Caravaggio: Martyrium des Apostels Andreas (1607); Cleveland, Cleveland Museum of Art (für die Großansicht einfach anklicken) |
Andreas,
Bruder von Simon Petrus und wie dieser Fischer von Beruf, war der
Erste, der von Jesus als Jünger berufen und zu einem seiner zwölf
Apostel wurde (Johannes 1,35-40). In späteren Jahren bekehrte er der
Legende nach im griechischen Patras Maximilla, die Frau des römischen
Statthalters Ägeas, zum Christentum und taufte sie. Ägeas ließ ihn
daraufhin geißeln und zu besonderer Pein und langsamem Tod an ein
X-förmiges Kreuz binden. Doch Andreas predigte an seinem Marterwerkzeug
noch zwei Tage lang dem herbeiströmenden Volk, das bald seine
Freilassung forderte. Als der Statthalter schließlich den Befehl gab,
Andreas loszubinden, wurden durch göttliches Eingreifen die Arme der
Schergen gelähmt, hatte der Apostel Christus doch inständig gebeten, am
Kreuz sterben zu dürfen. Danach, heißt es in der Legenda aurea, „kam
ein überwältigender Glanz vom Himmel und umgab ihn eine halbe Stunde,
so daß keiner ihn sehen konnte, und als das Licht verschwand, gab er
zugleich seinen Geist auf“ (de Voragine 2014, S. 117).
Caravaggio hat genau diese letzten
Augenblicke auf seinem wohl 1607 in Neapel entstandenen Gemälde dargestellt.
Der nur mit einem Lendentuch bekleidete Andreas ist an das in vorderster
Bildebene aufragende Kreuz gefesselt. Von der Tradition abweichend, aber nicht
ohne Vorbilder sind die Balken des Kreuzes im rechten Winkel angebracht und
nicht diagonal übereinandergelegt. Caravaggio spielt jedoch mit der
Beinstellung des Andreas auf diese Kreuzform an. Auf der linken Seite hat ein
Scherge seine Leiter an das Kreuz gelehnt, um den Märtyrer loszubinden. Die
beiden sind gleich groß und und in annähernd gleicher Weise dargestellt.
Am Fuß des Kreuzes verfolgen vier
zeitgenössisch gekleidete Gestalten das Geschehen. Rechts im Vordergrund steht,
durch seine metallene Rüstung und den federgeschmückten Hut ausgezeichnet, der
römische Prokonsul. Er blickt zu dem auf der Leiter stehenden Handlanger auf,
dem er wohl kurz zuvor befohlen hat, dem Apostel die Fesseln zu lösen. Drei
weitere Zuschauer, eine ältere Frau mit Kopftuch und zwei männliche Figuren,
sind tiefer im Bild angeordnet; die beiden Männer werden teilweise durch den
Prokonsul verdeckt. Am rechten Bildrand hat Caravaggio einen hellen
Lichtstreifen eingefügt, dessen Quelle sich nicht ausmachen lässt – womöglich
ist damit der himmlische Glanz gemeint, von dem die Legende erzählt.
Die gesamte Szene ist wie so oft bei
Caravaggio in dramatisches Helldunkel getaucht (siehe meinen Post „Malerei mit dem Scheinwerfer“); die Personen sind deutlich nach Modellen gemalt.
Eindrucksvoll ist vor allem die Gestalt des Apostels: Sein Gesicht ist von
tiefen Falten durchzogen, das Haupt kraftlos auf die linke Schulter gesunken. Caravaggio
verzichtet auf jedwede Idealisierung des Apostelkörpers. Der vergehende Blick
deutet an, dass der Märtyrer seine letzten irdischen Momente erlebt.
Naturalistisch sind auch die gealterten Gesichtszüge der Frau und ihr gut
erkennbarer Kropf dargestellt. Die lebensnah wiedergebene Figur, die hier das „einfache Volk“ vertritt, erinnert an die bäuerlichen Pilger in Caravaggios Madonna di Loreto.
Caravaggio: Madonna di Loreto (um 1604); Rom Sant’Agostino |
Caravaggio: Dornenkrönung Christi (1602/03); Wien, Kunsthistorisches Museum |
Das sicherlich als Altarbild gedachte Martyrium des Apostels Andreas gehörte
zu den ersten Gemälden Caravaggios, die nach Spanien gelangten. Es war für die
Rezeption seiner Werke in der iberischen Malerei des 17. Jahrhunderts von
großer Bedeutung, vor allem für die Bilder von Jusepe de Ribera
(1591–1652).
Jusepe de Ribera: Martyrium des Apostels Philippus (um 1639); Madrid, Museo del Prado |
Literaturhinweise
Cassani, Silvia/Sapio, Maria (Hrsg.): Caravaggio. The
Final Years. Electa Napoli, Neapel 2005, S. 109-110;
de Voragine, Jacobus: Legenda aurea. Erster Teilband. Einleitung, Edition, Übersetzung und Kommentar von Bruno W. Häuptli. Verlag Herder, Freiburg i.Br. 2014, S. 101-125;
Ebert-Schifferer, Sybille: Caravaggio. Sehen – Staunen – Glauben. Der Maler und sein Werk. Verlag C.H. Beck, München 2009, S. 208-209;
de Voragine, Jacobus: Legenda aurea. Erster Teilband. Einleitung, Edition, Übersetzung und Kommentar von Bruno W. Häuptli. Verlag Herder, Freiburg i.Br. 2014, S. 101-125;
Ebert-Schifferer, Sybille: Caravaggio. Sehen – Staunen – Glauben. Der Maler und sein Werk. Verlag C.H. Beck, München 2009, S. 208-209;
Held, Jutta: Caravaggio. Politik und Martyrium der
Körper. Reimer Verlag, Berlin 2007 (zweite Auflage), S. 167-169;
Hibbard, Howard: Caravaggio. Thames and Hudson, London
1983, S. 219-223;
Schütze,
Sebastian: Caravaggio. Das vollständige Werk. Taschen Verlag, Köln 2011.(zuletzt bearbeitet am 31. Juli 2021)
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