Pierre-Auguste Renoir: Im Sommer (1868); Berlin, Nationalgalerie (für die Großansicht einfach anklicken) |
Pierre-Auguste Renoir: Lise (1867); Essen, Museum Folkwang (für die Großansicht einfach anklicken) |
Pierre-Auguste Renoir: Odaliske/Frau aus Algier (1870); Washington, National Gallery of Art (für die Großansicht einfach anklicken) |
Im Sommer zeigt die damals
Zwanzigjährige in einer Freilichtszenerie mit offenem Haar und einem weiten, rot
gestreiften Rock; ein von der rechten Schulter gerutschtes weißes Mieder gibt
ihren Brustansatz frei. Das lange, leicht gelockte schwarze Haar wird am Kopf
von einem roten Band gehalten und fällt der jungen Frau über ihre Schultern hinunter bis zum Bund des Rocks. Als weiteren Schmuck
trägt Lise rechts einen kleinen goldenen Ohrring. Sie sitzt relativ breitbeinig
auf einem Stuhl und hat ihre Arme in den Schoß gelegt, wobei die linke Hand
ihr rechtes Handgelenk umfasst. In ihrer rechten Hand hält sie eine kleine
Blume oder einige grüne Blätter, die vielleicht von den Bäumen im Hintergrund
stammen.
Die ruhige Haltung von Lise und ihre abwesende Miene
kontrastieren mit dem lebhaften Bildhintergrund und ihrem ungeordneten Haar,
dessen Schwarz sich wiederum deutlich von der hellen Haut und dem weißen Mieder
absetzt. Ebenso sticht die realistische Wiedergabe von Gesicht und Händen von
der impressionistisch-lockeren Art ab, mit der Renoir das Blattwerk hinter ihr
andeutet. Die Figur selbst ist noch der die Konturen betonenden Ateliermalerei verhaftet; Lise sitzt mehr vor einer Naturkulisse, als in sie eingebunden zu sein – die durch
das Grün flirrenden Sonnenstrahlen erreichen sie nicht. Freilicht und
Atelierbeleuchtung stoßen hier aufeinander. Diesen Gegensatz löst Renoir zwei
Jahre später in seinem Gemälde Der
Spaziergang auf, in dem er die Figuren vollständig in die Landschaft
integriert.
Pierre-Auguste Renoir: Der Spaziergang (1870); Los Angeles, The J. Paul Getty Museum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Der Blick der jungen Frau trifft nicht den Betrachter, sondern
geht an ihm vorbei: Ist er versunken-melancholisch nach innen gerichtet, ist er
der sommerlichen Schwüle geschuldet oder gar der Anstrengung des stundenlangen
Modellsitzens? Im Sommer 1868, in dem Renoir sie malte, war Lise schwanger. Für
die Geburt zog sie sich zusammen mit Renoir, Jules Le Cœur und ihrer Schwester
Clémence aus Paris nach Ville d’Avray zurück. Dort gebar sie am 14. September
den mit Renoir gezeugten Sohn Pierre. Der Maler hatte jedoch ein ambivalentes
Verhältnis zu seiner Vaterschaft, denn in der offiziellen Geburtsurkunde wurde
der Vater von Pierre als „unbekannt“ angegeben. Im
April 1872, nach der Trennung von Renoir, heiratete Lise Tréhot schließlich einen
Architekten. Mit der Hochzeit verabschiedete sie sich vom Leben der Künstler-Bohème
und hat Renoir nie mehr Modell gesessen.
Eugène Delacroix: Junges Waisenmädchen auf dem Friedhof (1824); Paris, Louvre |
Als mögliches Vorbild für Im
Sommer wird immer wieder auf ein Gemälde von Eugène Delacroix (1798–1863)
verwiesen, den Renoir sehr verehrte: Junges
Waisenmädchen auf dem Friedhof von 1824. Dem Engagement des Museumdirektors
Hugo von Tschudi für die moderne französische Malerei ist es zu danken, dass Im Sommer zusammen mit einem weiteren
Gemälde Renoirs ungeachtet des kaiserlichen Widerstands schon im Herbst 1906 in
die Berliner Nationalgalerie gelangte.
Literaturhinweis
Kunstmuseum Basel (Hrsg.): Renoir. Zwischen Bohème und Bourgeoisie: Die frühen Jahre. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2012, S. 101-102.
(zuletzt bearbeitet am 25. Juni 2020)
Kunstmuseum Basel (Hrsg.): Renoir. Zwischen Bohème und Bourgeoisie: Die frühen Jahre. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2012, S. 101-102.
(zuletzt bearbeitet am 25. Juni 2020)