Martin Schongauer: Geburt Christi (um 1470); Kupferstich |
Als Martin Schongauer (um 1440–1491) sich dem
Kupferstich zuwandte, steckte diese Form der Bildvervielfältigung, ungefähr 40
Jahre nach seinen Anfängen, noch in den Kinderschuhen. Um 1430 war sie am
Oberrhein aus einer Technik der Goldschmiede, dem Gravieren, entwickelt worden.
Zum herausragenden grafischen Verfahren aber sollte der Kupferstich erst durch
Schongauer werden, der das Malerhandwerk erlernt hatte und der erste „peintre
graveur“ nördlich der Alpen wurde.
Beim
Kupferstich handelt es sich um eine Tiefdrucktechnik. Um eine bestimmte
Darstellung zu drucken, wird diese seitenverkehrt zunächst auf eine
Kupferplatte gezeichnet. Anschließend werden die Linien mit einem Grabstichel
in die Platte geschnitten, und zwar indem das Werkzeug nicht wie eine Feder
oder ein Stift gezogen, sondern in der Handfläche gestützt und mit einer
gewissen Kraft geschoben wird. Seine rautenförmige Spitze gräbt dabei einen
Span aus dem Metall heraus und hinterlässt eine v-förmige Rille. Zum Druck wird
Farbe in die gravierten Linien gerieben, von der restlichen Plattenoberfläche
jedoch wieder abgewischt. Unter hohem Druck wird dann in der Presse die Farbe
aus den Rillen auf ein aufgelegtes Blatt Papier übertragen. Das Verfahren
erlaubt bei tief genug gestochenen Linien Hunderte von guten Abzügen, doch
nutzt sich die Platte allmählich ab.
Von Schongauer sind heute 115 verschiedene
Kupferstiche bekannt. Alle sind – Ausdruck seines künstlerischen
Selbstbewusstseins – mit seinen Initialen signiert, und zwar immer an der
derselben Stelle, nämlich unten in der Mitte. Schongauer war der Erste, der
konsequent alle seine Drucke bezeichnete; mit seinem Monogramm „M+S“ erhob er
nicht nur Anspruch auf die Bilderfindung, sondern schuf auch ein Markenzeichen,
das vermutlich für den Absatz förderlich war. Die allermeisten Kupferstiche
Schongauers sind mit Sicherheit – und dies ist ein wesentlicher Unterschied zu
den üblichen Produktionsbedingungen eines spätmittelalterlichen Malers – aus
eigenem Antrieb und in eigener Verantwortung von ihm konzipiert, ausgeführt und
vertrieben worden. Er dürfte um 1470, als er sich nach einer längeren
Wanderschaft durch die Niederlande als selbstständiger Maler in Colmar
niederließ, mit der professionellen, auf größere Auflagen abzielenden
Herstellung seiner Grafiken begonnen haben. Die Mehrzahl seiner 115
Kupferstiche sind wahrscheinlich bis 1475 und vielleicht noch in der zweiten
Hälfte des Jahrzehnts entstanden.
Zwei von Schongauers Kupferstichen sollen hier
etwas näher betrachtet werden: Die Geburt
Christi und die Anbetung der Könige.
Sie dürften Anfang der 1470er Jahre entstanden sein; die beiden Grafiken
gehören zu einer Folge von vier Szenen aus dem Leben Marias, denen sich noch Die Flucht nach Ägypten und Der Tod Mariens anschließen. Ungewöhnlich ist zwar, dass in der Serie andere wichtige Themen aus dem Marienleben wie etwa die „Verkündigung“ oder die „Heimsuchung“ fehlen. Stilistisch gehören die vier Stiche aber ohne Zweifel zusammen, was sich an dem gleichen Strichbild, der präzisen Wiedergabe stofflicher Eigenschaften, dem identischen Format und dem übereinstimmenden Monogramm ablesen lässt.
Die Geburt
Christi gehört zu den bekanntesten und meistkopierten Kupferstichen
Schongauers; sie prägte die Darstellung dieser Szene in der deutschen Kunst für
lange Zeit. Wir blicken durch einen Spitzbogen in das Innere eines nur nach
links offenen Raums; er verfügt über ein einfaches gotisches Kreuzrippengewölbe
auf Säulen mit romanischen Würfelkapitellen. Maria kniet und blickt auf ihr
Kind, das nackt auf einem Zipfel ihres großen Mantels auf dem Boden liegt und
die Ärmchen nach seiner Mutter ausstreckt – sie wird ihren Sohn wohl gleich
aufnehmen. Hinter Maria steht der deutlich ältere, bäuerlich wirkende Joseph,
der mit einer Laterne leuchtet und sich mit seiner Linken auf einen Wanderstab
stützt.
Über dem Knaben sind rechts Ochs und Esel
platziert, die „wissend“ auf das Kind herabblicken. Die beiden Tiere werden
zwar nicht in den Weihnachtsgeschichten der Evangelisten Matthäus und Lukas
erwähnt, dafür aber in den Schriften des „Pseudo-Matthäus“, wo es heißt: „Und
Ochs und Esel beteten ihn an. Da erfüllte sich, was durch den Propheten Jesaja
verkündet ist, der sagte: Der Ochs kennt seinen Besitzer und der Esel die
Krippe seines Herrn.“ Obwohl die Kirchenväter die Texte des „Pseudo-Matthäus“
als ketzerisch gebrandmarkt und verboten hatten, übernahmen viele
Künstler diesen Hinweis auf das Alte Testament (Jesaja 1,3)
und integrierten sie in die neutestamentliche Geburtsszene.
Die Gruppe wird von der dunklen rückwärtigen Mauer
hinterfangen, zusammengebunden und abgeschirmt. Die linke Arkade öffnet sich
nach außen; dort kniet ein Hirte und schaut ins Innere, zwei weitere Schäfer
kommen hinzu. Hinter ihnen sieht man in einer sanften hügeligen Landschaft eine
weidende Schafherde und einen vierten Hirten, dem ein Engel gerade die frohe
Botschaft verkündet. In der rechten oberen Ecke schweben drei singende Engel
mit einem Schriftband.
Das Gebäude besteht aus zwei Teilen: dem bildbeherrschenden
Baukörper, unter dem sich die Hl. Familie aufhält, und einem höheren
strohgedeckten Anbau am linken Bildrand, einer Art Loggia. Sie wird Schauplatz
der Szene im nächsten Kupferstich sein. Das Bauwerk ist mit Ausnahme weniger
tragender Elemente eine von Efeu und Gräsern bewachsene Ruine. Jan Nicolaisen hat auf eine im Schatten der Efeublätter versteckte Weintraube hingewiesen, die auf der linken Seite über dem Gewölbeloch hängt: Als eucharistische Symbolfrucht verweist sie voraus auf die Passion Christi.
Martin Schongauer: Anbetung der Könige (um 1470); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Der jüngste König, kostbar gekleidet und mit
großem Schwert an der Seite, blickt aus etwas größerer Entfernung auf das Kind.
Als Einziger hat er seine kronbereifte spitze Kopfbedeckung (noch) nicht
abgenommen. Er hält einen Pokal, dem er gerade den kunstvoll gearbeiteten
Deckel aufsetzt oder abnimmt. Die Geschenke der drei Könige verweisen übrigens
auf Schongauers Herkunft, denn sein Vater war Goldschmied, und vielleicht hat
er diese Kunst in der väterlichen Werkstatt auch erlernt. Hinter der Hauptszene
im Vordergrund nähern sich zwischen Anhöhen und Felsen in einem langen Zug, der
aus der Bildtiefe kommt, zum Teil berittene und ebenfalls kostbar gekleidete
Herren. Drei große Banner flattern im Wind, ganz vorne wohl das des jüngsten
Königs, das einen (seitenverkehrten) Halbmond zeigt und von einem orientalisch
gewandeten Mann gehalten wird.
In beiden Kupferstichen führt also ein
Bewegungszug aus der Bildtiefe nach vorn: In der Geburt Christi vermitteln
die Hirten diese Bewegung, auf dem anderen Blatt das vielköpfige Gefolge der
Könige, das hinten von zwei Seiten her in den Hohlweg Richtung Ruine strömt.
Außerdem gibt es auf beiden Kupferstichen jeweils ein Figurenpaar, das in einer
gewissen Entfernung von der Hütte die Köpfe im leisen Gespräch zusammensteckt.
Auch die Zuordnung von Joseph zu Maria in der Geburt Christi und vom mittleren König zur Jungfrau in der
Anbetungsszene ist parallel angelegt, was vor allem durch den Blick der beiden
Männer deutlich wird.
Rogier van der Weyden: Bladelin-Altar, Mitteltafel (um 1445), Berlin, Gemäldegalerie |
Rogier van der Weyden: Mitteltafel des Columba-Altars (um 1455); München, Alte Pinakothek |
Rogier van der Weyden: Bladelin-Altar, linker Seitenflügel (um 1445); Berlin, Gemäldegalerie |
Komposition und Einzelmotive von Schongauers
Kupferstich Anbetung der Könige
lassen sich mit Rogiers Columba-Altar in Verbindung bringen. Das betrifft
insbesondere den mitleren König und die Ruine. Der älteste König dagegen geht
auf eine Figur des Bladelin-Altars zurück, und zwar auf den knienden Kaiser
Augustus auf dem linken Seitenflügel, wenn man sich ihn, wie auf der
Vorzeichnung des Stichs, seitenverkehrt vorstellt: Hier gibt es zum dreieckigen
Umriss den sehr ähnlichen Kopf mit Halbglatze und Spitzbart sowie die auffällig
dem Betrachter zugekehrte Schuhsohle, und selbst der dunkle, schimmernde Samt
des gestochenen Königsmantels scheint von der Flügeltafel angeregt. Das
Motiv der Kletterpflanze, das Schongauer in seiner Geburt Christi verwendet, dürfte er wiederum aus der Mitteltafel des
Columba-Altars übernommen haben, den er während seiner Wanderschaft in Köln gesehen haben
könnte. Auch Haltung und Gewand seines Joseph kommen der gleichen Figur
auf Rogiers Altar-Retabel sehr nah.
Wenn Schongauer so deutlich auf die Werke
Rogiers zurückgreift, dann konnten und sollten versierte Zeitgenossen das auch
erkennen. Denn insbesondere der Bladelin-Altar galt in der zweiten Hälfte des
15. Jahrhunderts in den Niederlanden wie in Deutschland als vorbildlich, seine
Motive wurden vielfach in nachfolgenden Werken aufgegriffen. „Den wenigsten
Künstlern aber gelang es dabei wie Schongauer, zugleich die Ausdrucksqualitäten
des Vorbildes beizubehalten“ (Kemperdick 2004, S. 46). So gibt Schongauers
Maria in der Geburtsszene nicht nur Typus und Frisur von Rogiers Jungfrau
wieder, sondern auch den liebevollen und gleichzeitig verehrenden
Gesichtsausdruck der jungen, fast scheuen Mutter.
Schongauer orientiert sich zwar an einem großen
Vorbild, wichtiger ist jedoch, wie er Rogiers Kompositionen und Motive
umformuliert: „Es handelt sich nicht um bloße Paraphrasen der Erfindungen
Rogiers oder deren Übertragung in ein anderes Medium. Vielmehr hat Schongauer
neue Fassungen des Themas geschaffen, die leicht als solche kenntlich und von
den Zeitgenossen auch sofort als neu begriffen worden sind“ (Kemperdick 2004,
S. 46/47). Betrachtet man die jeweilige Geburtszene, hat die viel zu kleine,
mehr symbolisch wirkende Ruine der älteren Tafel jetzt eine den Figuren
angemessenere Größe erhalten. Zugleich sind aber auch die Figuren
bildbeherrschender geworden. Ganz ähnlich gilt dies für die Anbetung der Könige. Gegenüber der
ziemlich großen Ruine in Rogiers Bild, die relativ viel Platz beansprucht, aber
im Verhältnis zu den Figuren dennoch recht klein wirkt, zeigt sie der
Kupferstich nur im seitlichen Anschnitt, wodurch sie aber umso größer wirkt –
ein links oben vom Bildrand überschnittenes Dach reicht, um beträchtliche Höhe
zu suggerieren. Auch hier sind uns die Hauptfiguren viel näher; zugleich ist
Bewegungsraum um sie herum entstanden, wo ihnen bei Roger eine gewisse
Flächigkeit anhaftet. „Will man es auf eine Formel bringen, kann man sagen, daß
in Schongauers Stichen gegenüber Rogiers Bildern die Gestalten monumentaler,
die Darstellungen gleichzeitig jedoch natürlicher geworden sind“ (Kemperdick
2004, S. 47).
Literaturhinweise
Borchert, Till-Holger (Hrsg.): Van Eyck bis Dürer. Altniederländische Meister und die Malerei in Mitteleuropa. Chr. Belser, Stuttgart 2010, S. 312-313;
Falk, Tilman/Hirthe, Thomas: Martin Schongauer. Das Kupferstichwerk. Staatliche Graphische Sammlung, München 1991;
Falk, Tilman/Hirthe, Thomas: Martin Schongauer. Das Kupferstichwerk. Staatliche Graphische Sammlung, München 1991;
Kemperdick, Stephan: Martin Schongauer. Eine
Monographie. Michael Imhof Verlag, Petersburg 2004;
Nicolaisen, Jan: Das Marienleben. In: Hartmut, Krohm/Jan Nicolaisen (Hrsg.): Martin Schongauer – Druckgraphik. Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1991, S. 79-83.
Nicolaisen, Jan: Das Marienleben. In: Hartmut, Krohm/Jan Nicolaisen (Hrsg.): Martin Schongauer – Druckgraphik. Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1991, S. 79-83.
(zuletzt
bearbeitet am 25. Juli 2022)
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