Ernst Barlach: Schwebender Engel (1927); Güstrow, Dom |
Wilhelm Wandschneider: Trauernder Soldat (1936); Schwerin, Alter Friedhof |
Georg Kolbe: Stralsunder Ehrenmal (1936); Stralsund, Marinemuseum Dänholm |
Freunde Barlachs hatten das Unheil geahnt und
Vorsorge getroffen. Schon 1939 ließen sie vom Original-Werkmodell einen zweiten
Engel gießen, den sie versteckten. Sie taten gut daran, denn 1944 zerstörten
Bomben das in Berlin aufbewahrte Gipsmodell. Der Zwillingsengel hingegen
überlebte Krieg und Nationalsozialismus in einer Scheune in der Lüneburger
Heide. Barlach selbst hatte diese Vermehrung seiner Plastik nicht mehr erlebt;
er war im Oktober 1938 gestorben, noch vor dem Zweitguss.
Der Zweitguss wurde 1952 den Kölner Museen
angeboten, und, weil nach Ansicht des damaligen Direktors nicht für ein Museum
geschaffen, in der Antoniter-Kirche aufgehängt. Doch zuvor hatte sich auch dieser
nunmehr „Kölner Engel“ fortgepflanzt – nach dem Wunsch der Barlach-Gesellschaft
wurde eine Kopie für den Güstrower Dom gefertigt, die Heimatkirche der ersten
zerstörten Skulptur. Finanziert wurde dieser dritte Guss und das dafür vom
„Kölner Engel“ abgenommene Gipsmodell durch den Verkauf des Engels an die
Antoniter-Gemeinde.
Der Zweitguss des „Schwebenden Engels“ in der Kölner Antoniterkirche |
Wieder bereitete der Engel Ärger. Die Amerikaner
wollten das „wehrwichtige Material“ nicht in die „Ostzone“ reisen lassen. Erst
nach langen Verhandlungen gelangte die Bronzeskulptur im Februar 1953 nach
Güstrow, und Bertolt Brecht, nicht gerade ein Rechtgläubiger, schwärmte: „Solche Engel gefallen mir. Und
obwohl man weder einen Engel noch einen Mann je hat fliegen sehen, so ist doch das
Fliegen glorios dargestellt“ (Brecht 1993, S. 199).
Ernst Barlach war einer der vielen Künstler, die
1914 den Ausbruch des Ersten Weltkriegs begeistert begrüßten. Er hoffte, dass
dieser Krieg wie ein notwendiges Fegefeuer zur „Weiterung und Erhöhung des
Volkes“ führen würde (Brief an Karl Barlach vom 17. August 1914). Aber von der
Idee, mit einem erschreckenden Gewaltsturm könne eine verworfene Menschheit aufgerüttelt
und aus ihrer Dumpfheit erlöst werden, wurde Barlach schnell kuriert. Allein
schon die sechswöchige Blitzausbildung als Reservist im Januar und Febraur 1916
machte ihm klar, dass Kampf und tausendfacher Tod auf den Schlachtfeldern keine
„Erneuerung“ hervorbringen würden. Die zunächst ernüchternden, später
erschütternden Nachrichten von Freunden an der Front verwandelten den
Kriegsbegeisterten in einen Verkünder des Friedens, der sein Denkmal für die
Gefallenen nur als Mahnmal errichten konnte und wollte.
Die langgestreckte, lebensgroße Figur schwebt mit erhobenem Kopf in waagrechter
Lage und wird von einer Kette gehalten. Die kräftige Gestalt ist, die nackten Füße ausgenommen, bekleidet und
trägt ein Gewand, dass sie wie eine Haut umgibt. Es ist knöchellang und fällt
strahlenförmig-streng mit jeweils drei Gewandfalten nach allen Seiten. Die
ausgeschnittenen Ärmel und der kragenlose Halsausschnitt bilden scharfe Linien
in der Metalloberfläche. Die Form des Gewandes gleicht „einem in die Schwebe
gebrachten Kubus, der in der Rückenlinie nach oben fast waagerecht und nach
unten leicht schräg abgesenkt wurde“ (Laudan 1998, S. 70). Die vor der Brust verschränkten Arme tragen sowohl zur Geschlossenheit der Figur bei als auch zum
Ausdruck tiefer Verinnerlichung und Stille. „Hinter den zeichenhaft gehaltenen
Armen sind Leben und Tod überwunden, Leid, Geschrei, Schmerzen verschlossen und
festgehalten, wie eine aufnotierte Erinnerung in einer Rolle oder in einem
Gefäß“ (Laudan 1998, S. 70). Barlach selbst erklärte, dass der Schwebende Engel das „schmerzvolle
Erinnern“ schlechthin symbolisieren solle (Brief an Karl von Seeger am 6.
Februar 1929).
Kopf des „Schwebenden Engels“ (© Karl-Heinz Köpnick) |
Käthe Kollwitz (1867–1945) |
Ernst Barlach: Magdeburger Mal (1927-1929); Magdeburg Dom |
Ernst Barlach: Hamburger Ehrenmal (1931); Hamburg, Schleusenbrücke beim Rathausmarkt |
Literaturhinweise
Billstein, Heinrich: Ein Engel zuviel. In: DIE
ZEIT vom 30. September 1988;
Brecht, Bertolt: Werke. Band 23. Suhrkamp Verlag,
Frankfurt am Main 1993;
Laudan, Ilona: Ein Engel für den Güstrower Dom.
Zur Entstehungsgeschichte des Güstrower Ehrenmals. In: Piper, Reinhard: Vormittag. Mein Leben als Verleger.
Piper Verlag, München 1991;
Probst, Volker (Hrsg.), Ernst Barlach – Das Güstrower Ehrenmal. Zum 60. Todestag von Ernst Barlach. E.A. Seemann Verlag, Leipzig 1998, S. 10-85.
Probst, Volker (Hrsg.), Ernst Barlach – Das Güstrower Ehrenmal. Zum 60. Todestag von Ernst Barlach. E.A. Seemann Verlag, Leipzig 1998, S. 10-85.
(zuletzt bearbeitet am 8. Juni 2020)
Zu empfehlen ist eine Reise nach Güstrow auf der Barlach Tour unter http://kulturreise-ideen.de/literatur/autoren/Tour-ernst-barlach.html#to_map
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