Donnerstag, 5. April 2018

Im Garten der Gewalt – Albrecht Dürers „Gefangennahme Christi“ (1510)

Albrecht Dürer: Gefangennahme Christi (1510); Holzschnitt
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Die Gefangennahme Christi gehört zu Dürers Große Passion genannter und 1511 in Buchform erschienener Folge von 11 Holzschnitten. Thema des Zyklus sind Leiden, Tod und Auferstehung Christi. Die Gefangennahme zählt mit dem Abendmahl (siehe meinen Post „Auftakt zur Großen Passion“), Christus in der Vorhölle und Auferstehung zu den vier 1510 entstandenen Blättern, die Dürer den sieben zwischen 1496 und 1500 geschaffenen Holzschnitten für die Veröffentlichung hinzufügte.
Häscher mit Lanzen, Knüppeln und Hellebarden haben Christus zu nächtlicher Stunde ergriffen und zerren ihn nun aus dem Garten Gethsemane nach Jerusalem vor die Hohepriester und Schriftgelehrten (Matthäus 26,47-68). Durch Größe und Lichteinfall hervorgehoben, überragt Jesus die Masse der bewaffneten Schergen. Ein Kriegsknecht mit gepanzerter Faust hat den Halsausschnitt seines Gewandes gepackt, ein anderer zieht ihn an einem um den Bauch gelegten Strick voran, während ihm ein dritter die Hände auf den Rücken fesselt. Finger einer Hand drücken Christus grobschlächtig den Kopf nach hinten – wohl zum Judaskuss. Dass es sich bei der bärtigen Figur nah an Jesu Gesicht um den Verräter handelt, verdeutlicht der (nicht auf Anhieb zu erkennende) Geldbeutel, den er in seiner Rechten hält.
Hinter Jesu Rücken spielt sich eine weitere gewaltsame Auseinandersetzung ab: Petrus kämpft mit Malchus, einem Knecht des Hohepriesters Kaiphas, dem der Jünger ein Ohr abschlagen wird. Dürer stellt hier simultan dar, was im biblischen Bericht aufeinanderfolgt – das gilt auch für den Judaskuss. Den Ölberg gibt Dürer als struppig bewachsene, im Dunkeln liegende Anhöhe wieder. Auf der linken Seite ist im Hintergrund ein Gartentor geöffnet; der vorangehende Holzschnitt Christus am Ölberg zeigt, wie die Häscher durch dieses Tor in den Garten Gethsemane eindringen, während ein Engel Jesus den Kelch des Leidens reicht.
Albrecht Dürer: Christus am Ölberg (1496/97); Holzschnitt
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Einige der mitgeführten Waffen ragen schräg über das Wirrwarr der Köpfe hinaus und korrespondieren mit der Körperhaltung Christi, der sich gegen seine Gefangennahme zu sträuben scheint. Über dem Kopf des Verräters ragt ein verrottender Stamm empor, was auf sein weiteres Schicksal vorausweist. Der Himmel ist bis auf eine helle Wolkenformation über dem beleuchteten Hügel dunkel. Im beschatteten Hintergrund flüchtet ein Jünger vor einem Soldaten; retten kann er sich nur, indem er sein Gewand, das der Häscher bereits gepackt hat, zurücklässt und nackt flieht (Markus 14,51-52).
Martin Schongauer: Gefangennahme Christi (um 1475); Kupferstich
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Meister der Karlsruher Passion:; Gefangennahme Christi (um 1450); Köln,
Wallraf-Richartz-Museum (für die Großansicht einfach anklicken)
Als Anregung für Dürers Holzschnitt gilt zum einen ein Kupferstich von Martin Schongauer (1448–1491), der ebenfalls die Gefangennahme Christi zeigt: Obwohl es keine direkten Übernahmen gibt, ist Dürers Szene erkennbar von Schongauers Grafik beeinflusst (siehe meinen Post Kunstvoll gestochenes Leiden“) – beide Arbeiten betonen weniger den Judaskuss als vielmehr die Wegführung Christi. In der Drastik der Schilderung und der bedrohlichen Ausstrahlung der Nachtszene bezieht sich Dürer außerdem deutlich auf die Gefangennahme Christi der Karlsruher Passion, die er in Straßburg gesehen haben könnte und die auch bereits Schongauer bekannt gewesen ist (siehe meinen Post „Der unvollständige Leidensweg“). 
Andrea Mantegna: Tritonenkampf, rechte Hälfte (um 1475); Kupferstich
Das Motiv des nach links gewandten, mit seinem Schwert zuschlagenden Petrus könnte Dürer wiederum aus Andrea Mantegnas Kupferstich Tritonenkampf übernommen haben, wo in der rechten Bildhälfte ein Seekentaur auf die gleiche Weise zum Hieb mit einem Knochen ansetzt. Der Nürnberger Meister hatte die italienische Grafik 1494 nachgezeichnet.

Literaturhinweise
Kuder, Ulrich/Luckow, Dirk (Hrsg.): Des Menschen Gemüt ist wandelbar. Druckgrafik der Dürerzeit. Kunsthalle zu Kiel, Kiel 2004, S. 212;
Fröhlich, Anke: Die Gefangennahme Christi, 1510. In: Albrecht Dürer, Das druckgraphische Werk. Band II: Holzschnitte. Prestel Verlag, München 2002, S. 188-190.

(zuletzt bearbeitet am 4. April 2019) 

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