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Donatello: Kruzifix (um 1407/08); Florenz, Santa Croce |
Der Künstlerbiograf Giorgio Vasari (1511–1574)
berichtet in seinen „Lebensbeschreibungen der ausgezeichnetsten Maler,
Bildhauer und Architekten“ (1550 erschienen, nochmals erweitert 1568) von einem
Wetttstreit zwischen zwei Koryphäen des Quattrocento: Donatello (1386–1466) und
Filippo Brunelleschi (1377–1446). Die Anekdote findet sich gleich am Beginn von
Vasaris Donatello-Kapitel:
In
derselben Kirche [Santa Croce] arbeitete er unter dem
Querschiff neben dem Bilde von Taddeo Gaddi mit ungewöhnlicher Mühe einen
Kruzifixus von Holz, und als er ihn beendet hatte und es ihm schien, er habe
etwas Besonderes vollführt, zeigte er ihn dem Filippo Brunelleschi, seinem
vertrauten Freund, um dessen Meinung zu hören. Filippo, der nach den Reden
Donatos etwas viel Besseres erwartet hatte, als vor ihm
stand, lächelte ein wenig, und Donato, der dies sah, bat ihn bei der
Freundschaft, die zwischen ihnen bestand, er solle ihm sagen, was er davon
halte. »Mir scheint«, erwiderte Filippo freimütig, »du hast einen Bauern ans
Kreuz geheftet und nicht die Gestalt eines Christus, der zart gebaut und der
schönste Mann gewesen ist, der je geboren wurde.« Donato, der auf ein Lob
gehofft hatte, fühlte sich innerlich verletzt, mehr noch, als er selbst
glaubte, und antwortete: »Wenn es so leicht wäre, etwas zu machen, wie es zu
beurteilen, so würde mein Christus dir wohl ein Christus scheinen und nicht ein
Bauer. Nimm ein Stück Holz und versuche selbst einen zu formen.« Filippo sagte
kein Wort mehr, ging nach Hause und fing an, ohne daß jemand es wußte, ein
Kruzifix zu arbeiten, wobei er Donato zu übertreffen suchte, damit er nicht
sein eigenes Urteil Lügen strafe. Nach vielen Monaten führte er das Werk zu
höchster Vollendung. Eines Morgens bat er dann Donato zum Frühstück zu sich,
und dieser nahm seine Einladung an. Als sie zusammen nach der Wohnung Filippos
gingen, kaufte er einiges auf dem Markt und sagte, indem er es Donato gab:
»Gehe mit diesen Dingen in mein Haus und warte auf mich, ich komme gleich
nach.« Donato trat in die Wohnung, die zu ebener Erde lag, und sah das Kruzifix
Filippos in guter Beleuchtung, blieb stehen, um es zu betrachten, und fand es
so vollkommen, daß er, überwunden von Staunen und ganz außer sich, die Arme
ausbreitete und die Schürze fallen ließ. Alles was darin war, Eier, Käse und
andere Waren, zersprang in viele Stücke, ohne daß ihn dies hinderte, das
Kunstwerk zu bewundern und wie einer, der den Verstand verloren hat,
dazustehen. Da trat Filippo hinzu und fragte lächelnd: »Donatello, was hast du
vor? Was wollen wir zum Frühstück essen, da du alles zur Erde geworfen hast?« –
»Ich für mich«, antwortete Donato, »habe für heute mein Teil; willst du das
deinige, so nimm dir’s. – Doch genug, dir ist vergönnt, den Heiland
darzustellen, mir aber den Bauern.« (Vasari 1959, S. 127-129)
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Filippo Brunelleschi: Kruzifix (um 1410/15); Florenz, Santa Maria Novella |
Annähernd gleich groß und beide farbig gefasst, hängt
das Donatellos Kruzifix heute an der Stirnwand des linken Querarms der
Franziskanerkirche Santa Croce, das von Brunelleschi in einer der Chorkapellen
der Dominikanerkirche Santa Maria Novella.
Brunelleschis Gekreuzigter (dessen Lendentuch
wir nicht mehr kennen) ist tatsächlich zart und feingliedrig, schlank und
jugendlich. Das Knochengerüst tritt zwar deutlich zutage, aber ohne schwer und
lastend zu wirken. „Es sind eher dünnere Knochen, die auf eine konstitutionelle
Zerbrechlichkeit hindeuten“ (Schüßler 1997, S. 56). Um diesen Eindruck zu verstärken,
hat Brunelleschi den Armen Christi dieselbe Länge gegeben wie dem übrigen Leib.
Der Körper des Gekreuzigten ist zwar muskulös, von zahlreichen Sehnen- und
Muskelsträngen durchzogen, jedoch nicht athletisch, kraftgeschwellt. „Ein von
jeglicher Üpppigkeit und Weichlichkeit freier Leib wird mit der Genauigkeit
eines Anatomen vor die Augen des Betrachters gestellt, damit er in der Zartheit
der Erscheinung und in der Sanftheit der Haltung die Größe der Opfertat Christi
ermesse“ (Schüßler 1997, S. 56).
Das ganze Mittelalter hindurch wurde die alle
übrigen Menschen übertreffende körperliche Schönheit Christi betont; Grundlage
dieser Tradition war Psalm 45,3: „Du bist der Schönste unter den
Menschenkindern“ (LUT). Der Kontrast zwischen der überragenden Wohlgestalt Christi
und seinen schrecklichen Leiden steigerte nochmals die Bitterkeit seiner
Passion: „Daher der manchmal beinah feminin zarte, mit gelängter Poportion in
seiner Fragilität kaum mehr zu überbietende Christuskörper auf zahlreichen
italienischen Passionsbildern“ (Schüßler 1997, S. 64).
Während bei Brunelleschi das Haupt Christi
todesmatt auf die Brust gesunken ist, wirkt Donatellos Gekreuzigter, als sei
noch nicht alle Lebenskraft aus ihm gewichen; der Kopf bewahrt, obwohl er sich
stärker zur rechten Schulter neigt und merklich nach vorn kippt, noch eine
gewisse Festigkeit. Das spiegelt sich darüber hinaus in der robusten
Muskelbildung, die vor allem den Oberkörper kennzeichnet. „Diesem für einen
Toten widersprüchlichen Eindruck entspricht auch die relativ pralle Muskulatur
der Arme mit dem kräftigen Bizeps“ (Schüßler 1997, S. 57). Die Oberarme sind
auch im Vergleich zu denen des Gekreuzigten von Brunelleschi in viel geringerem
Maß von Sehnen und Adern durchzogen, wodurch das gewaltsame Strecken der Arme
über den Querbalken anatomisch weniger anschaulich wird. Ein Besonderheit der
Arme ist darüber hinaus, dass sie sich mittels Scharnieren drehen ließen, um
die Figur bei der Karfreitagsliturgie abnehmen und in ein „heiliges Grab“ legen
zu können. Auch die vorgewölbte Brust suggeriert einen kräftigen Körper. „Diese
Wirkung fördert nicht zuletzt der gerade Bauchmuskel mit seinen sechs straffen
Wulstfeldern, ein Bild großer Anstrengung vermittelnd“ (Schüßler 1997, S. 57).
Das linke wie das rechte Bein weisen einen scharfen Knochengrat vom Knie bis
zum Knöchel auf und lassen in der Frontalansicht kräftige Waden erkennen. „Das
gewinkelte rechte Bein, der in der Hüfte einknickende Körper, welcher mit dem
Gesäß abgestützt wird, das Kippen des Oberkörpers zur rechten Seite, die
Neigung des Kopfes ebendorthin und schließlich die kräftigen Muskelpartien
verleihen dem Gekreuzigten Donatellos eine beachtliche Schwere“ (Schüßler 1997,
S. 57).
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Donatellos Christus: nicht schön, sondern kantig |
Das Gesicht Christi hat Donatello zusammen mit
den Haaren eigens geschnitzt und dem Haupt angefügt. Es wirkt wegen der klar
herausgearbeiteten knochigen Struktur markanter, um nicht zu sagen gröber. Die
Stirn ist verhältnismäßig langgezogen, wodurch die Schädelkalotte höher
aufragt. Brunelleschi scheitelt die Haare Christi in der Mitte des Kopfes,
sodass sie in langen, welligen Strähnen die Stirn freigeben und auf Brust, Hals
und Nacken fallen können. Dabei wirken die beiden auf die Brust herabhängenden
Haarsträhnen wie zur Seite gezogene Vorhänge: Sie rahmen und verschatten die
feinen Gesichtszüge, außerdem wird auf diese Weise das Herabsinken des
kraftlosen Hauptes betont. Brunelleschi folgt mit dieser Haartracht der
ikonografischen Tradition, wie sie z. B. der mittelalterliche „Lentulus-Brief“
beschreibt; dort werden die in Kopfmitte gescheitelten Haare sowie die ebenmäßige
und reine Stirn als Kennzeichen des Aussehens Christi erwähnt.
Donatello dagegen zeigt das Haar Christi kürzer
und ungescheitelt. Damit setzt er sich bewusst von der künstlerischen
Überlieferung ab. Vor allem jene Haare, die sich spitz zulaufend vom
Schädeldach zu Stirn und Schläfe ziehen, sind wesentlich kürzer. Dicke,
verklebte Strähnen treten plastisch stark in Erscheinung. Im Gegensatz zur
präzise gescheitelten und in gleichartige Einzelsträhnen unterteilten Frisur
bei Brunelleschi erwecken die Haare von Donatellos Gekreuzigtem weit weniger
einen geordneten, feinen Eindruck, sondern wirken sogar eher ungepflegt. Diese
für Christus absolut unübliche Haartracht war bis dahin für die zusammen
mit ihm gekreuzigten Schächer vorbehalten – wie Giovanni Pisanos
Kreuzigungsrelief der 1311 vollendeten Pisaner Domkanzel belegt.
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Michelangelo: Kruzifix (1494); Florenz, Santo Spirito |
Als der neunzehnjährige Michelangelo (1475–1564)
im Jahr 1494 ebenfalls ein hölzernes Kruzifix für die Kirche Santo Spirito in
Florenz schuf, schloss er sich eindeutig dem von Brunelleschi vorgegebenen
Typus an. Sein etwas unterlebensgroßer Christus (135 x 135 cm) zeigt ebenfalls einen
zarten, feingliedrigen, um Schönheit bemühten Körperbau. Untypisch für den
späteren Michelangelo sind allerdings die kaum ausgearbeitete Muskulatur und
die weich fließenden Übergänge. Die Beine des Gekreuzigten sind aus der
Mittelachse verschoben, wobei sich das rechte stark vorschiebt und das linke
weitgehend überschneidet. Die Neigung des vornüberfallenden, leicht nach links
gewendeten und betont großen Kopfes ist der Bewegung des Unterkörpers
entgegengesetzt. Die Figur hängt nicht eigentlich am Kreuz, sondern steht auf
dem im Kniegekenk etwas einsackenden linken Bein. „Die Haltung ergibt sich wie
mit zwingender Notwendigkeit aus dem Motiv der Nagelung: dem schräg und fest
auf den linken gesetzten rechten Fuß, der die Beugung im Knie, die starke
Verlagerung des Gesäßes, die Drehung in den Hüften und noch die Verschiebung
der oberen Bauchmuskeln bedingt“ (Lisner 1964, S. 7). Die Gesichtszüge Christi sind
von großer Ruhe erfüllt – sie
erinnern an die wenige Jahre später entstandene Madonna der Pietà in St. Peter (siehe meinen Post
„Tief schlafend oder tot?“). Das Haar ist nicht geschnitzt, sondern besteht aus
Stuck und Werg. An den Schultern gehen die Locken in Malerei über; auch an
Brust, Achseln und Scham ist das Haar mit dem Pinsel wiedergegeben. Dornenkrone
und Lendentuch sind nicht erhalten. Vasari berichtet, Michelangelo habe das
Kruzifix aus Dankbarkeit geschaffen, da ihm der Prior erlaubt hatte, im
Hospital des Klosters anatomische Studien zu betreiben ... Die im 19.
Jahrhundert verschollene Skulptur wurde erst 1962 wiederentdeckt.
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Benvenuto Cellini: Kruzifix (1556-1562); Madrid, Escorial |
Der Typus des „schönen Gekreuzigten“ blieb auch
im Italien des 16. Jahrhunderts bestimmend. Als Beispiel sei hier das
Marmorkruzifix von Benvenuto Cellini (1500–1571) angeführt, das der Florentiner
Bildhauer 1562 vollendete. Ursprünglich war es für sein eigenes Grabmal in
Santa Maria Novella bestimmt – als Pendant zu Brunelleschis Holzkruzifix am
gleichen Ort. Beide Werke entsprechen sich in ihren Maßen ziemlich genau. Das
herkömmliche Material für Kruzifixe war Holz oder Bronze, da die ausgetreckten
Arme bei einer Marmorausführung erhebliche technische Schwerigkeiten
bereiteten. „Gerade diese sind es jedoch gewesen, die Cellini dazu bewogen
haben, seinen Kruzifix aus einem einzigen Marmorblock zu meißeln, da er auf
diese Weise seine Fähigkeiten als Mamorbildhauer am glänzendsten unter Beweis
stellen konnte“ (Poeschke 1992, S. 217/218). Die Skulptur gelangte schließlich
1576 als Geschenk des Großherzogs Francesco I. de’ Medici an den spanischen
Regenten Philipp II. in den Escorial. Die jugendliche Nacktheit des schlanken,
glatten Körpers, das fein geschnittene, empfindsame Antlitz erklären, weshalb
Cellini selbst das Werk mehrfach als „il mio bel Cristo“ bezeichnet hat.
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Giambologna: Kruzifix (1590-1594); Florenz, SS. Annunziata |
Auch der führende Bildhauer in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts, Giambologna (1529–1608), betonte bei der
Gestaltung des Gekreuzigten dessen schöne Gestalt. Stellvertretend für die
zahlreichen Werke, die ab ca. 1575 entstanden, sei auf das lebensgroße
Bronze-Kruzifix hingewiesen, das sich der Künstler für seine eigene Grabkapelle
in der Florentiner Kirche SS. Annunziata anfertigte: Als hätten ihm die Qualen
der Passion nichts anhaben können, wird uns der Körper Christi in völliger
Makellosigkeit dargeboten.
Vor dieser fast zwei Jahrhunderte währenden
Darstellungstradition wird deutlich, wie sehr Donatellos Kruzifix von Santa
Croce mit der in Italien allgemein anerkannten Präsentation Christi gebrochen
hatte. „Donatello hat diese tradierte Auffassung bewußt preisgegeben, um
dagegen, in einem ersten Widerschein antiker Leiblichkeit, das Tugendbild
männlicher Stärke und Kraft zu beschwören“ (Schüßler 1997, S. 66). Nicht der
zarte, wohlgestaltete Dulder, sondern der starke Held, sei er nun Herkules oder
Samson nachgeformt, wird zum neuen Leitbild.
Literaturhinweise
Fidanza, Giovan Battista: Überlegungen zu Michelangelo
als Holzbildhauer. In: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte LIX (2010), S.
49-64;
Lisner, Margit: Michelangelos Kruzifixus aus S. Spirito
in Florenz. In: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst XV (1964), S. 7-31;
Lisner, Margrit: Holzkruzifixe in Florenz und in der Toskana von der Zeit um 1300 bis zum frühen Cinquecento. Verlag F. Bruckmann, München 1970; S. 54-57;
Poeschke, Joachim: Die Skulptur der Renaissance in
Italien. Band 1. Donatello und seine Zeit. Hirmer Verlag, München 1990, S.
60-61 und 87;
Poeschke, Joachim: Die Skulptur der Renaissance in
Italien. Band 2. Michelangelo und seine Zeit. Hirmer Verlag, München 1992, S.
71-73 und 217-218;
Schüßler, Gosbert: Ein provozierendes Bildwerk der
Passion: Donatellos Kruzifix von S. Croce. In: Karl Möseneder (Hrsg.), Streit
um Bilder. Von Byzanz bis Duchamp. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1997, S.
49-72;
Tarr, Roger: Brunelleschi and Donatello: Placement and Meaning in Sculpture. In: artibus et historiae 32 (1995), S. 101-140;
Vasari, Giorgio: Künstler der Renaissance.
Lebensbeschreibungen der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Architekten
nach Dokumenten und mündlichen Berichten. Hrsg. und zusammengestellt von Fritz
Schillmann. Emil Vollmer Verlag, Wiesbaden/Berlin 1959;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 15. Juni 2020)