Mittwoch, 25. Dezember 2019

Kölner Könige an der Krippe

Rogier van der Weyden: Columba-Altar, Mitteltafel mit der Anbetung der König (um 1450-1456);
München, Alte Pinakothek (für die Großansicht einfach anklicken)
Der Columba-Altar ist – nach dem Weltgericht (siehe meinen Post „Die zur Linken, die zur Rechten“) – das größte noch erhaltene Altarbild Rogier van der Weydens. Es gehört zu den ersten Triptychen, auf denen das weihnachtliche Motiv der „Anbetung der Könige“ ausführlich und als Hauptszene dargestellt wird. Bestimmt war das Werk für die St. Columba-Kirche in Köln – bei den drei Männern aus dem Morgenland handelt es sich um die Schutzpatrone der Stadt. Köln bewahrte seit dem 12. Jahrhundert die Reliquien der Könige als ihr wichtigstes Heiligtum im Dom auf. Noch 1801 befand sich das Triptychon in der Taufkapelle von St. Columba; nach der Säkularisation gelangte es 1808 in die Sammlung Boisserée und mit dieser 1827 nach München, wo es heute in der Alten Pinakothek ausgestellt ist.
Auf der Mitteltafel des Columba-Altars sind die Hauptfiguren friesartig im Vordergrund platziert, sie bilden die vertikalen Akzente der Darstellung. Als zentrale Gestalt sitzt Maria mit dem Kind frontal vor den Arkaden eines zerstörten Gebäudes, dessen Dach nur notdürftig mit Schilf bedeckt und in dem Ochs und Esel Schutz gefunden haben. Demütig hält Maria ihre linke Hand vor die Brust; ihr Blick richtet sich nicht wirklich auf ihren Sohn, er scheint vielmehr nachdenklich-versonnen nach innen gewandt. Sie und das Kind sind die einzigen Figuren, deren Köpfe von einem Strahlennimbus hinterfangen werden. Ein an dem Pfeiler hinter ihr angebrachtes kleines Kruzifix – ein anachronistisches Motiv – verweist auf den zukünftigen Leidensweg und Tod des Gottessohns. Der Hintergrund zeigt eine gewellte Landschaft mit einer auf einem Hügel gebauten Stadt auf der linken Seite. Der Stern, der die drei Könige bis nach Bethlehem geführt hat, funkelt links oben hinter der Stallruine.
Drei Könige, drei Lebensalter
Die drei Könige nähern sich von rechts: In drei aufeinander folgenden Momenten sind sie wie in einem kinematografischen Bewegungsablauf gestaffelt, um ihren ehrerbietigen Gruß zu veranschaulichen. Darüber hinaus symbolisieren sie auch die drei Lebensalter. Der älteste König kniet bereits und berührt ebenso ehrfürchtig wie behutsam das Kind mit seinen Händen an Füßen und linkem Händchen, wobei sein linkes Bein durch einen auffälligen Seitenschlitz seines langen Mantels entblößt wird. Der zweite, gerade im Begriff niederzuknien, hält sein kostbares Geschenk in den Händen, einen goldenen Deckelpokal, während er mit den Armen seinen Hut an die Brust drückt. Der dritte und jüngste hat gerade eben seine gekrönte Kopfbinde abgenommen: Mit einer beinahe tänzerischen Drehung um die eigene Achse übernimmt der kostbar gekleidete junge Mann von einem Pagen den als Gabe mitgeführten Pokal, ehe auch er vor dem Kind niederknien wird. Zu seinen Füßen liegt ein Windspiel – der Hund ist ebenso wie die noble modische Kleidung der drei Männer ein Attribut ihrer edlen Abstammung. Der etwas isoliert stehende jüngste König trägt die Züge des Thronfolgers des Herzogs von Burgund; Karl der Kühne (1432–1477) ist hier idealisiert im Alter von 22 Jahren dargestellt.
Höfische Eleganz in Vollendung: der jüngste König mit gekrönter Kopfbinde
Der älteste König bildet zusammen mit Maria und dem Kind ein kompositorisches Dreieick, das im Mittelpunkt der Anbetung steht. Rogier platziert Maria aber nicht auf der Mittelachse des Bildes, sondern verschiebt sie etwas nach links – auf diese Weise hat der Zug der Könige mehr Platz zur Entfaltung. Auch der mit dem Kruzifix ausgezeichnete Pfeiler hinter der Gottesmutter steht etwas links von der Mittelachse. „Indem die Hauptfigur von der Zentralachse seitlich verrückt ist, wird der Bewegungsimpuls weitergeleitet und erst in der festen Vertikalen der Gestalt Josephs endgültig aufgefangen“ (Pächt 1994, S. 54). Die Ruine des Stalls öffnet sich in Bogenstellungen, die das Bildfeld unterteilen und symmetrisch gliedern. „Überzieht die Fgurenbewegung die Zentralachse gegen die linke Seite zu, so dehnt sich die Arkadenfolge dahinter weiter nach rechts; es ist eine verschleierte Symmetrie und ein labiles Gleichgewicht“ (Pächt 1994, S. 54). Die figürlichen Hauptakzente finden jeweils in den hinter ihnen aufragenden Architekturgliedern ihre Fortführung nach oben.
Zu Füßen von Maria, am vorderen Bildrand, ist ein gemauertes unterirdisches Gewölbe sichtbar – es verweist auf die Geburtshöhle in Bethlehem, von dem das apokryphe Protoevangelium des Jakobus berichtet. Von diesem Gewölbe führt bei Rogier eine kleine Wendeltreppe herauf, auf deren vorletzter Stufe Joseph steht. Ihm, dem Stifter des Altarbildes sowie den beiden Tieren ist der Platz zur Rechten Marias vorbehalten. Joseph, als alter Mann gezeigt, hält Wanderstab und Hut in Händen; neben ihm ist auf einem dreibeinigen Hocker das Geschenk des ersten Königs abgestellt. Der Auftraggeber, dessen Identität nicht sicher feststeht, kniet mit gefalteten Händen und Rosenkranz ganz links hinter einem verfallenen Mäuerchen. Er schlägt die Augen nieder, sieht das Ereignis also nur vor seinem inneren Auge. Auch der Betrachter wird durch das Loch des eingestürzten Kellergewölbes zu Füßen Mariens gleichsam in respektvoller Distanz gehalten. Maria ist von allen Gestalten besonders hervorgehoben durch das einheitliche Blau ihrer Kleider, das immer von intensivem Rot flankiert wird. Wie auf dem Berliner Bladelin-Altar (siehe meinen Post „Alle Welt huldigt dem Kind“) werden die drei Tafeln desTriptychons nicht durch den Schauplatz, sondern durch die bewegte Kette der gleich großen Figuren verbunden.
Der vollständige Columba-Altar mit linkem und rechtem Klappflügel (für die Großansicht einfach anklicken)
Die beiden Flügel des Altars zeigen Szenen in Innenräumen: links die Verkündigung (Lukas 1,26-38), rechts die Darbringung im Tempel (Lukas 2,21-24). Die Außenseiten der Altarflügel erhielten nur einen Schutzanstrich, keine Bemalung. Die Verkündigung gibt Einblick in ein Schlafgemach: Das Zimmer ist mit seinem kunstvollen Fliesenboden, dem bunten Glasfenster und dem prunkvollen, mit äußerst kostbarem Goldbrokat verzierten Bett alles andere als eine gewöhnliche Behausung. Der Raum wird durch ein steinernes Gesims oben und eine schmale Leiste rechts wie auch am unteren Bildrand nach vorne hin abgeschlossen. Die göttliche Botschaft des Engels ist in goldenen Lettern vor seinem Mund zu lesen: AVE GRACIA PLENA DOMINVS TECVM („Sei gegrüßt, du Gnadenreiche, der Herr ist mit dir“). Es scheint, als schwebe er, nur ein Fuß berührt den Fliesenboden; in seiner linken Hand hält er als Zeichen des himmlischen Auftrags einen zepterähnlichen Stab. Sein weißes Gewand flattert noch und bauscht sich am Treppenabsatz. Durch das halb geöffnete Fenster fliegt eine weiße Taube, Symbol des Heiligen Geistes, auf die junge Frau zu.
Maria war bis zu diesem Moment kniend ins Gebet vertieft; ernst und in sich gekehrt vernimmt sie die Verheißung des Engels. Sie wendet sich ihm „mit einer Art Ballettpose“ (Kemperdick 1999, S. 78) zu, sodass die Knie der beiden in einer Diagonalen aufeinander zeigen, die parallel zum Schriftzug des Engelgrußes verläuft. Auf der Seitenwange ihres Betpultes sind im Relief Adam und Eva sowie die Schlange zu sehen – Hinweis auf Sündenfall und Erlösung von der Erbsünde durch den Opfertod des hier verheißenen Sohnes. Die weiße Lilie wiederum am vordersten Bildrand versinnbildlicht die Jungfräulichkeit Mariens. Für die Haltung der Gottesmutter und die Schlafkammer als Handlungsrahmen orientierte sich Rogier deutlich an seinem eigenen Frühwerk, der Pariser Verkündigung.
Rogier van der Weyden: Verkündigung (um 1440); Paris, Louvre (für die Großansicht einfach anklicken)
Den Tempel von Jerusalem, den Maria im rechten Flügel mit Joseph betritt, um nach dem mosaischen Gesetz (2. Mose 13,2) den erstgeborenen Sohn darzubringen, hat Rogier als spätromanischen, achteckigen Zentralbau mit Vorhalle dargestellt; diese ist vom hell erleuchteten Innern des Zentralbaus im Hintergrund durch eine Quermauer mit Bogenöffnung abgetrennt. Nach ikonografischer Tradition wird in der Kunst der alttestamentliche Tempel durch romanische Architektur dargestellt. Rogiers Zentralbau auf dem rechten Flügel stellt die formale Beziehung zur Haupttafel her, mit dessen Außenansicht die Landschaft auf der rechten Seite endet. An dieser Außenseite sind Skulpturen von Mose und David sowie eine dritte alttestamentliche Figur erkennbar, vielleicht ein Prophet.
Gruppenbild mit Turteltäubchen
Das Lukas-Evangelium berichtet, dass die Eltern auf die Prophetin Hanna und den greisen Simeon treffen, dem geweissagt worden war, dass er den Heiland sehen werde (Lukas 2,25-38 ). Neben Simeon und dem Kind ist in Goldbuchstaben zu lesen: NVUNC DIMNITTIS TVVM DOMINE SECVUNDUM VERBVUM TVVM IN PACE („Nun entlässt du deinen Diener in Frieden, Herr, nach deinem Wort“). Die weltlich gekleidete Frau im Vodergrund links, die aus dem Gemälde blickt, ist eine Dienerin der Maria. Sie trägt den Korb mit den beiden Turteltauben, die als Auslösung des dargebrachten Erstgeborenen auf dem Altar geopfert wurden (Lukas 2,23-24). Im Hintergrund hat Rogier ein anekdotisches Detail eingefügt: Ein Beter betritt den Tempel und greift instinktiv nach seiner Geldbörse, nachdem er den an eine Säule gelehnten Bettler entdeckt hat.
Stefan Lochner: Altar der Kölner Stadtpatrone (um 1445), Köln, Dom (für die Großansicht einfach anklicken)
Wer nach 1450 für einen Kölner Auftraggeber eine „Anbetung der Könige“ malte, trat in Konkurrenz mit Stefan Lochners Altar der Stadtpatrone, der damals noch im Rathaus aufgestellt war. Auch wenn Rogiers Bilderzählung ganz anders angelegt ist, so gibt es doch Elemente, die zeigen, dass er das Werk des Kölner Meisters gekannt und studiert hat. Rogiers letzter König mit dem Krummsäbel und dem weißen Turban nimmt die Figur von Lochners Standartenträger an der gleichen Bildposition wieder auf, und Rogiers grün gekleidete Magd mit dem Turteltaubenpaar in der Darbringungsszene entspricht bei Lochner einer Figur im Vordergrund des linken Flügels. „Diese beiden deutlichen Bildzitate markieren keine Abhängigkeit von Lochners Ästhetik, sondern sind eine Reverenz, eine Verneigung des berühmten Niederländers vor dem großen deutschen Malerkollegen“ (Thürlemann 2006, S. 83).

Literaturhinweise
an der Heiden, Rüdiger: Die Alte Pinakothek. Sammlungsgeschichte, Bau und Bilder. Hirmer Verlag, München 1998, S. 214-220;
De Vos, Dirk: Rogier van der Weyden. Das Gesamtwerk. Hirmer Verlag, München 1999, S. 276-283;
Kemperdick, Stephan: Rogier van der Weyden 1399/1400–1464. Könemann Verlagsgesellschaft, Köln 1999, S. 77-83;
Kemperdick, Stephan: I tableau à il hisseoires – ein Bild mit zwei Flügeln. Wandelbare und nicht wandelbare Bildensembles in der Zeit Rogier van der Weydens. In: Stephan Kemperdick und Jochen Sander (Hrsg.), Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden. Städel Mueum, Frankfurt am Main 2008, S. 117-131;
Kemperdick, Stephan: Eine europäische Bildsprache. Die Bildkünste ab 1450 und das Vorbild Rogier van der Weydens. In: Michael Eissenhauer (Hrsg.): Spätgotik. Aufbruch in die Neuzeit. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2021, S. 197-203;
Pächt, Otto: Altniederländische Malerei. Von Rogier van der Weyden bis Gerard David. Prestel-Verlag, München 1994, S. 53-56 und 65-66;

Thürlemann, Felix: Rogier van der Weyden. Leben und Werk. Verlag C.H. Beck, München 2006, S. 77-83.

 

(zuletzt bearbeitet am 6. August 2023) 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen