Masaccio: Trinität (um 1425/28); Florenz, Santa Maria Novella |
Das berühmte Trinitätsfresko des Malers
Masaccio (1401–1428) ist eines seiner Hauptwerke und eines der bedeutendsten
Gemälde der italienischen Frührenaissance überhaupt. 6,67 m x 3,17 m groß und
zwischen 1425 und 1428 entstanden, befindet es sich im dritten Joch des
westlichen Seitenschiffes der Dominikanerkirche Santa Maria Novella in Florenz.
In der Geschichte der Zentralperspektive ist es „eine Inkunabel“ (Hertlein
1979, S. 4): Zum ersten Mal sind Figuren und Raum zentralperspektivisch
durchkonstruiert und auf den Betrachter im Kirchenraum bezogen.
Masaccio präsentiert die göttliche
Dreieinigkeit in einem illusionistisch gemalten Kapellenraum mit längsrechteckigem
Grundriss, der von einem kassettierten Tonnengewölbe bedeckt wird. Der Raum
öffnet sich in einer rundbogigen Arkade, die auf Säulen mit ionischen Kapitellen
aufliegt. Die gleiche Arkade findet sich auch am hinteren Ende der Kapelle; an
sie schließt sich eine halbkreisförmige Apsis an, deren Wölbung links und
rechts neben der Gestalt Gottvaters nur wenig sichtbar ist. Der untere Teil der
Apsis ist durch einen Einbau verstellt, bei dem es sich um ein Grabmal handeln
könnte. Die Kassettendecke ruht rechts und links auf einem von Säulen
getragenen Architrav. Zwei gewaltige, kannelierte Pilaster mit
Kompositkapitellen bilden die äußere Umrahmung des Freskos. Sie tragen einen
detailliert gearbeiteten Architrav und vermitteln zusammen mit den beiden vorderen
Säulen, dem Rundbogen der Arkade sowie den Muschel-Tondi der Architektur die
Anmutung eines antik-römischen Triumphbogens.
Fällt nicht sofort ins Auge: die Taube als Symbol des Heiligen Geistes |
Gottvater steht auf einer von Konsolen
getragenen Basis und stützt mit beiden Händen das Kreuz, an dem Christus hängt.
Der Sohn Gottes ist ebenso groß wie Gottvater. Die beiden Köpfe, durch die
Taube des Heiligen Geistes verbunden, sind einander in ihren Gesichtszügen, dem
langen, sich an Schläfen und Wangen anschmiegenden Haupthaar wie auch im
Schnitt des Bartes vollkommen ähnlich. Der realistisch wiedergegebene Leib des
Gekreuzigten reicht zu den Gestalten von Maria und Johannes hinab. Der
Lieblingsjünger Jesu blickt zu Christus empor, die Hände im Trauergestus
ineinandergelegt. Maria weist mit ihrer Rechten auf den Gekreuzigten; sie
blickt zwar in Richtung des Betrachters, scheint ihn aber nicht mehr
wahrzunehmen, da sie in ihrem Schmerz über das Leiden ihres Sohnes wie
versteinert wirkt. Maria und Johannes demonstrieren dem Gläubigen vor dem Bild,
mit welcher inneren Haltung er die Szene betrachten soll: Es geht um compassio. Gemeint ist damit das
Miterleben und Miterleiden der Passion Jesu, die Einfühlung in seinen
Leidensweg. Man kann die compassio als
das zentrale Frömmigkeitsmotiv des 15. Jahrhunderts bezeichnen.
Maria und Johannes zeigen uns, was wir beim Anblick des Gekreuzigten empfinden sollen |
Das betende Stifterpaar, im reinen
Profil dargestellt, ist von der Kreuzszene zweifach getrennt: Es befindet sich
außerhalb des Kapellenraums und kniet eine Stufe unter dessen Fußboden. Um wen es
sich bei den beiden Stiftern handelt, ist unsicher; der Mann trägt die rote
Amtstracht eines Priors der Florentiner Republik – er dürfte also zu den
führenden Politikern seiner Zeit gehört haben. Seine Frau im blauen Gewand und er blicken sich direkt an, „so als wären sie sich
selber gegenseitig Andachtsgegenstand. Die vier Himmlischen nehmen denn auch ihrerseits
vom Stifterpaar keine Notiz“ (Perrig 1986, S. 30). Unter den Stiftern befindet
sich noch eine dritte Zone: Sie zeigt vor einer flachen Nische einen Sarkophag,
auf dem ein Skelett liegt. Die Nische ist mit einer italienischen Inschrift in
Capitalis-Lettern versehen: „IO. FU. QUEL. CHE. VOI. SETE: E QUEL. CHI SON.
VOI. ACO. SARETE“ („Ich war, was ihr seid, und was ich bin, werdet ihr sein“).
Ein gemaltes Säulenpaar ist wohl als optische Stütze für den oberen Vorsprung
gedacht, auf dem die Stifter knien.
Thema des Feskos sind Tod und Auferstehung, Gericht und Erlösung |
Obwohl sich die beiden Stifter
gegenseitig anblicken, besteht zwischen ihnen und den himmlischen Figuren eine innige
Beziehung. Denn die Stifter besitzen mindestens die gleiche Körpergröße wie
Gottvater und Christus. Außerdem wiederholen sich die Farben ihrer Gewänder
nicht nur in den Kassetten des Tonnengewölbes, sondern – geringfügig variiert –
auch in den Gewändern der anderen Gestalten. Das Hellrot der Prior-Tracht des
Mannes entspricht dem Hellrot sowohl des Johannes-Mantels als auch des Untergewandes
Gottvaters, das Blau des Frauenmantels dem Blau des gottväterlichen
Obergewandes wie auch dem Mantel Mariens. „Drittens haben die absolute
Profilansicht des Stifterpaares und dessen geradeaus gerichtete Blicke ihr
geometrisch exaktes Äquivalent in Gottvaters absoluter Frontalität“ (Perrig
1986, S. 31). Das rechte Auge des Mannes und das linke der Frau bilden die
Basiseckpunkte von zwei gleich großen, gegensätzlich gerichteten Dreiecken –
einem aufwärts gewendeten, dessen Spitze in der Stirn Christi, und einem
abwärts gerichteten, dessen Spitze in der Skelettmitte liegt. „Jedes der beiden
gleichseitigen Dreiecke deutet an, was das Stifterpaar von seinem Standort aus
nicht sehen kann, worauf es in seinem Gebet jedoch innerlich ausgerichtet ist“
(Perrig 1986, S. 31).
Masaccios gemalter Raum ist für den
Betrachter zwar nicht „betretbar“, aber dennoch „ganz außerordentlich
gegenwärtig“ (von Simson 1966, S. 125), und zwar nicht nur wegen des
perspektivischen Illusionismus, sondern mehr noch durch die Ähnlichkeit der
Architekturformen mit wichtigen Florentiner Bauten von Filippo Brunelleschi
(1377–1466): der Sagrestia Vecchia (San Lorenzo) sowie dem Portikus des
Ospedale degli Innocenti (1419 begonnen; siehe meinen Post „Paukenschlag der Renaissance-Architektur“). Die Joche dieser Vorhalle zeigen in
Aufbau und Gliederung alle Elemente der Trinitätsarchitektur: rahmende
Pilaster, eingestellte Säulen, plastisch gestufte Rundbogen und profiliertes
Gesims. Masaccios Kapellenfront hat ohne Frage auch große Ähnlichkeit mit
Donatellos Nische für die Statue des Hl. Ludwig an der Fassade der Florentiner
Kirche Orsanmichele. Donatello schuf mit dieser Figur 1423 seinen ersten
Bronzeguss. Sie zeigt in Stellung, Handhaltung und Faltenwurf deutliche
Verwandtschaft mit der Maria in Masaccios Fresko. Die Ludwigsstatue blieb bis 1460 an ihrem Ort und wurde dann in die Kirche Santa Croce gebracht. Ihre Stelle nahm schließlich die Christus-Thomas-Gruppe von Andrea del Verrocchio ein, die zwischen 1470 und 1479 entstand.
Filippo Brunelleschi: Portikus des Ospedale degli Innocenti in Florenz (1419-1445) |
Donatellos Nische an der Außenfassade von Orsanmichele, ursprünglich mit der Statue des Hl. Ludwig besetzt |
Masaccio hat die Zentralperspektive des
Freskos höchstwahrscheinlich unter Anleitung oder sogar mit Hilfe seines
Freundes Brunelleschi entworfen. Sie weist uns einen bestimmten Platz vor dem Gemälde
an: Durch den tief gelegten Fluchtpunkt (der der Augenhöhe eines erwachsenen Betrachters
entspricht) blicken wir steil hinauf zur Dreieinigkeit. Zugleich entrückt uns
die Perspektive die Stifter, die, in der Nähe von Maria und Johannes, weder dem
Bereich der Lebenden noch dem des Todes angehören. Und schließlich lässt uns
die Perspektive in Aufsicht auf Sarkophag und Skelett wie in das Reich des
Todes hinabblicken. „Masaccios Fresko bezeugt die Gemeinsamkeit der Lebendigen
und der Toten unter der Allmacht Gottes, das Aneinandergrenzen von Leben und
Tod, endlich die Gegenwart von Gericht und Erlösung auf eine Weise, die vor ihm
unbekannt war“ (von Simson 1966, S. 158). Alexander Perrig betont die
Schlüsselstellung des Stifterpaars, das dem Betrachter „eine klare Andachts- und
Glaubensanweisung“ (Perrig 1986, S. 31) erteilt: Die beiden Figuren fordern ihn dazu auf,
beim Gedanken an die Unausweichlichkeit des Todes (der untere Bereich des Freskos)
sich betend ebenso der durch das Sterben Jesu erwirkten Erlösung zu
vergewissern (obererer Bereich des Freskos).
Masaccio zeigt uns die Trinität im
Bildtypus des „Gnadenstuhls“, der sich bis ins frühe 12. Jahrhundert
zurückverfolgen lässt: Gottvater präsentiert dem Betrachter seinen Sohn Jesus
Christus, der für die Sünden der Menschheit am Kreuz gestorben ist. Der Begriff
„Gnadenstuhl“ geht auf Martin Luthers Übersetzung einer Textstelle aus dem
Hebräerbrief zurück: „Darum laßt uns hinzutreten mit Freudigkeit zu dem
Gnadenstuhl, auf daß wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden auf die
Zeit, wenn uns Hilfe not sein wird“ (Hebräer 4,16; LUT 1912). Das Wort „Stuhl“
bezieht sich jedoch nicht auf den Thron Gottes, sondern auf den Gekreuzigten,
das Kruzifix. Der Hebräerbrief vergleicht das Kreuzesopfer Christi mit dem
Blutopfer des Alten Testaments und das Kreuz mit dem Deckel der Bundeslade, dem
Propitiatorium, auf das der Hohepriester das Blut des Opfertieres sprengte. „Propitiatorium“
übersetzt Luther ebenfalls mit „Gnadenstuhl“ (2. Mose 25,17). Masaccios Fresko ist
die erste monumentale Ausgestaltung dieses Themas, und es wundert nicht, dass
er es für eine Dominikanerkirche geschaffen hat, denn die Trinität steht im
Zentrum der Theologie und Andacht dieses Predigerordens.
Literaturhinweise
Hertlein, Edgar: Masaccios Trinität.
Kunst, Geschichte und Politik der Frührenaissance in Florenz. Leo S. Olschki
Editore, Florenz 1979;
Hoffmann, Volker: Masaccios Trinitätsfresko: Die Perspektivkonstruktion und ihr Entwurfsverfahren. In: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 40 (1996), S. 42-77;
Huber, Florian: Das Trinitätsfresko von Masaccio und Filippoi Brunelleschi in Santa Maria Novella zu Florenz. tuduv-Verlagsgesellschaft, München 1990;
Kemp, Wolfgang: Masaccios „Trinität“ im
Kontext. In: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 21 (1986), S. 45-72;
Perrig, Alexander: Masaccios „Trinità“
und der Sinn der Zentralperspektive. In: Marburger Jahrbuch für
Kunstwissenschaft 21 (1986), S. 11-43;
Polzer, Joseph: The Anatomy of Masaccio’s Holy Trinity. In: Jahrbuch der Berliner Museen 13 (1971); S. 18-59;
Schlegel, Ursula: Observations on
Masaccio’s Trinity Fresco in Santa Maria Novella. In: The Art Bulletin 45
(1963), S. 19-33;
von Simson, Otto: Über die
Bedeutung von Masaccios Trinitätsfresko in S. Maria Novella. In: Jahrbuch der Berliner
Museen 8 (1966), S. 119-159;LUT = Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments. Revidierte Fassung der deutschen Übersetzung Martin Luthers (1912).
(zuletzt bearbeitet am 30. März 2022)
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