Sonntag, 20. April 2014

Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne – Matthias Grünewalds „Auferstehung Christi“


Matthias Grünwald: Auferstehung Christi (Isenheimer Altar, 1512-16);
Colmar, Musée d'Unterlinden (für die Großansicht einfach anklicken)
Zu den bekanntesten und eindringlichsten Darstellungen des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald gehört neben der Kreuzigungsszene (siehe meinen Post „Illum oportet crescere“) ohne Zweifel die Auferstehung Christi. Der gewaltige Altar, 1512–1516 für das Antoniterkloster im elsässischen Isenheim gemalt und heute in Colmar ausgestellt, zeigte geschlossen die Kreuzigung, links und rechts davon die Bilder der Heiligen Sebastian und Antonius sowie die Beweinung Christi. Wurden die Flügel geöffnet, bot sich die zweite Schauseite dar: links die Verkündigung an Maria, in der Mitte die Geburt Jesu und das Engelskonzert, und rechts schloss sich die Auferstehung des Gekreuzigten an. Diese zweite Schauseite wurde an den kirchlichen Feiertagen und wohl auch an Sonntagen aufgeschlagen. Der Eindruck des Altars, der bei geöffneten Flügeln bis zu 7 Meter breit war, muss überwältigend gewesen sein.
Matthias Grünewald. Isenheimer Altar, 2. Schauseite (für die Großansicht einfach anklicken)
So wie Matthias Grünewald auf dem Isenheimer Altar die Auferstehung Christi darstellt, ist das Geschehen der Osternacht diesseits der Alpen nie zuvor zu sehen gewesen. Den aus dem Grab auffahrenden Heiland kennt die nordeuropäische Malerei bis zu diesem Zeitpunkt nicht, nur in Italien hat er eine lange Tradition. Man muss dabei erwähnen, dass in den Evangelien die Auferstehung selbst nirgends beschrieben wird, das Neue Testament berichtet einzig von der Grablegung Jesu einerseits und der leeren Grabhöhle andererseits. Bei Grünewald schwebt Christus schwerelos aus dem geöffneten Sarkophag empor in den bestirnten Nachthimmel und zieht sein Grabtuch mit sich. Von einem Wirbel erfasst, zeigt dieses Leichentuch, wie kraftvoll, ja unaufhaltsam diese Aufwärtsbewegung ist: Wie ein wehender Königsmantel legt es sich um die Gestalt des Auferstandenen.
Von Christus geht im Moment seiner Auferstehung eine Leuchtkraft aus, als habe er eine Substanz wie flüssiges Metall aangenommen. Der Oberkörper, die Arme mit den brennend roten Wundmalen an den Händen, die blutrote Brustwunde und der ebensolche Mund sind von einem überirdischen Licht verklärt. „Wie eine nach außen abklingende Glutgehen Haarfarbe und Farbe der Gewandpartien um den Oberkörper in leuchtendes Gelb über, an dessen Rändern eine rötliche Tönung beginnt“ (Grimm 2002, S. 38). Christi Haupt bildet das strahlende Zentrum einer Sonne, in deren Helligkeit sich sein Gesicht fast aufzulösen scheint. Sie bedeutet: Der Auferstandene ist die Sonne der Welt, die endlich die Nacht des Todes besiegt hat. An ihren Rändern blitzen die Sterne auf: Das Ostergeschehen gilt für die ganze Schöpfung. Das Universum hat seinen Herrn erhalten, den Pantokrator, den Weltenherrscher Jesus.
Der auferstandene Christus: Herr des Universums
Geblendet von der Lichtfülle und der Gewalt dieser überirdischen Erscheinung, fallen im Vordergrund zwei Grabwächter in ihren schweren Rüstungen wie betäubt zu Boden. Zwei weitere hat es tief in den Raum hinein neben einen hellrötlichen Felsblock geschleudert. Beine und Unterarme des Auferstandenen sind weiß, ansonsten bedeckt das vom Glanz Christi eingefärbte Leichentuch den Körper. Seine Gestalt strahlt große Ruhe und Majestät aus – erzielt wird diese Wirkung vor allem durch das frontal gezeigte Antlitz und die Symmetrie der erhobenen Arme mit den strahlenden Nägelmalen. Aus den am Kreuz ausgestreckten Händen wird die Segensgebärde des Weltenherrschers. Vor allem das Leichentuch Christi ist ein singuläres Meisterwerk: Es gewinnt in seinen Faltenschwüngen und Wirbeln eine von der göttlichen Lichtaureole gespendete Farbigkeit, die von kaltem Blauweiß bis zu fast weiß aufglühendem Gelb und Rot changiert.
Der geschundene Leib Jesu aus Grünewalds Kreuzigungsszene wird zum ersten Stück eines neuen Himmels und der neuen Erde. Denn der spätmittelalterliche Künstler malt hier nicht die Wiederbelebung eines Toten, seine Rückkehr ins bisherige Dasein. Grünewald hat hier in einer einzigartigen koloristischen Bilderfindung als Erster dargestellt, wovon Paulus in seinem ersten Brief an die Korinther spricht: Auferstehung wird nicht Wiederherstellung des alten Leibes sein; Auferstehung bedeutet vielmehr Verwandlung (1. Korinther 15,51). Aber die Gestalt Jesu bleibt bei dieser Neuschöpfung erkennbar, sodass ihn auch die Jünger bei seiner Erscheinung in Emmaus und am See Genezareth erkennen.
Der verklärte Leib bleibt dennoch erkennbar
Grünewald gelingt es in seinem außergewöhnlichen Osterbild, Auferstehung, Verklärung und Himmelfahrt Jesu miteinander zu verknüpfen. „Und er wurde verklärt vor ihnen“, heißt es in Matthäus 17,2, „und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht“ (LUT). Der auffahrende Christus blickt uns an – als wolle er uns mit nach oben nehmen. Der Apostel Paulus schreibt an die urchristliche Gemeinde in Philippi: „Wir aber sind Bürger im Himmel; woher wir auch erwarten wir den Heiland, den Herrn Jesus Christus, der unsern geringen Leib verwandeln wird, dass er gleich werde seinem verherrlichten Leibe“ (Philipper 3,20–21a; LUT).
Albrecht Dürer: Auferstehung Christi (1510); Holzschnitt
(für die Großansicht einfach anklicken)
Der Anlage der Komposition – der seine Arme ausbreitende, von flatternden Gewandzipfeln umhüllte Christus und die niedergesunkenen, zum Teil in perspektivischer Verkürzung gezeigten Grabwächter – lassen sich mit Albrecht Dürers Holzschnitt aus seiner Großen Passion von 1510 in Verbindung bringen. Aber natürlich fehlt der Grafik jegliche Farbgebung, die der Isenheimer Auferstehung Christi erst seine überwältigende Wirkung verleiht.
Für den vor der zweiten Schauseite stehenden Betrachter gipfeln die drei von links nach rechts zu lesenden Darstellungen im Sonnenmotiv der Auferstehung. Es klingt im Zentrum bereits zweimal an: nämlich in der Aura Mariens im Engelskonzert und abgewandelt in der Glorie um Gottvater über der Geburtsszene. „Im übrigen sind es vorrangig die mächtigen Rottöne und die ebenso markant als Folie für hochdifferenzierte Lichtwirkungen ins Auge fallenden Dunkelzonen, die die drei Szenen dieser Schauseite zu einer großgesehenen Einheit zusammenschließen“ (Arndt 2007, S. 24).

Literaturhinweise
Arndt, Karl: Mathis Neithart Gothart, genannt Grünewald in seiner Epoche. In: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Hrsg.), Grünewald und seine Zeit. Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 2007, S. 19-29;
Cuttler, Charles D.: Further Grünewald Sources. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 50 (1987), S. 539-549; 
Grimm, Claus: Grünewalds Bildsprache. In: Rainhard Riepertinger u.a. (Hrsg.), Das Rätsel Grünewald. Konrad Theiss Verlag, Stutgtart 2002, S. 31-44;
Harnest, Joseph: Der Sternhimmel auf Grünewalds Isenheimer Auferstehung. Phantasie- oder Naturbild? In: Jahrbuch der Berliner Museen 29/30 (1987/88); S. 163-178; 
Kettling, Siegfried: Das Evangelium des Malers Mathis. Betrachtungen zum Isenheimer Altar. R. Brockhaus Verlag, Wuppertal 1985;
Prater, Andreas: Der Isenheimer Altar. Eine Einführung in seine Bildwelt und deren Interpretation. In:  Werner Frick/Günter Schnitzler (Hrsg.): Der Isenheimer Altar. Werk und Wirkung. Rombach Verlag, Freiburg i.Br. 2019, S. 9-40;
Ziermann, Horst: Matthias Grünewald. Prestel Verlag, München 2001;
LUTDie Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017 © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

(zuletzt bearbeitet am 16. August 2023)


Material


1.

Qui resurrexit

In tausend Bildern habe ich Ihn gesehn.
Als Weltenrichter, zornig und erhaben,
als Domgekrönten, als Madonnenknaben, –
doch keines wollte ganz in mir bestehn.

Jetzt fühl ich, daß nur eines gültig ist:
Wie sich dem Meister Mathis Er gezeigt -
doch nicht der Fahle, der zum Tod sich neigt –
der Lichtumflossne: dieser ist der Christ.

Nicht Menschenkunst allein hat so gemalt.
Dem Grabesdunkel schwerelos entschwebend,
das Haupt mit goldnem Leuchten rings umschwebend.

Von allen Farben geisterhaft umstrahlt,
noch immer Wesen, dennoch grenzenlos,
fährt Gottes Sohn empor zu Gottes Schoß.

Albrecht Haushofer

(aus: Albrecht Haushofer, Moabiter Sonette. Berlin 1946, S. 23)
 

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