Michelangelo: Erschaffung Adams (1508-1512); Rom, Sixtinische Kapelle (für die Großansicht einfach anklicken) |
Die Erschaffung
Adams ist ohne Frage das berühmteste Bildfeld an Michelangelos Sixtinischer
Decke. Der Schöpfergott – wie wir ihn schon aus der Erschaffung von Sonne und Mond kennen (siehe meinen Post „Das Gesäß des Allmächtigen“) – nähert sich fast liegend, aber in kraftvoller Bewegung,
„als der Inbegriff vorwärtsdrängender göttlicher Energie“ (Herzner 2015, S.
68), von rechts der athletischen Gestalt Adams, umgeben von einer Schar
Begleiter und umfangen von einem rötlichen Tuch. Der erste Mensch wiederum
lagert, ganz der Erde verhaftet, in völliger Passivität auf einem Abhang und
wendet seinen Blick sehnsuchtsvoll dem Schöpfer zu. Adams linker Arm – nicht
der üblicherweise aktivere rechte – ist Gott entgegengestreckt, doch wirkt auch
diese Geste etwas kraftlos; der Unterarm bedarf der Stütze, die er auf dem
aufgestellten linken Bein findet, „und die matte Hand erreicht nur mit
erkennbarer Mühe die Nähe der Hand Gottes, in deren ausgestrecktem Zeigefinger
wiederum die schöpferische Energie kulminiert“ (Herzner 2015, S. 68). Der Blick
des Allmächtigen – wie auch der seiner Begleiter – ist auf die Stelle
gerichtet, wo sich die beiden Hände begegnen: Michelangelo zeigt Adam als
Geschöpf Gottes, das durch göttliches Wirken zu dem wird, was es ist.
Athletisch und doch kraftlos |
Betont wird damit, so Volker Herzner, die
„dramatische Ungleichheit im Verhältnis des Schöpfergottes zum ersten Menschen“
(Herzner 2015, S. 69). Trotz seiner athletischen Gestalt wirkt Adam ohne echte
innere Energie. Der Gestus Gottvaters ist einerseits äußerst behutsam,
gleichzeitig lässt sich an seinem muskulösen rechten Arm die überirdische Kraft
und Majestät des Schöpfers ablesen. Michelangelo ist es gelungen, mit der
bekanntesten Geste der abendländischen Kunstgeschichte „den unendlichen Abstand
zwischen dem auf Gott angewiesenen Menschen und der göttlichen Allmacht ins
Bild zu setzen“ (Herzner 2015, S. 69).
Um das Pathos der Begegnung von Gott
und Mensch zu steigern, verwendet Michelangelo einen einfachen, aber sehr wirkungsvollen
Kunstgriff: Er lässt Gottvater von rechts nach links agieren und kehrt so die
abendländische Leserichtung um. „Indem das Herannahen der Gottheit durch die
veränderte Leserichtung scheinbar verlangsamt wird, gewinnt der Gestus Gottvaters,
das machtvolle Auslangen seines rechten Armes, erhöhte kompositorische
Bedeutung: wohlwollende Nähe und in gleichem Augenblick erhabener,
unüberbrückbarer Abstand, göttliche Eile und zum selben Zeitpunkt vollkommenes,
transzendentes Innehalten, das jegliche materielle Berührung ausschließt“ (Schüßler
2002, S. 315).
Nicht nur Gottvater, auch der Sohn und der Heilige Geist sind mit von der Partie |
An der Gestalt Gottvaters fällt auf,
dass der rechte Arm bis zum Ansatz der Schulter entblößt ist und quasi die
Nacktheit Adams fortsetzt. Der linke Arm dagegen liegt weit ausgreifend um die
Schultern eines größeren himmlischen Wesens und wird fast vollständig von dem
eng anliegenden Ärmel seiner hellvioletten Tunika bedeckt. Es muss eine
besondere Bewandnis haben mit diesem entblößten rechten Arm, denn in allen
anderen Genesis-Szenen der Sixtina hat Michelangelo dem Schöpfer eine lange
Ärmeltunika sowie einen weiten Umhang bzw. Mantel von rötlich-violetter Farbe
verliehen. Mit dem ausgestreckten Arm Gottvaters hält sich Michelangelo
durchaus eng an biblische Aussagen, denn in Jeremia 27,5 heißt es: „Ich habe
die Erde gemacht und Menschen und Tiere, die auf Erden sind, durch meine große
Kraft und meinen ausgereckten Arm“ (LUT). Gosbert Schüßler hat darauf
hingewiesen, dass die exegetische Literatur von den Kirchenvätern an den „Arm
Gottes“ mit Christus gleichsetzt. Und die bekannte, sehr wahrscheinlich von dem
karolingischen Gelehrten Hrabanus Maurus verfasste Hymne „Veni Creator
Spiritus“ enthält eine Strophe, in der der Heilige Geist als „dextrae Dei tu
digitus“ („Finger Gottes, der uns führt“) bezeichnet wird.
Das Besondere an der Erschaffung Adams ist daher, dass Michelangelo
den Schöpfer durch die Betonung seines rechten Arms samt ausgestrecktem Finger trinitarisch,
also als dreieinen Gott auftreten lässt. Das ist biblisch begründbar, denn der
Plural, in dem Gott in 1. Mose 1,26 spricht, lässt sich als Hinweis auf die
Trinität deuten: „Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das
uns gleich sei“ (LUT). Und was der dreieine Schöpfer seinem ersten Geschöpf
verleiht, ist nicht einfach nur das für jedes Wesen notwendige Lebensprinzip,
wie es auch Pflanzen und Tiere besitzen – Adam wird vielmehr „beseelt“, denn
genau darin besteht, wie z. B. Augustinus und viele Theologen neben und nach
ihm lehrten, die Gottebenbildlichkeit des Menschen.
Laokoon-Gruppe; Rom, Vatikanische Museen |
In dem stürmisch heranfliegenden Schöpfergott
hat Michelangelo eine der meistbewunderten antiken Skulpturen als Vorbild
verarbeitet, nämlich die Figur des Vaters aus der kurz zuvor (1506) aufgefundenen
Laokoon-Gruppe (siehe meinen Post „Das ultimative antike Meisterwerk“). Denn bei einer Drehung des Laokoon um 90 Grad nach links ist
die Übereinstimmung mit dem Schöpfergott sowohl in der Haltung wie den
anatomischen Details unverkennbar – abgesehen natürlich von dem allerdings
entscheidenden rechten Arm Gottvaters. Er verleiht dem Schöpfergott seine
besondere Dynamik, durch die er sich von dem leidenden Laokoon unterscheidet.
In allen Genesis-Szenen mit Ausnahme
der Scheidung von Licht und Finsternis
wird Gottvater von himmlischen Wesen begleitet. Bei all diesen Putten oder
Engeln handelt es sich um Knaben – wiederum mit einer Ausnahme: Das größere
himmlische Wesen, um deren Schultern Gottvater seinen linken Arm gelegt hat,
ist ohne Frage weiblich. Zu sehen sind ihr Kopf und der Oberkörper mit den
Brüsten, außerdem ein gebeugtes Knie. Maria Rzepińska sieht in dieser Gestalt
eine Personifizierung der „Göttlichen Weisheit“, die im alttestamentlichen Buch
der Sprüche von sich selbst sagt (8,22-31; LUT):
„Der
Herr hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von
Anbeginn her. Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war.
Als die Meere noch nicht waren, ward ich geboren, als die Quellen noch nicht
waren, die von Wasser fließen. Ehe denn die Berge eingesenkt waren, vor den
Hügeln ward ich geboren, als er die
Erde noch nicht gemacht hatte noch die Fluren darauf noch die Schollen des
Erdbodens. Als er die Himmel bereitete, war ich da, als er den Kreis zog über
den Fluten der Tiefe, als er die Wolken droben mächtig machte, als er stark
machte die Quellen der Tiefe, als er dem Meer seine Grenze setzte und den
Wassern, dass sie nicht überschreiten seinen Befehl; als er die Grundfesten der
Erde legte, da war ich als sein Liebling bei ihm; ich war seine Lust täglich
und spielte vor ihm allezeit; ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine
Lust an den Menschenkindern.“
Immer dabei: die Weisheit Gottes |
Die Weisheit begleitet Gott vom
Anbeginn der Schöpfung: „She alone is so close to the Lord’s side, and her
alert, intelligent face looks attentively at the first of the ,sons of men‘,
created by God“ (Rzepińska 1994, S. 185).
Als Anregung für die Erschaffung Adams könnte Michelangelo ein Relief von der Paradiestür des Florentiner Baptisteriums gedient haben (1425 bis 1452 entstanden): Die vergoldete Bronzetür zeigt in einem der oberen Bildfelder Adam in ähnlich liegender Position und mit ebenfalls ausgestrecktem linkem Arm.
Lorenzo Ghiberti: Adam und Eva (1425-1452), Florenz, Baptisterium |
Literaturhinweise
Herzner, Volker: Die Sixtinische Decke. Warum Michelangelo malen durfte, was er wollte.
Georg Olms Verlag, Hildesheim 2015;
Rzepińska, Maria: The Divine Wisdom of
Michelangelo in The Creation of Adam.
In: artibus & historiae 29 (1994), S. 181-187;
Schüßler, Gosbert: Michelangelos „Erschaffung des Adam“ in der Sixtinischen Kapelle. In:
Karl
Möseneder/Gosbert Schüßler (Hrg.), Bedeutung in den Bildern.
Festschrift zum
60. Geburtstag von Jörg Traeger. Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2002,
S. 309-328;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984,
durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 30. Juni 2020)
(zuletzt bearbeitet am 30. Juni 2020)
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