Michelangelo: Sieger (1524); Florenz, Palazzo Vecchio (für die Großansicht einfach anklicken) |
Michelangelos
Skulptur stellt den Triumph eines nackten jungen Mannes über einen bekleideten
älteren Krieger dar. Im Haar trägt der Jüngling überdimensioniertes Eichenlaub,
was nicht nur als Attribut des Sieges zu deuten ist, sondern ebenso als
Anspielung auf die Familie des Papstes, die della Rovere. Sie betrachtete
aufgrund ihres Namens (rovere, ital.
Eiche) Eichenlaub und Eicheln als ihr ureigenstes Emblem, die dementsprechend
ins Familienwappen aufgenommen wurden.
Von allen Seiten schön |
Der Unterworfene
kniet auf dem linken Bein, während das rechte angewinkelt neben seinem Gesicht
platziert ist; die Arme sind auf den horizontal gebeugten Rücken gebunden. An
der Kleidung des Niedergezwungenen lassen sich Brustpanzer und Soldatenmantel erkennen.
Der Sieger steht auf dem rechten Bein, das linke drückt er mit verhältnismäßig
geringem Kraftaufwand in einer Triumphgeste auf den Rücken des Besiegten. Er hält sein Opfer in Schach, richtet aber die Augen zur Seite, als wittere er neue Gefahr. Der
muskulöse Oberkörper ist entschieden nach links gewandt, der Kopf in die
Gegenrichtung. Die Drehung wird durch den weit abgespreizten, angewinkelten
rechten Arm betont, der sich im rechten Winkel zu den Beinen befindet. Mit der
linken Hand hält er den wohl im Kampf herabgeglittenen Mantel, um ihn dann mit
den Fingern der ebenfalls angewinkelten Rechten wieder nach vorne zu ziehen. Kraft
drückt sich vor allem in der Schulter und in dem angehobenen Arm aus. „Wie ein
schützender Schild schiebt sich das Schulterblatt dem Betrachter entgegen“
(Poeschke 1992, S. 103) – ein Motiv, das auch an Michelangelos Liegefigur des Giorno am Grabmal Giuliano de’ Medicis ins Auge springt.
Michelangelo: Grabmal des Giuliano de' Medici (1520-1534); rechts unten die Figur des Giorno; Florenz, San Lorenzo (für die Großansicht einfach anklicken) |
Geschmeidig und
kraftvoll steigt der Körper des Siegers in die Höhe – das verleiht ihm das
Triumphale. Dabei sei die Bewegung ästhetisch motiviert, nicht realistisch, so
Sabine Poeschel; die neuartige und komplizierte Figurenanordnung werde „zum
Selbstzweck“ (Poeschel 2014, S. 77). Christian Lenz erkennt jedoch durchaus
einen Sinngehalt in der Marmorgruppe: nämlich die Polarität bzw. „naturgegebene
Folge von niedergehendem Alter und aufsteigender Jugend, diese jenes
überwindend“ (Lenz 2007, S. 256). Gefeiert werde die jugendlich-erotische Lebenskraft.
„So erscheint denn auch der Alte in seiner Kleidung wie eingepackt, das Gesicht
verhüllt durch den dichten Bart, während der Jüngling fast gänzlich nackt ist,
sich in seiner Nacktheit geradezu darbietet und durch das Geschlecht
unmittelbar über dem Besiegten pointiert anschaulich macht, worin der Sieg des
Lebens beruht“ (Lenz 2007, S. 256). Dieser Triumph gehe so weit, dass der
Sieger ohne jeglichen Bezug zu dem Bezwungenen unter ihm mit gleichmütig-ungerührter
Miene nach rechts in die Ferne blickt.
Jugend triumphiert |
Michelangelo: Auferstandener Christus (1519-1521); Rom, Santa Maria sopra Minerva |
Giambologna: Raub der Sabinerin (1583 enthüllt); Florenz, Loggia dei Lanzi (für die Großansicht einfach anklicken) |
Giambologna: Florenz über Pisa triumphierend (1589 aufgestellt); Florenz, Bargello |
Doch Giambologna
hatte sich bereits früher mit Michelangelos neuartiger Komposition auseinandergesetzt:
Im Zusammenhang mit den Hochzeitsfeierlichkeiten von Francesco I. de’ Medici
und Johanna von Österreich 1565 war der Bildhauer beauftragt worden, ein
Pendant zu Michelangelos Sieger
anzufertigen. Dargestellt ist Florenz
über Pisa triumphierend, allegorisch verkörpert von einer nackten jungen
Frau, die die unterlegene und gefesselte männliche Figur mit ihrem rechten Bein
zu Boden drückt. Giambolognas Stuckmodell wurde tatsächlich 1565 gegenüber von
Michelangelos Skulptur im Salone dei Cinquecento des Palazzo Vecchio
aufgestellt. Für die Marmorstatue benötigte der Künstler dann aber noch etliche
Jahre: Sie wurde erst 1584 als vollendet erwähnt; 1589 nahm sie dann endgültig
den Platz der Stuckfassung ein.
Giambolognas Florenz-Figur nimmt mit ihrer Haltung spiegelbildlich auf den Sieger Bezug, schraubt das Serpentinata-Prinzip aber noch um eine Drehung weiter: „Während bei Michelangelo der Besiegte unbewegt verharrt und mit seinem horizontal gelagerten Rücken ein ruhiges Gegengewicht zur spiraligen Aufwärtsbewegung des Siegers bildet, bindet Giambologna beide Figuren in einer einzigen fließenden, geschwungenen Linie in der Form einer Acht zusammen“ (Strunck 2000, S. 269). Diese Linie beginnt beim ausgestreckten linken Fuß des Gefangenen, führt über sein Schienbein zu seinem Kopf, macht dort eine S-förmige Kehrtwendung, folgt Schenkel und Arm der Frau aufwärts bis zu deren linker Schulter und läuft schließlich bis über ihre rechte Schulter, den rechten Arm und das Tuch wieder abwärts. Und während Michelangelo in seiner Sieger-Gruppe den Triumph der Jugend über das Alter veranschaulicht, erotisiert Giambologna seine Skulptur und vertauscht dabei die Rollen: Bei ihm siegt die schwache Frau über den starken Mann – eine in der damaligen Liebesliteratur verbreitete Vorstellung. „Giambologna durfte in seinem Paragone mit Michelangelo wohl damit rechnen, daß der Kontrast zwischen dem zarten, nackten Frauenkörper und den harten Muskeln des unterworfenen Mannes die Phantasie der meisten Betrachter stärker entflammen würde als Michelangelos rein virile Gruppe“ (Strunck 2000, S. 270).
Rittlings gespreizte Beine als Pose des „aufreitenden“ Siegers werden fortan immer wieder verwendet: In einer Skulpturengruppe von Pierino da Vinci erschlägt Samson in dieser Haltung einen Philister (um 1550 entstanden; siehe meinen Post „Michelangelo niederzwingen“), und Vincenzo Danti lässt auf diese Weise die Ehre den Betrug überwältigen (1561 entstanden). Auch Caravaggio bedient sich dieses Motivs, und zwar in seinem Irdischen Amor (1601/02) aus der Berliner Gemäldegalerie (siehe meinen Post „Meine Augen werden ihn schauen“).
Giambolognas Florenz-Figur nimmt mit ihrer Haltung spiegelbildlich auf den Sieger Bezug, schraubt das Serpentinata-Prinzip aber noch um eine Drehung weiter: „Während bei Michelangelo der Besiegte unbewegt verharrt und mit seinem horizontal gelagerten Rücken ein ruhiges Gegengewicht zur spiraligen Aufwärtsbewegung des Siegers bildet, bindet Giambologna beide Figuren in einer einzigen fließenden, geschwungenen Linie in der Form einer Acht zusammen“ (Strunck 2000, S. 269). Diese Linie beginnt beim ausgestreckten linken Fuß des Gefangenen, führt über sein Schienbein zu seinem Kopf, macht dort eine S-förmige Kehrtwendung, folgt Schenkel und Arm der Frau aufwärts bis zu deren linker Schulter und läuft schließlich bis über ihre rechte Schulter, den rechten Arm und das Tuch wieder abwärts. Und während Michelangelo in seiner Sieger-Gruppe den Triumph der Jugend über das Alter veranschaulicht, erotisiert Giambologna seine Skulptur und vertauscht dabei die Rollen: Bei ihm siegt die schwache Frau über den starken Mann – eine in der damaligen Liebesliteratur verbreitete Vorstellung. „Giambologna durfte in seinem Paragone mit Michelangelo wohl damit rechnen, daß der Kontrast zwischen dem zarten, nackten Frauenkörper und den harten Muskeln des unterworfenen Mannes die Phantasie der meisten Betrachter stärker entflammen würde als Michelangelos rein virile Gruppe“ (Strunck 2000, S. 270).
Pierino da Vinci: Samson erschlägt einen Philister (um 1550); Florenz, Palazzo Vecchio |
Vincenzo Danti: Die Ehre besiegt den Betrug (1560/61); Florenz, Bargello |
Caravaggio: Der Irdische Amor (1601/02); Berlin, Gemäldegalerie |
Literaturhinweise
Bredekamp, Horst: Michelangelo. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2021, S. 458-461;
Lenz, Christian: Michelangelos
Skulptur „Vittoria“. Gedanken zum Sinn des Werkes und zur Frage des
Manierismus. In: Johannes Myssok/Jürgen Wiener (Hrsg.), Docta
Manus. Studien zur italienischen Skulptur für Joachim Poeschke. Rhema-Verlag,
Münster 2007, S. 255-261;
Frommel, Christoph Luitpold: Das Grabmal Julius’
II.: Planung, Rekonstruktion und Deutung. In: Christoph Luitpold Frommel,
Michelangelo – Marmor und Geist. Das Grabmal Papst Julius’ II. und seine
Statuen. Schnell und Steiner, Regensburg 2014, S. 19-70;
Poeschel, Sabine:
Starke Männer – schöne Frauen. Die Geschichte des Aktes. Wissenschaftliche
Buchgesellschaft, Darmstadt 2014, S. 76-80;
Poeschke, Joachim: Die Skulptur der Renaissance in Italien. Band 2: Michelangelo und
seine Zeit. Hirmer Verlag, München 1992, S. 102-104;Strunck, Christina: Eine radikale Programmänderung im Palazzo Vecchio. Wie Michelangelos »Sieger« auf Giambologna und Vasari wirkte. In: Michael Röhlmann/Andreas Thielemann (Hrsg.), Michelangelo. Neue Beiträge. Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 200, S. 265-297.
(zuletzt bearbeitet am 28. März 2022)
Dieser Post hat mir sehr bei der Vorbereitung für eine Kunstklausur geholfen, danke!
AntwortenLöschenHat mir für meine Werkbetrachtung zu Michelangelos "Der Sieg" geholfen , Danke :)
AntwortenLöschen