Caravaggio: Hl. Katharina von Alexandria (um 1597/98); Madrid, Museo Thyssen-Bornemisza (für die Großansicht einfach anklicken) |
Nach der Legenda aurea des Jacobus de Voragine (um 1264 entstanden) lebte die hl. Katharina im frühen 4. Jahrhundert. Sie wird zu den 14 Nothelfern der katholischen Kirche sowie gemeinsam mit der hl. Barbara und der hl. Margarete von Antiochien zu den Virgines capitales gezählt. Nachdem ihr mehrfach die Muttergottes erschienen war, konvertierte die alexandrinische Königstochter zum Christentum und bekehrte einige Gelehrte der Gefolgschaft des römischen Königs Maxentius. Der wollte sie deswegen hinrichten lassen, doch mehrere Tötungsversuche schlugen fehl – so auch die Folter mit einem gezähnten Rad: Es zerbarst, als Katharina Gott um Beistand anrief. Den Tod erlitt die Märtyrerin wenig später dann durch Enthauptung.
Auf seinem Bild aus der Sammlung Thyssen-Bornemisza in Madrid zeigt Caravaggio (1571–1610) die Heilige als Ganzfigur in Lebensgröße, weitgehend frontal auf den Betrachter ausgerichtet und auf einem großen roten Kissen kniend. Katharina, mit einem feinen Nimbus versehen, stützt sich auf die Achse eines sehr großen Holzrades, über die ihr blauer Mantel drapiert ist. Die beiden sichtbaren Metalldorne machen das schadhafte Holzrad als Marterinstrument kenntlich, wobei „dessen runde Form die ganz auf Diagonalen und auf Dreiecken beruhende, streng durchdachte Komposition ausbalanciert“ (Ebert-Schifferer 2009, S. 108). Die Heilige trägt ein Samtkleid über einer weißen Bluse und hält einen äußerst langen Degen in der Linken, den sie mit dem Zeigefinger und Daumen der rechten Hand sanft berührt. Die Schrägstellung des Degens wiederholt dabei die diagonale, nicht leicht durchschaubare Körperhaltung der Märtyrerin. Auf ihrem Kissen liegt ein Palmwedel, der von der unteren Bildkante leicht überschnitten wird.
Die ägyptische Königstochter, die Caravaggio in leichter Untersicht ohne erkennbare Gemütsregung präsentiert, befindet sich in einem nicht näher charakterisierten Raum vor dunklem Hintergrund. Besondere Sorgfalt hat der Künstler auf die Wiedergabe der kostbaren, von Gold- und Silberfäden durchwirkten Samt- und Brokatstoffe gelegt. „Das fein nuancierte, intensive Kolorit wird von dem Dunkelviolett des Kleides, dem Nachtblau des Mantels und dem Rubinrot des Kissens dominiert“ (Schütze 2009, S. 75). Dabei erinnert die Präsentation der in kostbare zeitgenössische Gewänder gehüllten Heiligen, so Sebastian Schütze, an die Vision der hl. Helena von Veronese (1528–1588), die heute in den Vatikanischen Museen aufbewahrt wird.
Veronese: Vision der hl. Helena (um 1580), Rom, Vatikanische Museen (für die Großansicht einfach anklicken) |
Katharina
verfügt zwar über die traditionellen Attribute der Heiligen – das gezähnte Rad,
die Hinrichtungswaffe und der Palmwedel –, aber im Verhältnis zur Figur fallen
sie bei Caravaggio ungewöhnlich groß aus. Üblicherweise hält Katharina das Rad
in der Hand – hier steht es neben ihr und dient als Lehne. Der überlange Degen
dürfte für eine Enthauptung kaum geeignet gewesen sein. Es handelt sich um eine „spada da lato“, eine Duellwaffe, die durchaus Caravaggio selbst gehört haben könnte. Der Palmwedel zu Katharinas Füßen wiederum ist vertrocknet. All diese Gegenstände werden als benutzt
präsentiert: Das Rad ist gesprengt, einige Zacken sind herausgebrochen, der
Degen trägt Blutspuren, und auf das bereits erfolgte Martyrium der Heiligen
verweist auch der Palmzweig. Doch an Katharina selbst sind keinerlei Spuren
durchlittener Qualen zu erkennen, ihr Leib ist unversehrt, höchst lebendig
blickt sie aus dem Bild heraus zum Betrachter.
Diese Katharina posiert sichtlich für den Betrachter bzw. den Maler – und wird damit als Modell erkennbar, dass der Künstler in seinem Atelier zusammen mit den genannten Attributen in Szene setzt. „Caravaggio forciert diesen Eindruck mittels verschiedener Details: durch das falsche Martyriumswerkzeug, mit dem er uns Glauben machen will, es wäre das einzige im Fundus des Ateliers vorhandene Requisit gewesen (...) und durch die Palme zu Katharinas Füßen, die dem Betrachter die naiv-naturalistische Lesart aufdrängt, sie sei über der ,Porträtsitzung‘ verdorrt“ (Rosen 2009, S. 96). Caravaggio ironisiert auf diese Weise den Typus des einfigurigen Heiligenbildes.
Die Hl. Katharina von Alexandria, um 1597/98 entstanden, war ursprünglich Teil der Gemäldesammlung des römischen Kardinals Francesco Maria Del Monte, dessen Haushalt Caravaggio von Ende 1595 an fünf Jahre lang angehörte. Die Wahl des Themas dürfte unmittelbar auf den Kardinal zurückgehen, der die Heilige in seinem Testament als besondere Schutzpatronin anrief und in seiner Sammlung insgesamt vier weitere Darstellungen von ihr bewahrte. Dass Katharina den Betrachter so unverwandt ansieht, dürfte für jene Besucher der Sammlung del Monte, die das Modell kannten, eine durchaus delikate Note gehabt haben: Ein anderer Sammler und Förderer des Malers, der Marchese Vincenzo Giustiniani, besaß ein Porträt dieser Dame, deren Identität zuverlässig verbürgt ist – es handelt sich um eine stadtbekannte Kurtisane namens Fillide. Caravaggio hat dieses Modell auch für seine beiden Gemälde Die Bekehrung der Maria Magdalena (siehe meinen Post „Erleuchtet von göttlicher Gnade“) und Judith und Holofernes (siehe meinen Post „Barock-Splatter“) verwendet.
Caravaggio: Die Bekehrung Maria Magdalenas (1598/99); Detroit, The Detroit Institute of Art (für die Großansicht einfach anklicken) |
Caravaggio: Judith und Holofernes (1598/99); Rom, Galleria Nazionale d’Arte Antica (für die Großansicht einfach anklicken) |
Was die Zeitgenossen Caravaggios angesichts
seiner Bilder in Staunen versetzte, waren vor allem der Naturalismus und die
physische Präsenz seiner Figuren. Die frühen Biografen des Künstlers berichten,
Caravaggio habe seine Gemälde direkt nach dem Modell auf der Leinwand ausgeführt,
ohne sich vorbereitender Zeichnungen zu bedienen, wie es traditionell üblich war.
Tatsächlich sind bisher keine Zeichnungen von der Hand Caravaggios bekannt
geworden. Technische Untersuchungen zeigen, dass er die Figuren zunächst mit
dem Pinsel in Bleiweiß auf der Leinwand anlegte, sie dann ausarbeitete und in
Details fortwährend korrigierte. Zahlreiche seiner Gemälde weisen darüber hinaus
sogenannte incisioni auf, d. h. mit
dem Pinselstiel oder einem anderen spitzen Gegenstand in den frisch
präparierten Malgrund eingeritzte Umrisslinien. Um die neuartige
Helldunkel-Modellierung seiner Bildgestalten zu studieren, positionierte
Caravaggio seine Modelle außerdem in einem abgedunkelten Raum mit einer
einzigen, scheinwerferartigen Lichtquelle.
Literaturhinweise
Ebert-Schifferer,
Sybille: Caravaggio. Sehen – Staunen – Glauben. Der Maler und sein Werk. Verlag
C.H. Beck, München 2009;
Langdon, Helen: Caravaggio. A Life. Pimlico. London 1999, S. 165-166;
Schütze, Sebastian: Caravaggio. Das vollständige Werk. Taschen
Verlag, Köln 2011, S. 75-76.
von
Rosen, Valeska: Arbeiten am Image. Caravaggios Selbststilisierung in Bezug auf
seine Arbeitsweise. In: Jürgen Harten (Hrsg.), Caravaggio. Originale und Kopien
im Spiegel der Forschung. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2006, S. 62-72;
von
Rosen, Valeska: Caravaggio und die Grenzen des Darstellbaren. Ambiguität,
Ironie und Performativität in der Malerei um 1600. Akademie Verlag, Berlin
2009, S. 91-97.
(zuletzt bearbeitet am 11. Oktober 2024)