Dirk Bouts: Christus mit Dornenkrone (um 1462); London, National Gallery (für die Großansicht einfach anklicken) |
Auf seinem 34,8 x 37,1 cm großen
Andachtsbild zeigt uns der altniederländische Maler Dirk Bouts (um 1415–1475)
einen Christus mit Dornenkrone und Purpurmantel. Beides wird dem Sohn Gottes
bei seiner Verspottung durch die Schergen des Pilatus aufgezwungen (Matthäus
27,27-29). Doch diese Szene kann nicht gemeint sein, denn Christus hat beide
Hände erhoben, an denen die Wundmale der Kreuzigung zu erkennen sind. Mit der
Rechten vollzieht er eine Segensgeste. Wir haben also sowohl den leidenden wie
auch den auferstandenen Erlöser vor uns. Oder anders gesagt: Dirk Bouts verwandelt
einen Salvator mundi, also Christus
als segnenden Heiland und Herrscher, in einen Salvator coronatus mit schmerzvollem Antlitz. Es ist jedoch ein
ruhig wirkender, weniger von körperlichem Schmerz gepeinigter Passionschristus.
Sein aschfahles Gesicht mit gesenkten Augen, bläulichen Augenringen und Lippen
spiegelt vielmehr eine tiefe, in sich gekehrte Trauer. Dennoch muss die
physische Qual groß sein: Die Dornen sind unter die Stirnhaut gedrungen; in
verblüffendem Detailrealismus hat Bouts sie durchscheinend sichtbar gemacht. Teilweise
stoßen sie unter den Augenbrauen wieder hervor. Sechs Tränen rinnen an Christi
Antlitz herab – sie könnten für die sechs Wunden stehen, die seinen Leib
zeichnen: die vier Nägelmale, die Seitenwunde und die Dornenkrone auf seinem
Haupt.
Christus wird uns als leicht ins
Dreiviertelprofil gedrehtes Brustbild mit geneigtem Kopf präsentiert. Seine
Gestalt hebt sich vor einem mit Blattgold belegten Hintergrund ab und ist von
konzentrischen Kreisen umgeben, die mit kleinen Tupfern in verschiedenen Farben
aufgetragen worden sind. „Ein engmaschiges Netz aus feinen Kreuzschraffuren
setzt diese kreisende Bewegung ab der Schulterhöhe zum unteren Bildrand fort“
(Périer-D’leteren 2016, S. 84).
Albrecht Bouts: Schmerzensmann (um 1495); Cambridge/Massachusetts, Fogg Art Museum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Der Christus mit Dornenkrone dürfte die
Inspirationsquelle für all jene Andachtsgemälde gewesen sein, in denen Salvator
mundi und Schmerzensmann in eins gefasst sind und die vor allem von Dirk
Bouts’ Sohn Albrecht Bouts (um 1451/55-1564) und seiner florierenden Werkstatt
in großer Zahl angefertigt und auf dem freien Markt verkauft wurden. Man kann
hierbei durchaus von „Serienproduktion“ sprechen. Untersuchungen haben gezeigt,
welche Reproduktionsmethode dabei zum Einsatz kam: Mit einem perforierten
Papier, das als Schablone diente, wurde die Umrisszeichnung mittels Kohlestaub
durch die Löcher punktweise aufgebracht; danach konnten die übertragenen Punkte
freihändig mit dem Pinsel komplettiert werden.
Albrecht Bouts: Mater Dolorosa (um 1495); Cambridge/Massachusetts, Fogg Art Museum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Glossar
Von einem Brustbild oder auch Bruststück spricht man, wenn der Großteil des
Oberkörpers zu sehen ist. Die Arme sind ganz oder zumindest zum Teil
wiedergegeben.
Salvator mundi wird
ein Darstellungstypus Christi genannt, der im Spätmittelalter entstanden ist: Der
zumeist halbfigurig und frontal gezeigte Eröser hat die rechte Hand zum Segen
erhoben, in der linken hält er eine mit einem Kreuz bekrönte Sphärenkugel oder
einen Reichsapfel.
Ein Schmerzensmann ist ein
Andachtsbild, das den leidenden Christus mit allen Passionswunden, aber lebend
und nicht am Kreuz darstellt. Es unterscheidet sich vom Ecce-homo-Motiv, das
Christus nach der Geißelung mit Dornenkrone, aber ohne die Wundmale der
Kreuzigung zeigt.
Literaturhinweise
Périer-D’leteren, Catheline:
Dirk Bouts, Christus mit Dornenkrone. In: Peter van den Brink u.a.
(Hrsg.), Blut und Tränen. Albrecht Bouts und das Antlitz der Passion. Verlag Schnell
& Steiner, Regensburg 2016, S. 84.(zuletzt bearbeitet am 14. Juli 2020)
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