Hans Baldung Grien: Beweinung Christi (um 1515/17); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
Baldung wählt für seine Beweinungsszene zwar ein Hochformat, beschränkt sich aber ganz auf das, was sich zu Füßen der drei Kreuze ereignet. Indem er diesen knappen Ausschnitt wählt, wird das Geschehen dramatisch verdichtet. Außerdem ändert er die gewohnte bildparallele Präsentation des Toten: Baldung zeigt den Leichnam Jesu in starker Verkürzung und lagert ihn so auf dem Boden, dass der Körper in die Tiefe des Bildraums ragt und die angewinkelten Beine schräg nach vorn weisen. Sein Gesicht ist aufgrund der extremen Untersicht kaum sichtbar. Ganz anders dagegen die fünf Wundmale Christi, die für den Betrachter alle gut zu erkennen sind – sie werden ihm gleichsam zur Verehrung dargeboten. Über die Lenden Jesu ist ein Tuch ausgebreitet, auf dem auch seine rechte Hand mit dem Nagelmal ruht. Über den Leichnam hinweg werden die Blicke des Betrachters zu der am Boden kauernden Maria geleitet. Sie beugt sich von hinten über den Kopf Christi, der in ihrem Schoß liegt, und betrachtet noch einmal liebevoll das Antlitz ihres Sohnes. Maria wirkt gefasst in ruhiger Trauer, aber an ihren Händen lässt sich dennoch ablesen, wie aufgewühlt sie ist. Es scheint, als würde sie den Tod ihres Sohnes als eine Erlösung von seinem irdischen Leiden ansehen.
Alle drei Figuren geben ihrem Schmerz in unterschiedlicher, sich steigernder Weise Ausdruck. Links von Maria sitzt der weinende Johannes, der den ausgestreckten Arm seines Herrn ergriffen hat und betroffen die Nagelwunde der auf seinen Knien liegenden linken Hand Jesu betrachtet. Fassungslos muss er den unabänderlichen Tod des Freundes hinnehmen. Ganz anders reagiert dagegen die in ein zeitgenössisches Gewand gekleidete Magdalena, die hinter Maria kniet: In wilder Verzweiflung und tiefstem Weh bäumt sie sich pathetisch auf, wirft den Kopf zur Seite und breitet ihre Arme nach oben aus. Sie scheint außer sich zu sein, was Baldung zusätzlich durch ihre ebenso üppigen wie stürmisch wehenden Lockenhaare sichtbar macht. „Ihre ausgebreiteten Arme erinnern an die des Gekreuzigten, ihre heilen Handflächen bringen seine Wundmale, die Zeichen des Heils, umso stärker zur Geltung“ (Kuder/Luckow 2004, S. 145).
Albrecht Dürer: Leichnam Christi (1505), Cleveland, Cleveland Museum of Art |
Albrecht Dürer: Beweinung Christi (1507); Kupferstich |
Hans Baldung Grien: Beweinung Christi (1513); Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Literaturhinweise
Augustinermuseum Freiburg (Hrsg.): Hans Baldung Grien in Freiburg. Rombach Verlag, Freiburg im Breisgau 2001, S. 128;
Lüdke, Dieter: Hans Baldung gen. Grien, Die Beweinung Christi. In: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Hrsg.), Grünewald und seine Zeit. Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 2007, S. 323;
Kuder, Ulrich/Luckow, Dirk (Hrsg.): Des Menschen Gemüt ist wandelbar. Druckgrafik der Dürerzeit. Kunsthalle zu Kiel, Kiel 2004, S. 145.
(zuletzt bearbeitet am 27. Juni 2023)
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