Rogier van der Weyden: Anton von Burgund (um 1460); Brüssel, Musées Royeaux des Beaux-Arts de Belgique (für die Großansicht einfach anklicken) |
Wie wichtig das gemalte Bildnis bereits in der Epoche des niederländischen Malers Rogier van der Weyden (1399/1400–1464) gewesen ist, zeigt die Tatsache, dass weit über die Hälfte seiner erhaltenen Werke entweder autonome Porträts sind oder geistliche Szenen, die ein Porträt (oder auch mehrere) enthalten. Anfang der 1460er Jahre ließen sich Karl der Kühne (1433–1477), der legitime Sohn Philipp des Guten (1396–1467), und dessen Halbbruder Anton, eines der zahlreichen vom Herzog von Burgund gezeugten außerehelichen Kinder, ihr offzielles Bildnis malen. Nach dem Tod Jan van Eycks im Jahr 1441 war Rogier Porträtist der herzoglichen Familie und des Burgunderhofes geworden, obwohl er nie in Hofdiensten stand. Auch wenn viele dieser Bildnisse verloren sind, müssen neben den Mitgliedern des Hauses Burgund auch zahlreiche Angehörige des Adels und der bürgerlichen Eliten sowie kirchliche Würdenträger, Höflinge und Geschäftsleute Porträts bei ihm bestellt haben – das war eine Statusfrage.
Solche Bildnisse waren dabei oft in die private Bildandacht eingebunden, z. B. als Teil von Mariendiptychen: Das Porträt der ins Gebet vertieften Person befand sich auf dem einen Flügel, die halbfigurige Darstellung der Madonna mit Kind auf dem anderen. Die Porträtierten sind dabei stets auf der rechten Tafel abgebildet, sie wenden sich folglich immer nach links. Rogier scheint diesen Bildtypus entwickelt zu haben. Leider ist keines seiner Diptychen als Einheit erhalten geblieben – doch lassen sich zwei mit Bestimmtheit rekonstruieren. Bildnisse von Mitgliedern des Hauses Burgund wurden dagegen wohl als eigenständige Porträts angefertigt, wobei die offiziellen Bildnisse von Philipp dem Guten und seiner Gemahlin Isabella von Portugal nur noch in Kopien übeliefert sind.
Rogier van der Weyden: Karl der Kühne (um 1460); Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken) |
Das Brustbildnis des Anton von Burgund (1430–1504) ist das am besten erhaltene Männerporträt von der Hand Rogiers. Gekleidet in ein Wams aus dunklem, braunviolettem Samt (identisch mit der Tracht, die Karl der Kühne auf seinem Bildnis in Berlin trägt), ist er bis zu den Schultern vor einem Hintergrund in gleichmäßig dunklem Blaugrün abgebildet. Er trägt die Ordenskette des Goldenen Vlieses (der Orden war 1430 von Philipp dem Guten gestiftet worden) und hält in seiner an die Brust gedrückten rechten Hand einen großen Pfeil. Sein halblanges Haar und die hohe Mütze gehören zu einem neuen modischen Erscheinungsbild, das um 1467 in konischen Kopfbedeckungen und langer Haarpracht gipfelte. Die Bedeutung des Pfeils auf diesem Porträt ist nicht genau entziffert, aber als häufiges ritterliches und militärisches Attribut dürfte er auf Kampferfolg, Macht und Würde verweisen.
Urbild des modernen Verdienstordens: ein an einer Collane hängendes goldenes Widderfell ist das Abzeichen des Ordens vom Goldenen Vlies |
In einer großen Diagonale schneidet Antons Pfeils durch das Bild, parallel zu seiner linken Schulter. Die Linie des Kragens und die größere Hälfte der Ordenskette laufen entgegengesetzt diagonal darauf zu. Über dieser Kreuzform erhebt sich der Kopf. „Das etwas vorgeschobene Kinn, die leicht zusammengezogenen, aber doch nicht verkniffenen Brauen und der Blick in die Richtung, in die das Pfeilende zeigt, ergeben einen herausfordernden, kühnen Ausdruck, der ganz mit dem Attribut des Pfeiles zusammenstimmt“ (Kemperdick 1999, S. 105). Andererseits lassen ihn die geschwungenen Augen mit ihren großen Lidern und der volle Mund viel sanfter, ja fast melancholisch wirken. Die rechte Hand mit ihren eleganten, gelängten Fingern – ein Merkmal aller Figuren Rogiers – hält den Pfeil mit lockerem, beinahe zarten Griff. Christian Kruse nimmt denn auch in der Ebenmäßigkeit und Sensibilität des Männergesichts eine „weibliche Note“ wahr (Belting/Kruse 1994, S. 192).
Der deutsche Maler Hans Memling (um 1435–1494), der eine Zeitlang in der Brüsseler Werkstatt Rogiers verbracht haben dürfte, knüpft mit seinen Bildnissen an dessen Porträtkunst an. Das Frankfurter Bildnis eines Mannes mit roter Kappe gehört zu den frühesten Porträts, die Memling nach seiner Ankunft in Brügge geschaffen hat. Die Tafel zeigt das Brustbild eines Mannes im mittleren Alter, der, nach links blickend, in Dreiviertelansicht wiedergegeben ist. Er trägt über einem schwarzen Wams mit
schmalem Stehkragen eine gleichfarbene, dicht am Hals geschlossene und mit braunem Pelz gefütterte bzw.
besetzte Schaube. Seine Hände – an der Linken sind zwei Ringe erkennbar – sowie der linke Unterarm ruhen auf einer imaginären Brüstung, der mit der vorderen Bildbegrenzung und somit ursprünglich wohl mit dem inzwischen verlorenen Originalrahmen des Gemäldes zusammenfiel. Auf vielen späteren Bildnissen hat Memling diesen illusionistischen Trick, durch den die Realitätsebenen von Bild und Wirklichkeit ineinanderzufließen scheinen, immer wieder aufgegriffen. Wie Rogier wählt Memling einen Bildausschnitt, bei dem der Oberkörper des Mannes nicht vollständig zu sehen ist; die Arme werden beidseitig überschnitten, wodurch die Figur sehr nah an den Betrachter heranrückt.
Neu und spektakulär ist das Frankfurter Bildnis hingegen zum einen durch die flache, bewaldete Landschaft mit einer fernen Siedlung, die nahezu den gesamten Bildhintergrund ausfüllt, zum anderen durch einen fingierten Steinrahmen, vor den der Maler sein Modell platziert. Die Kombination von Rahmen und Landschaft dürfte als Weiterentwicklung des offenbar von Dirk Bouts (1400–1475) erfundenen Typus „Bildnis mit Fensterausblick“ anzusehen sein. Doch Memling geht noch weiter: Der steinerne Rahmen besitzt bei ihm eine Doppelfunktion – einerseits dient er als eine Art Fensterrahmen, durch den sich nach hinten der Ausblick in eine flache, bewaldete Landschaft mit einer entfernten Siedlung öffnet; andererseits hinterfängt er als Trompe-l’œil-Rahmung
das eigentliche Porträt (siehe meinen Post „Die Porträtkunst des Hans Memling“). Durch diesen illusionistischen Effekt „wird das Bildnis aus dem Gemälde heraus in die Wirklichkeitsebene des Betrachters projiziert“ (Borchert 2005, S. 151). Indem Memling die hohe, karmesinrote Stoffkappe bis an die obere Bildbegrenzung heranführt, sodass sie den oberen Abschluss der Steinrahmung überschneidet, verstärkt er zusätzlich die illusionistische Wirkung.
Hans Memling: Bildnis eines Mannes mit roter Kappe (um 1470/75); Frankfurt, Städel Museum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Dirk Bouts: Bildnis eines Mannes (1462); London; National Gallery |
Literaturhinweise
Belting, Hans/Kruse, Christian: Die Erfindung des Gemäldes. Das erste Jahrhundert der niederländischen Malerei. Hirmer Verlag, München 1994, S. 192-193;
Borchert, Till-Holger: Hans Memling. Portraits. Belser Verlag, Stuttgart 2005, S. 151;
Borchert, Till-Holger: Hans Memling. Portraits. Belser Verlag, Stuttgart 2005, S. 151;
De Vos, Dirk: Hans Memling. Das Gesamtwerk. Belser Verlag, Stuttgart/Zürich 1994, S. 96;
De Vos, Dirk: Rogier van der Weyden. Das Gesamtwerk. Hirmer Verlag, München 1999, S. 311-313;
Kemperdick, Stephan: Rogier van der Weyden 1399/1400–1464. Könemann Verlagsgesellschaft, Köln 1999;
Richter, Kerstin: Unverwechselbar. Zur Porträt-Tradition bis 1500 in Deutschland und den Niederlanden. In: Messling,
Guido/Richter, Kerstin (Hrsg.),
Cranach. Die Anfänge in Wien. Hirmer Verlag. München 2022, S. 35-43;
Sander, Jochen: Niederländische Gemälde im Städel. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1993, S. 295-304.
(zuletzt bearbeitet am 9. August 2022)