Albrecht Dürer: Gefangennahme Christi (1510); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
Die Gefangennahme
Christi gehört zu Dürers Große
Passion genannter und 1511 in Buchform erschienener Folge von 11
Holzschnitten. Thema des Zyklus sind Leiden, Tod und Auferstehung Christi. Die Gefangennahme zählt mit dem Abendmahl (siehe meinen Post „Auftakt zur Großen Passion“), Christus in der
Vorhölle und Auferstehung zu den vier
1510 entstandenen Blättern, die Dürer den sieben zwischen 1496 und 1500
geschaffenen Holzschnitten für die Veröffentlichung hinzufügte.
Häscher mit Lanzen, Knüppeln und Hellebarden
haben Christus zu nächtlicher Stunde ergriffen und zerren ihn nun aus dem
Garten Gethsemane nach Jerusalem vor die Hohepriester und Schriftgelehrten
(Matthäus 26,47-68). Durch Größe und Lichteinfall hervorgehoben, überragt Jesus
die Masse der bewaffneten Schergen. Ein Kriegsknecht mit gepanzerter Faust hat
den Halsausschnitt seines Gewandes gepackt, ein anderer zieht ihn an einem um
den Bauch gelegten Strick voran, während ihm ein dritter die Hände auf den
Rücken fesselt. Finger einer Hand drücken Christus grobschlächtig den Kopf nach
hinten – wohl zum Judaskuss. Dass es sich bei der bärtigen Figur nah an Jesu
Gesicht um den Verräter handelt, verdeutlicht der (nicht auf Anhieb zu
erkennende) Geldbeutel, den er in seiner Rechten hält.
Hinter Jesu Rücken spielt sich eine weitere
gewaltsame Auseinandersetzung ab: Petrus kämpft mit Malchus, einem Knecht des
Hohepriesters Kaiphas, dem der Jünger ein Ohr abschlagen wird. Dürer stellt hier
simultan dar, was im biblischen Bericht aufeinanderfolgt – das gilt auch für
den Judaskuss. Den Ölberg gibt Dürer als struppig bewachsene, im Dunkeln
liegende Anhöhe wieder. Auf der linken Seite ist im Hintergrund ein Gartentor
geöffnet; der vorangehende Holzschnitt Christus
am Ölberg zeigt, wie die Häscher durch dieses Tor in den Garten Gethsemane
eindringen, während ein Engel Jesus den Kelch des Leidens reicht.
Albrecht Dürer: Christus am Ölberg (1496/97); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
Einige der mitgeführten Waffen ragen schräg über
das Wirrwarr der Köpfe hinaus und korrespondieren mit der Körperhaltung
Christi, der sich gegen seine Gefangennahme zu sträuben scheint. Über dem Kopf
des Verräters ragt ein verrottender Stamm empor, was auf sein weiteres Schicksal
vorausweist. Der Himmel ist bis auf eine helle Wolkenformation über dem
beleuchteten Hügel dunkel. Im beschatteten Hintergrund flüchtet ein Jünger vor
einem Soldaten; retten kann er sich nur, indem er sein Gewand, das der
Häscher bereits gepackt hat, zurücklässt und nackt flieht (Markus 14,51-52).
Martin Schongauer: Gefangennahme Christi (um 1475); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Meister der Karlsruher Passion:; Gefangennahme Christi (um 1450); Köln, Wallraf-Richartz-Museum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Als Anregung für Dürers Holzschnitt gilt zum
einen ein Kupferstich von Martin Schongauer (1448–1491), der ebenfalls die Gefangennahme
Christi zeigt: Obwohl es keine direkten Übernahmen gibt, ist Dürers Szene
erkennbar von Schongauers Grafik beeinflusst (siehe meinen Post „Kunstvoll gestochenes Leiden“) – beide Arbeiten betonen weniger
den Judaskuss als vielmehr die Wegführung Christi. In der Drastik der
Schilderung und der bedrohlichen Ausstrahlung der Nachtszene bezieht sich Dürer
außerdem deutlich auf die Gefangennahme
Christi der Karlsruher Passion,
die er in Straßburg gesehen haben könnte und die auch bereits Schongauer bekannt
gewesen ist (siehe meinen Post „Der unvollständige Leidensweg“).
Andrea Mantegna: Tritonenkampf, rechte Hälfte (um 1475); Kupferstich |
Das Motiv des
nach links gewandten, mit seinem Schwert zuschlagenden Petrus könnte Dürer wiederum
aus Andrea Mantegnas
Kupferstich Tritonenkampf
übernommen haben, wo in der rechten Bildhälfte ein Seekentaur auf die gleiche
Weise zum Hieb mit einem Knochen ansetzt. Der Nürnberger Meister hatte die
italienische Grafik 1494 nachgezeichnet.
Literaturhinweise
Kuder, Ulrich/Luckow, Dirk (Hrsg.): Des
Menschen Gemüt ist wandelbar. Druckgrafik der Dürerzeit. Kunsthalle zu Kiel,
Kiel 2004, S. 212;
Fröhlich, Anke: Die
Gefangennahme Christi, 1510. In: Albrecht Dürer,
Das druckgraphische Werk. Band II: Holzschnitte. Prestel Verlag, München 2002,
S. 188-190.(zuletzt bearbeitet am 4. April 2019)
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