Andrea del Verrocchio: Dame mit Sträußchen (um 1475); Florenz, Bargello |
Nur wenige Kunstwerke sind derart deutlich auf
ein tête-à-tête und Berührung angelegt
wie die weiblichen Porträtbüsten, die im Italien des 15. Jahrhunderts für den
privaten Umgang und das intime Zwiegespräch geschaffen wurden. Lebensgroß gestaltet,
mit minutiösen Porträtzügen, einer detailreichen Oberfläche und bisweilen
farblicher Kosmetik versehen, sollte die „Illusion“ eines realen Gegenübers entstehen.
Als berühmtes Beispiel für diese Art von Mädchenbildnissen sei hier die Dame mit Sträußchen von Andrea del
Verrocchio (1435–1488) vorgestellt.
Die Büste aus dem Bargello in Florenz (61 cm
hoch, um 1475 entstanden) ist nicht wie üblich bei diesen Porträt-Plastiken
knapp unterhalb der Schultern oder in der Mitte der Unterarme beschnitten, sondern
in Höhe des Bauchnabels, sodass wir einen vollen Oberkörper vor uns sehen. Mit
ihrer linken Hand drückt die junge Frau sacht ein kleines Blumensträußchen an
ihre rechte Brust – es wird später zur Bezeichnung der Skulptur dienen, da die
Identität der Halbfigur unbekannt ist. Haartracht und Kleidung sind
zeitgenössisch. Den Kopf hat die Dame leicht nach rechts gewendet; ihr Blick scheint auf kein bestimmtes Ziel, sondern eher nach innen gerichtet zu sein: „Die Gedanken der Dargestellten mögen sich an die Blumen an ihrer Brust knüpfen und die Geschichte, die sich mit ihnen verbindet“ (Windt 2003, S. 128). Das Gesicht besticht nicht gerade durch Zartheit: Es wird
bestimmt durch breite Wangenknochen und eine großflächige Wangenpartie, eine
etwas fleischige, aber gerade Nase, einen ebenfalls breiten Unterkiefer und
einen durchaus gedrungen zu nennenden Hals. Auffalllend sind die großen, länglichen
und weit auseinanderstehenden Augen und die dichten, penibel ausgearbeiteten
Brauen. Das Haar, exakt in der Mitte gescheitelt, ist an den Seiten in üppige,
damals modische Schläfenlocken onduliert und wird am Hinterkopf von einer
schleierdünnen Haube (einer cuffia)
zusammgehalten.
Das leichten Gewänder wirken nahezu transparent;
das Unterkleid ist in der Mitte nur mit einem winzigen Knopf geschlossen, der
den schleierartigen Stoff zusammenspannt. Das dünne, ungesäumte und lose
getragene Obergewand (eine cotta) legt sich in gegenläufigen Faltenschwüngen um den Körper.
„Fast wie ein Nachthemdchen, wirkt es kindlich-unschuldig und in seiner weichen
Anschmiegsamkeit zugleich hoch erotisch“ (Kohl 2002, S. 55). Ebenso wie die
Dame selbst ist auch ihr Sträußchen in hauchzarten Stoff gewickelt: Die
sorgfältig gewundene Ecke eines Schleiers fasst die – botanisch nicht näher
bestimmbaren – Blümchen zu einem kleinen Bukett zusammen. Es ist zum einen als
Liebespfand und Tauschgabe zu interpretieren, zum anderen aber auch als Hinweis
auf die Vergänglichkeit irdischer Schönheit. Alexander Perrig sieht die Blumen
„als das Symbol dessen, was das Mädchen in sich verhüllt und durch Enthüllung
selber zu verschenken hat“ (Perrig 1996, S. 91/92).
Der übrige Schleier
verläuft in der Art eines losen Gürtels um den Rücken der Figur herum, seine
Enden quellen zwischen rechtem Unterarm und dem Bauch der jungen Frau hervor. „Wie um
den Schwall des Stoffes einzudämmen, ist die rechte Hand in graziler Bewegung
vor den Körper geführt, gegenläufig zu der haltenden Linken, so daß insgesamt
der Eindruck eines lockeren Umarmens entsteht. Durch das Herumführen des
Schleiers um die gesamte Figur wird ihr der darin geborgene kleine Strauß gleichsam
einverleibt, werden Bedeutung, Umschlingung, Intimität suggeriert“ (Kohl 2002,
S. 56).
Auch die Rückansicht ist mit großer Genauigkeit ausgeführt, was darauf hindeutet, dass für die Aufstellung geplant war, die Figur umschreiten zu können. Das Kleid hat hinten einen unerwartet spitzen, tiefen Ausschnitt. Es wird von dem mehrmals um die Taille geschlungenen Schal zu sorgfältig gelegten v-förmigen Falten zusammengerafft. Diese nehmen die Form des Rückenausschnitts auf, die sich noch einmal in den Bordüren der Haube wiederholt, mit der das Haar hinten zusammengeschlagen ist.
Diese Dame will umschritten sein |
Die zweite noch erhaltene Mädchenbüste von Andrea del Verrocchio aus der New Yorker Frick Collection (um 1469/70) ist, wie bei diesen Porträtplastiken üblich, in der Mitte der Oberarme beschnitten |
Die Feinheit und Grazie der Hände, die unbewusst
das Sträußchen festzuhalten und zu liebkosen scheinen, und natürlich die
raffinierte Stoffdarstellung gehören ohne Frage zu den besonderen Qualitäten
von Verrocchios Büste. Erotisch aufgeladen wird das Bildnis der jungen Dame
nicht nur durch die durchscheinend wirkende Kleidung, die ihre körperliche Reize
sowohl verbirgt als auch offenlegt. Wie zufällig weist der Mittelfinger ihrer
Blumenhand auf die deutlich erkennbare Brustwarze hin, mit kaum merklichem
Druck legt er sich auf das Fleisch der sich abzeichnenden, jugendlichen Brust.
Gerade diese Komponente lässt vermuten, dass es sich bei der Dame mit Sträußchen um das private
Porträt einer Geliebten handelt.
Rogier van der Weyden: Maria lactans (linke Seite des Diptychons für Jean Gros, um 1455/1460); Tournai, Musée des Beaux-Arts |
Mit Armen und Händen versehene Porträtbüsten
waren vor allem bei römischen Grabfiguren der Antike verbreitet. Seit dem
Mittelalter allerdings war die Halbfigurenbüste vorwiegend auf die Darstellung
von Heiligen beschränkt, insbesondere auf Maria mit dem Jesusknaben. Von hier
aus wurde sie ab Mitte des 15. Jahrhunderts allmählich auf profane Porträts
übertragen. Keine der bekannten Bildnisbüsten dieser Zeit bezieht sich aber
derart offenkundig – in ihrer kontemplativen Haltung wie in ihrer Gestik – auf
die Halbfiguren der den Jesusknaben stillenden Maria wie die Dame mit Sträußchen: „Verrocchios Leistung
bestand, von hier aus gesehen, in der Verletzung eines Tabus. Dieser Künstler
wagte ja das Unerhörte: der Büste einer lebenden Zeitgenossin Eigenschaften
eines über die Macht der Gebetserhörung verfügenden Kult- und
Andachtsgegenstandes zu geben“ (Perrig 1996, S. 91). Verrocchio hat die
typische Handhaltung solcher Bildnisse der Maria
lactans kopiert und variiert: eine Hand ist mit leicht gespreiztem Zeige-
und Mittelfinger an die Brust geführt, während die andere, statt das Kind zu halten,
hier den Schleier umfasst. „Das Halten der Brustwarze wird zu einem
Zeigegestus, die entblößte Mutterbrust zur in der Verschleierung sich zeigenden
Geliebtenbrust, das fehlende Knäblein durch das Emblem des Sträußchens ersetzt“
(Kohl 2002, S. 70). Das religiöse Andachtsbild verwandelt sich in das Bildnis
einer „Angebeteten“.
Literaturhinweise
Kohl, Jeanette: Splendid Isolation. Verrocchios
Mädchenbüsten – eine Betrachtung. In: Barbara Hüttel u.a. (Hrsg.), Re-Visionen.
Zur Aktualität von Kunstgeschichte. Akademie Verlag, Berlin 2002, S. 49-76;
Luchs, Alison: Verrocchio and the Bust of Albiera degli Albizzi: Portraits, Poetry and Commemoration. In: artibus et historiae 66 (2012), S. 75-97;
Luchs, Alison: Verrocchio and the Bust of Albiera degli Albizzi: Portraits, Poetry and Commemoration. In: artibus et historiae 66 (2012), S. 75-97;
Perrig, Alexander: Mutmaßungen zu Person und
künstlerischen Zielvorstellungen Andrea del Verrocchios. In: Beck, Herbert
(Hrsg.), Die Christus-Thomas-Gruppe von Andrea del Verrocchio. Henrich Verlag,
Frankfurt am Main 1996, S. 81-101:
Windt, Franziska: Andrea del Verrocchio und Leonardo da Vinci. Zusammenarbeit in Skulptur und Malerei. Rhema-Verlag, Münster 2003, S. 126-144.
(zuletzt bearbeitet am 23. November 2021)
Windt, Franziska: Andrea del Verrocchio und Leonardo da Vinci. Zusammenarbeit in Skulptur und Malerei. Rhema-Verlag, Münster 2003, S. 126-144.
(zuletzt bearbeitet am 23. November 2021)
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