Samstag, 10. Mai 2014

Im Sommer – Renoir malt seine Geliebte


Pierre-Auguste Renoir: Im Sommer (1868); Berlin, Nationalgalerie
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Lise Tréhot (1848–1922) war von 1865 bis 1871 Pierre-Auguste Renoirs bevorzugtes Modell. Renoirs Freund Jules Le Cœur, der Geliebte von Lises Schwester Clémence, muss die beiden miteinander bekannt gemacht haben, und wahrscheinlich waren auch Renoir und Lise ein Paar. Sie posierte für mindestens 17 Porträts und Figurenbilder ihres Freundes. Ab 1868 gelang es Renoir, in drei aufeinanderfolgenden Jahren ein Gemälde im offiziellen Pariser Salon zu platzieren – eine außergewöhnliche Glückssträhne für den jungen Maler. 1868 war es Lise (siehe meinen Post „Eine Perle aus Essen“), 1869 Im Sommer und 1870 Odaliske/Frau aus Algier: drei Bilder von Frauen in jeweils unterschiedlichen Rollen, aber es ist immer wieder Lise, die wir erblicken.
Pierre-Auguste Renoir: Lise (1867); Essen, Museum Folkwang
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Pierre-Auguste Renoir: Odaliske/Frau aus Algier (1870); Washington, National Gallery of Art
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Im Sommer zeigt die damals Zwanzigjährige in einer Freilichtszenerie mit offenem Haar und einem weiten, rot gestreiften Rock; ein von der rechten Schulter gerutschtes weißes Mieder gibt ihren Brustansatz frei. Das lange, leicht gelockte schwarze Haar wird am Kopf von einem roten Band gehalten und fällt der jungen Frau über ihre Schultern hinunter bis zum Bund des Rocks. Als weiteren Schmuck trägt Lise rechts einen kleinen goldenen Ohrring. Sie sitzt relativ breitbeinig auf einem Stuhl und hat ihre Arme in den Schoß gelegt, wobei die linke Hand ihr rechtes Handgelenk umfasst. In ihrer rechten Hand hält sie eine kleine Blume oder einige grüne Blätter, die vielleicht von den Bäumen im Hintergrund stammen.
Die ruhige Haltung von Lise und ihre abwesende Miene kontrastieren mit dem lebhaften Bildhintergrund und ihrem ungeordneten Haar, dessen Schwarz sich wiederum deutlich von der hellen Haut und dem weißen Mieder absetzt. Ebenso sticht die realistische Wiedergabe von Gesicht und Händen von der impressionistisch-lockeren Art ab, mit der Renoir das Blattwerk hinter ihr andeutet. Die Figur selbst ist noch der die Konturen betonenden Ateliermalerei verhaftet; Lise sitzt mehr vor einer Naturkulisse, als in sie eingebunden zu sein – die durch das Grün flirrenden Sonnenstrahlen erreichen sie nicht. Freilicht und Atelierbeleuchtung stoßen hier aufeinander. Diesen Gegensatz löst Renoir zwei Jahre später in seinem Gemälde Der Spaziergang auf, in dem er die Figuren vollständig in die Landschaft integriert.
Pierre-Auguste Renoir: Der Spaziergang (1870); Los Angeles, The J. Paul Getty Museum
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Der Blick der jungen Frau trifft nicht den Betrachter, sondern geht an ihm vorbei: Ist er versunken-melancholisch nach innen gerichtet, ist er der sommerlichen Schwüle geschuldet oder gar der Anstrengung des stundenlangen Modellsitzens? Im Sommer 1868, in dem Renoir sie malte, war Lise schwanger. Für die Geburt zog sie sich zusammen mit Renoir, Jules Le Cœur und ihrer Schwester Clémence aus Paris nach Ville d’Avray zurück. Dort gebar sie am 14. September den mit Renoir gezeugten Sohn Pierre. Der Maler hatte jedoch ein ambivalentes Verhältnis zu seiner Vaterschaft, denn in der offiziellen Geburtsurkunde wurde der Vater von Pierre als „unbekannt“ angegeben. Im April 1872, nach der Trennung von Renoir, heiratete Lise Tréhot schließlich einen Architekten. Mit der Hochzeit verabschiedete sie sich vom Leben der Künstler-Bohème und hat Renoir nie mehr Modell gesessen.
Eugène Delacroix: Junges Waisenmädchen auf dem Friedhof (1824); Paris, Louvre
Als mögliches Vorbild für Im Sommer wird immer wieder auf ein Gemälde von Eugène Delacroix (1798–1863) verwiesen, den Renoir sehr verehrte: Junges Waisenmädchen auf dem Friedhof von 1824. Dem Engagement des Museumdirektors Hugo von Tschudi für die moderne französische Malerei ist es zu danken, dass Im Sommer zusammen mit einem weiteren Gemälde Renoirs ungeachtet des kaiserlichen Widerstands schon im Herbst 1906 in die Berliner Nationalgalerie gelangte.

Literaturhinweis
Kunstmuseum Basel (Hrsg.): Renoir. Zwischen Bohème und Bourgeoisie: Die frühen Jahre. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2012, S. 101-102.

(zuletzt bearbeitet am 25. Juni 2020)

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