Fritz von Uhde: Lasset die Kindlein zu mir kommen (18884); Leipzig, Museum der bildenden Künste (für die Großansicht einfach anklicken) |
Populär wurde er vor allem durch seine
christlichen Gemälde: Am Ende des 19. Jahrhunderts gehörte der Münchner Maler
Fritz von Uhde (1848–1911) zu den
beliebtesten Künstlern Deutschlands. Großen
Anklang fand gleich sein erstes religiöses Bild, das großformatige Lasset die Kindlein zu mir kommen von
1884 (188 x 290,5 cm). Noch im gleichen Jahr wurden mehr als 10 000
Reproduktionen des Gemäldes verkauft, 1886 erwarb das Museum der bildenden
Künste in Leipzig das Bild. Doch in konservativ-kirchlichen Kreisen rief Uhdes
Christusdarstellung scharfen Widerspruch hervor: Ein sanftmütiger,
ärmlich-schlichter Jesus wird umrahmt von barfüßigen, zerlumpten
Arbeiterkindern aus der Kaiserzeit. Ohne hoheitsvolle Distanz ist der
Gottessohn hier abgebildet, still und bescheiden, Güte und Milde ausstrahlend,
ein Mann aus dem Volk. Für die religiöse Malerei seiner Zeit war dieses Bild
geradezu eine Revolution, für Uhde bedeutete es den Beginn einer Werkphase, die
zwanzig Jahre andauern und zum erfolgreichsten Abschnitt seiner
Künstlerkarriere werden sollte.
Uhdes Bilder zeigen Christus und andere
biblische Gestalten nicht im Palästina des Neuen Testamentes, sondern in
zeitgenössisch-moderner Umgebung, inmitten der Armen seiner Zeit: Arbeiter,
Bauern, Handwerker, Fischer, Bettler – kleine Leute, die mit der Not des Lebens
ringen, mit groben, eckigen Köpfen und blassen Gesichtern, müde und ernst,
nicht im Sonntagsstaat, sondern in Arbeitskluft. Ihr Milieu wird äußerst
realistisch wiedergegeben, und Jesus ist diesem Milieu so weit wie möglich
angepaßt: zart und schmächtig, einfach gekleidet, barfüßig. Kraft und
Männlichkeit fehlen, ein Kämpfer ist er nicht. Christus ist hier der
Mitleidende, der sich bewusst den Bedürftigen und Geringen zuwendet, den
Ausgebeuteten und Entrechteten. Aus dem geschönten und wirklichkeitsfremden
Gottessohn der Nazarener ist bei Fritz von Uhde der soziale Jesus geworden, der
dem armen, aber gottvertrauenden Menschen als seinesgleichen begegnet. Sein
Christus ist der gütige Tröster, der zu den Menschen kommt, um ihnen das Licht
der Hoffnung zu bringen; er ist kein „Christkönig“, sondern ein unscheinbarer
Wanderprediger in verschossenem Gewand.
Fritz von Uhde: Komm, Herr Jesus, sei unser Gast (1885); Berlin, Alte Nationalgalerie (für die Großansicht einfach anklicken) |
Uhdes zweites religiöses Bild Komm, Herr Jesus, sei unser Gast (1885)
zeigt ein Wirklichkeit gewordenes Tischgebet: Die Überraschung der Menschen
wandelt sich in freundliches Begrüßen – Christus ist ein willkommener Gast. Für
die hier Betenden ist das Tischgebet keine leere Formel, sondern ernst gemeint.
Ihre Religiosität ist lebendig, wirkt ursprünglich-biblisch und bildet einen
deutlichen Gegensatz zum damaligen bürgerlich-kirchlichen Christentum. Jesus
fügt sich in den Kreis der ländlichen Proletarier beinahe bruchlos ein, er ist
einer von ihnen. Erneut wurde eine solche Darstellung Christi schroff
abgelehnt: „Das abgemagerte bleiche Antlitz, von dünnem schlichtem Haar und
Bart umgeben, mit den tiefliegenden Augen (...) besitzt auch nicht einen kleinsten
Zug von Hoheit und Seelenadel. Nur ausgesprochen körperliches Leiden herrscht
in der ganzen matten, hinfälligen und schwindsüchtigen Gestalt, welche unser
tiefstes Mitleid herausfordert. (...) Warum ist die Gottheit in der Christusfigur
so gar nicht betont?“, hieß es in einer Rezension von 1886 im „Christlichen
Kunstblatt“.
Fritz von Uhde: Abendmahl (1886); Stuttgart, Staatsgalerie (für die Großansicht einfach anklicken) |
Ein weiteres Hauptwerk dieser Zeit, das Abendmahl von 1886, zeigt die abgerissen
bekleideten Jünger höchst naturalistisch mit derben Gesichtern und Händen.
Christus hebt sich durch seine aufrechte Haltung, die Haartracht und asketisch-feine Gesichtszüge von
den ihn umgebenden Aposteln ab. Wieder war es der proletarische Schauplatz, ein
niedriges kahles Zimmer in einem Bauernhaus, und die realistisch gesehene Armut
der Figuren, die die konservativen, idealistisch eingestellten Kunstkritiker
empörten und einen Generalangriff auslösten: In Uhdes Abendmahl erkannten sie ein „Abendessen im Zuchthause“, in den
Jüngern „Strolche“ und „Vagabundentypen“. Die Wirklichkeitsnähe des Bildes
wurde als schockierend empfunden.
Maßstab der Kritik war Leonardo da Vincis
Abendmahlsfresko in Mailand, als populärer Wandschmuck sehr verbreitet und Vorbild
für alle Wiederholungen dieses Themas (siehe meinen Post „L’ultima cena“).
Offizielle kirchliche Stellen betrachteten die Darstellung der Eucharistie in
solchem Milieu als Herabwürdigung und Verunglimpfung des Heiligen und lehnten
sie als blasphemisch und unruhestiftend ab. Uhdes Malerei steigere die herrschende
Unzufriedenheit und schüre „Haß und Zwietracht“, so Paul Keppler, der spätere
Bischof von Rottenburg. Kronprinz Wilhelm kanzelte das Bild gar als
„Anarchistenfraß“ ab.
Fritz von Uhde: Heilige Nacht (1888/89); Dredsen , Gemäldegalerie Neue Meister |
Mit seiner Heiligen Nacht, einem Triptychon von 1888/89, erging es Uhde nicht besser. In
Maria sah man eine Mischung aus Dirne und Fabrikarbeiterin, am Stall wurden
Leere und Dürftigkeit ausgesetzt. „Er malt ein Stück sozialen Elends, wie in
schmutzigem Stall ein herabgekommenes Vagabundenweib niederkommt mit einem
Erdenwurm, der ihr Elend erbt und wie der Vagabund auf der Stiege sitzt und
sich nicht zu helfen weiss bei solcher Mehrung der Sorgen; das könnte zunächst
unser Interesse hervorrufen; aber Ekel, gemischt mit Grauen und Entsetzen
erfasst uns, wenn wir finden, dass das die heilige Nacht darstellen soll“, hieß es in der „Zeitschrift für christliche Kunst“ (Keppler 1892, Sp. 244/245).
Der in einem christlichen Elternhaus
aufgewachsene, bibelfeste Fritz von Uhde wollte einen den Menschen
gegenwärtigen Christus darstellen und seine Verheißung „Ich bin bei euch alle
Tage“ (Matthäus 28,20; LUT) in seinen Bildern zum Ausdruck bringen. Beim breiten
Publikum hatte er damit großen Erfolg. Es war davon begeistert, dass Uhde „die
Menschlichkeit des Nazareners und die große Liebe, die er lehrte und die ihn
erfüllt“ (Gurlitt 1899, S. 553), darstellen wollte. Darin bestand die Leistung
Uhdes für die religiöse Malerei seiner Zeit: Er ersetzte den zur Formel
erstarrten Christus der Nazarener durch einen realistischen Christus der
Gegenwart und konfrontierte die religiösen Gefühle des Bürgertums mit der
harten Alltagswirklichkeit im Kaiserreich. Christus als Heiland der armen Leute
– diese „revolutionäre Tendenz“ führte dazu, dass außer einem Spätwerk (dem
Altarbild der Lutherkirche in Zwickau, 1905) keines seiner Bilder in einer
Kirche unterkam. Alle andere Gemälde wurden von Museen oder Privatsammlern
erworben.
Nach seinen künstlerischen Vorbildern befragt, bekannte
sich Uhde eindeutig: „Der aber, den ich am meisten verehre, ist
Rembrandt. (...) Er war vielleicht der einzige, der wirklich Christus malen
konnte. Dies ist, wenn Sie wollen, mein künstlerisches Glaubensbekenntnis.“
Fritz von Uhde: Heideprinzesschen (1889); Berlin, Alte Nationalgalerie (für die Großansicht einfach anklicken) |
Literaturhinweise
Gurlitt, Cornelius: Die Deutsche Kunst des
Neunzehnten Jahrhunderts. Berlin 1899;
Hansen, Dorothee (Hrsg.): Fritz von Uhde. Vom Realismus
zum Impressionismus. Verlag Gerd Hatje, Ostfildern 1998;
Keppler, Paul: Gedanken über die modernen Malerei III. In: Zeitschrift für christliche Kunst 8 (1892), Sp. 241-252;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 22. Oktober 2021)
Keppler, Paul: Gedanken über die modernen Malerei III. In: Zeitschrift für christliche Kunst 8 (1892), Sp. 241-252;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 22. Oktober 2021)