Caspar David Friedrich: Auf dem Segler (1818); St. Petersburg, Eremitage (für die Großansicht einfach anklicken) |
Ein Paar sitzt bei untergehender Sonne Hand in Hand im Bug eines Segelschiffes. Das Boot ist mit zwei Vorsegeln und einem großen Gaffsegel am Mast getakelt; im von links kommenden Wind neigt es sich nach rechts. Es handelt sich um einen Schiffstyp, wie er an der Ostseeküste für Fischerei, kleinere Warentransporte und zur Personenbeförderung verwendet wurde. Der Mann trägt ein dunkelblaues Samtkostüm und ein altdeutsches Barett, die Frau ein rotes Kleid mit weißem Spitzenkragen. Die beiden Figuren sind in Rückenansicht und kleinem Maßstab wiedergegeben, wodurch sich der greifbar nahe hölzerne Mast und die geblähten Segel in der rechten Bildhälfte beinahe dramatisch vergrößern.
Caspar David Friedrich (1777–1840) hat sein Gemälde an allen vier Seiten ungewöhnlich beschnitten: Das Boot wird dadurch in einer Weise verkürzt, dass wir als Betrachter den Eindruck gewinnen, selbst an Bord zu sein; die Schräglage des Mastes vermittelt uns zusätzlich das Gefühl, das Auf und Ab der Wellen zu verspüren, der aufgerichtete Bug und die windgefüllten Segel wecken die Empfindung von starker, frischer Brise, die das Schiff vorwärts treibt. Friedrich nimmt mit einer solchen ausschnitthaften, für seine Zeit ungewöhnlichen Darstellung des Seglers Kompositionen der Impressionisten vorweg, wie wir sie z. B. von Gustave Caillebotte kennen.
Gustave Caillebotte: Ruderer mit Zylinder (1877/78); Paris, Courtesy Comité Gustave Caillebotte (für die Großansicht einfach anklicken) |
Werner Busch hat darauf hingewiesen, dass Friedrich darüber hinaus in der Komposition seines Bildes zwei Linien des Goldenen Schnitts nutzt, um die Zusammengehörigkeit der beiden Figuren hervorzuheben: Die untere Waagerechte des Goldenen Schnitts verläuft exakt in Augenhöhe von Mann und Frau, und die linke Senkrechte kreuzt wiederum exakt in der Mitte zwischen den beiden Köpfen. ,,So ist das Paar auf ewig aneinandergebunden, was die Hände darunter versinnbildlichen“ (Busch 2003, S. 107).
Bei dem Paar handelt es sich wahrscheinlich um den Künstler selbst und seine junge Frau
Caroline Bommer. Friedrich galt zeit seines Lebens als ,,menschenscheuer
Melancholiker“. Umso größer war das Erstaunen seiner Freunde und Bekannten, als
der 44-Jährige am 21. Januar 1818 die 19 Jahre jüngere Caroline Bommer
heiratete. Solch einen Entschluss hatte man dem Maler nicht zugetraut. 1816 war
Friedrich die Mitgliedschaft der Dresdener Akademie angetragen worden, was für
ihn bedeutete, zum ersten Mal über laufende Bezüge von 150 Talern jährlich
verfügen zu können. Erst das regelmäßige, gesicherte Einkommen erlaubte wohl
die Gründung eines Hausstandes. Drei Kinder wurden dieser Ehe geboren, zwei
Töchter und ein Sohn. Im Sommer 1818 unternahm das junge Paar seine
Hochzeitsreise in Friedrichs heimatliche Umgebung. Es besuchte dabei auch die
Insel Rügen – wenig später entstanden die berühmten Kreidefelsen auf Rügen
(Winterthur, Stiftung Oskar Reinhart; siehe meinen Post ,,Hochzeitsbild oder religiöse Meditation?“).
Caspar David Friedrich: Frau vor der auf-/untergehenden Sonne (um 1818); Essen, Museum Folkwang (für die Großansicht einfach anklicken) |
Nach seiner Hochzeit tauchten in Friedrichs Bildern nun öfter weibliche
Rückenfiguren auf, so z. B. in der Frau vor der auf-/untergehenden Sonne (Essen, Museum
Folkwang, um 1818; siehe meinen Post „Abenddämmerung oder Morgensonne?“) oder in der Frau
am Fenster (Berlin, Nationalgalerie, 1822). Der Mensch begann in Friedrichs
Werken eine größere Rolle zu spielen – schon allein durch den Maßstab der
Figuren, aber auch dadurch, dass neben der einzelnen, in der Größe gesteigerten
Rückenfigur jetzt auch häufiger Paare und Freundesgruppen auftraten, wie z. B.
in der 1995 wiederentdeckten Gartenlaube (München, Neue Pinakothek, um 1818)
oder dem bekannten Gemälde Zwei Männer in Betrachtung des Mondes (Dresden, Gemäldegalerie,
1819). In den Jahren zuvor hatte Friedrich die Figuren im Bild sehr klein
dimensioniert, um die Natur, die sie anschauen, um so mächtiger und erhabener
wirken zu lassen – man denke nur an den Mönch am Meer (siehe meinen Post „Eisiges Schweigen“).
Caspar David Friedrich: Gartenlaube (um 1818); München, Neue Pinakothek (für die Großansicht einfach anklicken) |
Im
Herbst 1820 kam der Großfürst Nikolai Pavlovitsch (seit 1825 Zar Nikolaus I.)
mit seiner Gemahlin Alexandra Fjodorowna (einer Tochter des preußischen Königs
Friedrich Wilhelm II.) zum ersten Mal nach seiner Hochzeit nach Deutschland.
Bei einem Besuch in Friedrichs Atelier Ende 1820 fand die Stimmung des Bildes
offensichtlich so großen Anklang bei dem Paar, dass der spätere Zar es erwarb.
Lange Zeit hing es in Schloss Cottage, der Sommerresidenz der Zarenfamilie in
Peterhof bei St. Petersburg; seit 1945 befindet es sich in der Eremitage von
St. Petersburg.
Carl Gustav Carus: Kahnfahrt auf der Elbe bei Dresden (1827); Düsseldorf, Museum Kunstpalast |
Literaturhinweise
Börsch-Supan, Helmut: Caspar David Friedrich. Prestel Verlag, München 52005;
Börsch-Supan, Helmut: Caspar
David Friedrich. Seine Gedankengänge. Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft,
Berlin 2023, S. 209-210;
Busch, Werner: Caspar David Friedrich. Ästhetik und Religion. C.H. Beck, München 2003;
Ebert-Schifferer, Sybille (Hrsg.): Von
Lucas Cranach bis Caspar David Friedrich. Deutsche Malerei aus der Ermitage.
Hirmer Verlag, München 1991, S. 184-186;
Grave, Johannes: Glaubensbild und Bildkritik. diaphanes, Zürich 2011, S. 109-112;
Hofmann, Werner: Der Kontext hat das letzte Wort. In: IDEA VII (1988), S. 67-74;
Isergina, Antonia: Unbekannte Bilder von C. D.
Friedrich. In: Bildende Kunst 5 (1956), S. 263-266 und 275-276.
(zuletzt bearbeitet am 5. Februar 2024)
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