Stefan Lochner: Weltgericht (um 1435), Köln, Wallraf-Richartz-Museum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Stefan
Lochners Weltgericht, um 1435
entstanden, gilt als eines der Hauptwerke spätgotischer Malerei. Die Tafel, heute
im Kölner Wallraf-Richartz-Museum ausgestellt, zeigt in einer streng symmetrischen,
doch überaus bewegten und detailreichen Komposition das Geschehen am Jüngsten
Tag, wie es in der Offenbarung des Johannes (Kapitel 20,11-15) und vor allem im
Matthäus-Evangelium (Kapitel 25,31-46) geschildert wird. Wichtige Einzelheiten
des Bildes sind deutlich Matthäus 13,49-50 entnommen: „So wird es auch am Ende
der Welt gehen: Die Engel werden ausgehen und die Bösen von den Gerechten scheiden und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird Heulen und Zähneklappern sein“ (LUT).
Flankiert von den Fürbittern Maria und Johannes dem Täufer, thront
Christus mittig, frontal und in erhobener Position auf einem doppelten Regenbogen
(Offenbarung 4,3 und 10,1). Die drei Figuren bilden eine Dreieckskomposition
und sind gegenüber der Vielzahl anderer Gestalten durch ihre Gewänder in
kräftigem Rot, Blau und Grün ausgezeichnet. Von dem kleinteiligen Gewimmel
unter ihnen heben sie sich aber vor allem durch ihre vergrößerten Proportionen
ab – man spricht hier vom „Bedeutungsmaßstab“. Diese feierliche „Deesis“-Gruppe
wird von einem überirdischen Goldgrund hinterfangen, wobei Maria und Johannes
anders als der schwebende Christus auf zwei Felsen knien und so gleichzeitig
mit der irdischen Landschaft verbunden sind.
Christus als Weltenrichter weist den aus ihren Gräbern Auferstehenden
den Weg ins himmlische Paradies oder in den Höllenschlund. Die Gewandschließe
seines herrschaftlich roten Mantels ist mit fünf Perlen geschmückt – Hinweise
auf seine fünf Wundmale. Am oberen Bildrand bringen kleine, blau gekleideten
Engel als Zeichen für das Erlösungswerk Christi seine Leidenswerkzeuge herbei. Unter
dem thronenden Weltenrichter blasen zwei Engel die Businen (Matthäus 24,31),
worauf sich die Gräber öffnen (Daniel 12,2) und die Toten erheben. Sie recken
die Arme verzweifelt und um Erbarmen flehend zum Himmel; Maria und Johannes
reichen dieses Flehen betend an Christus weiter.
Der Sohn Gottes wendet sich nach rechts und hat die Rechte segnend zu
den Erlösten hin erhoben, während er die Linke über den Verdammten senkt. Im
Vordergrund und oben rechts im Himmel versuchen Teufel die Auferstandenen zu ergreifen,
doch Engel wehren sie ab und retten die Gerechten vor dem Besitzanspruch der
Dämonen. Wo Engel eingreifen, gewinnen sie auch den Kampf mit den bösen Mächten.
Am linken Bildrand zieht eine große Schar von Erlösten, von Engeln begrüßt und
begleitet, in das himmlische Paradies ein. An der Pforte des Himmelsgebäudes
werden sie vom freundlich lächelnden Petrus empfangen; seitlich des Eingangs
und auf den Zinnen erklingt himmlische Musik – sie symbolisiert die vollendete
Harmonie der ewigen Seligkeit.
Die Engelscombo stimmt ein großes himmlisches Hallo an |
Wir sollen uns hier anschließen! |
Die Fülle der Details sieht man sich am besten vor dem Original in Köln an ... |
Der friedvollen Szenerie auf der linken Bildseite steht rechts das
angstvolle Geschrei der Verdammten gegenüber. Auf beiden Seiten sind Papst,
Kardinal, Bischof, König, Mönch, Patrizierin und Bürger vertreten. Himmel und
Hölle sind durch Architektur gekennzeichnet: der Himmel als intakte gotische,
helle Gottesstadt, die Hölle als ruinöse, brennende, finstere Höllenburg. Auf
den Umfassungsmauern der Burg haben sich zwei Dämonen niedergelassen, die mit
Busine und Pauke der himmlischen Engelsmusik auf der linke Bildseite Konkurrenz
machen. Während in der linken Bildhälfte eine reiche Vegetation den Boden bedeckt,
ist die Erde rechts kahl, unwirtlich, dunkel, und Flammen lodern aus ihr auf.
Die Unterwelt selbst ist in zwei Bereiche geteilt: in eine höhlenartig
verdunkelte Vertiefung, wo der mit einer Kette gefesselte Höllenfürst eine
Gruppe von Verdammten vor sich versammelt hat, und in die düstere Höllenburg, die
sich darüber erhebt. Über Nebenszenen wie den Geizhals, der dort von zwei
Teufeln malträtiert wird, oder den hinunterstürzenden Verdammten, ist die
Höllenburg mit der Szene um den Höllenfürsten verbunden. Nahezu alle Verdammten
in der rechten Bildhälfte bewegen sich von der Bildmitte aus auf ihn zu: „Er
ist das Ziel des Zuges und das Ende der Bewegungslinie, die von den Verdammten
gebildet wird“ (Lukatis 1993, S. 194). Weil die Unglücklichen, denen die ersten
Flammen entgegenschlagen, sich sträuben, in das Feuer zu gehen, treiben drei
Dämonen sie vorwärts, indem sie mit eisernen Ofengeräten auf sie einschlagen.
Die eigentliche Bestrafung im ewigen Feuer wird nicht vorgeführt.
Dem Höllenfürst ins Maul geschaut |
Im Vordergrund werden die Laster vorgeführt, die zur Verdammnis geführt
haben: Eine Frau, wohl eine Prostituierte, wird von einem Teufel an ihrem
aufgelösten roten Haar äußerst unsanft aus ihrem Grab gezogen. Einem Völler und
Prasser ist der Sack mit Goldstücken aufgerissen, einem Spieler sind die Würfel
entglitten, ein Trinker hält den Siegburger Becher noch in der Hand. Oben
rechts fallen Teufel über einen Wucherer und Geizhals her, der „den Hals nicht
vollkriegen“ kann. Die Verdammten unterhalb des Weltenrichters sind durch ihre
Kopfbedeckungen, die spitzen Judenhüte, orientalischen Turbane oder das
schleierartige, unter einem Hut getragene Tuch eines Hohepriesters, als Juden,
Moslems, Häretiker und Ungläubige gekennzeichnet. Juden finden sich zwar auf
den meisten zeitgenössischen Weltgerichtsbildern, selten jedoch an so zentraler
Stelle und so zahlreich wie in in dem Kölner Weltgericht. Wahrscheinlich
spiegelt sich in Lochners Darstellung die zunehmende Judenfeindlichkeit seiner
Zeit, die 1424 zur endgültigen Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Köln
führte.
Stefan
Lochner, der berühmteste Repräsentant mittelalterlicher Malkunst in Köln, wurde
wohl um 1400 in Hagnau am Bodensee geboren. Stärker als die seeschwäbische
Malerei prägte ihn die Kunst der Niederländer, vor allem das Werk von Robert
Campin und den Gebrüdern van Eyck, deren Genter
Altar er vermutlich bald nach der Vollendung 1432 besichtigte. Die
Begegnung mit dem bedeutsamsten Flügelaltar des 15. Jahrhunderts hat Lochners Weltgericht ohne Zweifel beeinflusst: Die
ausgeklügelte Bildgeometrie, die täuschend echte Wiedergabe von
unterschiedlichsten Materialien, die Gestaltung von architektonischen Kulissen
und die naturalistische Darstellung menschlicher Anatomie verweisen auf das
niederländische Vorbild. Auch Lochners wohl schon damals weithin bekannte Tafel
diente anderen Künstlern als Anregung: Vor allem Hans Memlings
Weltgerichtsaltar in Danzig ist ohne die Kenntnis des Kölner Bildes kaum
vorstellbar (siehe meinen Post „Das gekaperte Weltgericht“).
Hans Memling: Das Jüngste Gericht (um 1467-1471); Danzig, Nationalmuseum (für die Großansicht anklicken) |
Als Lochner
sein Weltgericht schuf, war er erst
seit kurzem in Köln ansässig. Die Tafel wurde aber nicht für eine Kirche angefertigt
– sehr wahrscheinlich beauftragte der Kölner Rat den Maler, der es in einem
Rats- oder Gerichtssaal der Stadt anbringen ließ. Man war offensichtlich sehr
zufrieden mit dem Werk, denn Lochner erhielt einige Jahre später den
ehrenvollen Aufttrag, den Altar der
Stadtpatrone zu schaffen, und zwar für die neue Ratskapelle, die der Kölner
Rat nach der Judenvertreibung an der Stelle der abgerissenen Synagoge erbaute.
Literaturhinweise
Gompf, Ludwig: Neue Aspekte von Lochners
›Weltgericht‹. In: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 58 (1997), S. 195-204;
Lukatis, Christiane: Zur Höllengestaltung im
Weltgericht Stefan Lochners. In: Frank Günter Zehnder (Hrsg.), Stefan Lochner –
Meister zu Köln. Herkunft – Werke – Wirkung. Verlag Locher, Köln 1993, S.
191-199;
Zehnder, Frank Günter (Hrsg.): Stefan Lochner – Meister zu Köln. Herkunft – Werke – Wirkung.
Verlag Locher, Köln 1993, S. 318-319;LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 14. Januar 2022)