Emil Nolde: Christus und die Kinder (1910); New York, The Museum of Modern Art (für die Großansicht einfach anklicken) |
Johann Friedrich Overbeck: Der Ostermorgen (um 1818); Düsseldorf, Stiftung Museum Kunstpalast |
Emil Nolde wurde 1867 als Emil Hansen im
deutsch-dänischen Grenzgebiet geboren. Später nannte er sich nach seinem
gleichnamigen Geburtsort. Zu seiner glühend-expressionistischen Malweise kam er
erst 1909, als über 40-Jähriger – mit drei biblischen Bildern, dem Abendmahl,
der Verspottung Christi und dem Schlüsselwerk Pfingsten: Dicht um einen
Tisch gedrängt, schließt die Gemeinschaft der Jünger einen Kreis. Ihre starren,
teils ekstatisch-entrückt in die Ferne blickenden, teils in sich gekehrten
Augen verweigern den Blickkontakt mit dem Betrachter. Ein inneres Erlebnis wird
hier dargestellt, ohne jedes schmückende Beiwerk – das tiefe Ergriffensein vom
Heiligen Geist.
Emil Nolde: Pfingsten (1909); Berlin, Nationalgalerie |
Emil Nolde: Abendmahl (1909; Kopenhagen, Statens Museum for Kunst |
Emil Nolde: Verspottung Christi (1909); Berlin, Brücke-Museum |
Christus steht, die
ganze Bildhöhe einnehmend, als große Rückenfigur leicht links von der Mitte und
blickt nach rechts. Da wir ein Bild gewöhnlich von links nach rechts lesen, scheint sich Jesus aktiv den Kindern zuzuwenden. Dieser
Eindruck wird durch seinen gebeugten Rücken noch verstärkt. Christus neigt sich
zu einem Kind herab und ist dabei, es auf seinen Arm zu nehmen. Die
Kinderschar, ein buntes Durcheinander kleiner Wuschelköpfe, drängt von rechts
an ihn heran. Die Kleinen schreien begeistert und fuchteln mit ihren Ärmchen.
Jedes Kind möchte von ihm hochgehoben werden. „Die Bewegung und Energie, die in
den Kindern steckt, kommt besonders in der Farbgebung zum Ausdruck, im
schrillen nebeneinander der Orange- und Rottöne, die durch vereinzelte
Grünakzente in ihrer strahlenden Wirkung noch intensiviert sind“ (Stückelberger
2002, S. 234).
Auf der anderen Seite sind die in kaltem Blau
gemalten Jünger zu sehen, die missmutig und verständnislos das Geschehen
beobachten. Die Farben entsprechen den Gefühlen der jeweiligen Figuren: Den
abweisenden Jüngern stellt Nolde die jubelnde Freude der Kinder und das
liebevolle Verhalten Jesu gegenüber. Noldes Bild lebt vom Kontrast zwischen der kühlen, eher statischen
linken und der warmen, sehr bewegten rechten Seite. Christus ist sowohl
kompositionell als auch farblich mehr der linken Seite zuzurechnen.
Gleichzeitig übernimmt er jedoch eine Art Brückenfunktion, indem er sich mit
ungeteilter Aufmerksamkeit den Kindern zuwendet und sich mit Oberkörper und
Kopf auf ihre Seite neigt. „Statt der Distanz, die die Jünger wahren, sucht er
die Begegnung, statt der Polarisierung die Verbindung“ (Stückelberger 2002, S.
235). Dass Noldes Bild so auf uns wirkt, liegt maßgeblich am Gegensatz von dunkler linker und heller
rechter Seite. Da helle Farben die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich
ziehen, schweift unser Blick in diesem Gemälde automatisch nach rechts: Wir
folgen mit unseren Augen der Bewegung Christi.
Johannes
Stückelberger verweist darauf, dass die Gestalt Jesu in Noldes Bild derjenigen
in Rembrandts Radierung Auferweckung des Lazarus (um 1632) sehr ähnlich sei.
Rembrandt gehört zu den Größen unter den alten Meistern, mit denen sich Nolde
identifizierte und deren Werke für ihn immer wieder zur Inspirationsquelle
wurden. Wie bei Christus und die Kinder ist Jesus in Rembrandts Radierung von
hinten zu sehen und dominiert die Szene. Der Betrachter befindet sich mit Christus
in einem höhlenartigen Innenraum und blickt in Richtung Ausgang. Der
Vordergrund und der Rücken Jesu liegen im Dunklen, die rechte Bildhälfte wird dagegen
vom Licht erhellt.
Rembrandt van Rijn: Auferweckung des Lazarus (um 1632); Radierung |
Es existiert eine von Nolde zusammengestellte Liste, die mit „Meine biblischen und Legendenbilder“ überschrieben ist und Gemälde aus den Jahren 1909 bis 1951 aufführt. Auf drei Seiten eines gefalteten Blattes hat der Künstler die Titel dieser Werke in chronologischer Reihenfolge vermerkt – es sind insgesamt 55. Diese Zahl wie auch das Verzeichnis selbst belegen das außergewöhnliche Interesse Noldes an diesem Themenbereich.
Es ist leicht, von Emil Noldes Bildern begeistert zu sein. Aber gesagt werden muss auch: Nolde war ein strammer Antisemit, der sich glühend zu seinem „Führer“ bekannte. Das zeigen neu aufgefundene Dokumente sehr deutlich (siehe DIE ZEIT vom 21.10.2013; http://www.zeit.de/2013/42/emil-nolde-nationalsozialismus).Was einmal mehr belegt: Ein großer Maler zu sein heißt nicht, auch ein großer Mensch zu sein.
Es ist leicht, von Emil Noldes Bildern begeistert zu sein. Aber gesagt werden muss auch: Nolde war ein strammer Antisemit, der sich glühend zu seinem „Führer“ bekannte. Das zeigen neu aufgefundene Dokumente sehr deutlich (siehe DIE ZEIT vom 21.10.2013; http://www.zeit.de/2013/42/emil-nolde-nationalsozialismus).Was einmal mehr belegt: Ein großer Maler zu sein heißt nicht, auch ein großer Mensch zu sein.
Literaturhinweise
Hamburger Kunsthalle (Hrsg.): Emil Nolde. Legende,
Vision, Ekstase. Die religiösen Bilder. DuMont Buchverlag, Köln 2000;
Jüngling, Kirsten: Emil Nolde. Die Farben sind meine Noten. Biographie. Propyläen, Berlin 2013;
Stückelberger, Johannes: „Rembrandt war es, den wir suchten“ – Nolde im Dialog mit den
alten Meistern. In: Nolde im Dialog 1905-1913. Quellen und Beiträge. Hirmer
Verlag, München 2002, S. 226-241;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 7. Mai 2020)
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
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