knorr von Rosenroth-Gesellschaft 8 (1998), S. 273-296;
Müller, Jürgen: Spuren im Schnee – Anmerkungen zu zwei „Winterbildern“ Pieter Bruegels d.Ä. In: Kirsten Kramer/Jens Baumgarten (Hrsg.), Visualisierung und kultureller Transfer. Verlag Königshausen und Neumann, Würzburg 2009, S. 133-150;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 9. Juni 2020)
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