Samstag, 29. August 2020

Caput Johannis in disco – die mittelalterlichen Johannesschüsseln

Albrecht Bouts: Johannesschüssel (um 1500/1510); Oldenburg, Museum für Kunst und Kulturgeschichte
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Vom Tod Johannes des Täufers finden sich im Neuen Testament zwei Berichte, und zwar bei den Evangelisten Matthäus (14,1-21) und Markus (6,14-29). Der Tetrarch Herodes Antipas ließ Johannes einsperren, weil dieser die inzestuöse Hochzeit des Herrschers mit seiner Schwägerin und Nichte Herodias öffentlich angeprangert hatte. Wegen der großen Popularität des Propheten wagte er es aber nicht, ihn weiter zu bestrafen. Beim Bankett anlässlich des Geburtstags von Herodes Antipas tanzte die Tochter der Herodias so aufreizend, dass der Tetrarch ihr versprach, ihr jeden Wunsch zu erfüllen – bis hin zur Hälfte seines Königsreichs. Angestiftet von ihrer Mutter, verlangte das Mädchen den Kopf des Johannes. Daraufhin wurde der Täufer enthauptet; Herodias’ Tochter übernahm das abgeschlagene Kopf auf einer Schale und präsentierte ihn der Mutter.
Während der Kreuzzüge entstand ein neuer Bildtypus, der das abgeschlagene Haupt Johannes des Täufers auf einer Schale imitiert – die sogenannte Johannesschüssel. Als autonome Skulptur wurde sie ab dem 13. Jahrhundert wohl auf Altären platziert, bei Prozessionen mitgeführt oder als Requisit in geistlichen Spielen verwendet. Die vollplastischen Darstellungen der Johannesschüssel sind in weiten Teilen Europas hergestellt und genutzt worden; Exemplare aus dem 13. und 14. Jahrhundert sind jedoch nur aus dem deutschsprachigen Raum bekannt. Die meisten Johannesschüsseln stammen aus Westfalen und aus der Gegend am Niederrhein. Dies mag an den zahlreichen Johannisbruderschaften gelegen haben, die in diesen Gebieten in großer Zahl im Anschluss an Johanniterkommenden entstanden sind.
Johannesschüssel (um 1500), Köln, Museum Schnütgen
Johannesschüssel (um 1450); Köln, Museum Schnütgen
Die Darstellungen können sich in ihrer Drastik deutlich unterscheiden: Mal steht der Mund des Kopfes offen, mal ist die Zunge vorgestreckt; manche haben offene, starre Augen, andere sind halb geschlossen; manchmal wird der blutige Halschnitt betont, während wir auf anderen Johannesschüsseln nur mit dem leblosen Antlitz konfrontiert werden. Einerseits ist der abgeschnittene Kopf ein makabrer Anblick, der den Voyeurismus des Betrachters bedient; andererseits repräsentiert er gleichzeitig auch den Märtyrertod des Täufers, der als letzter Prophet des Alten Testaments und Vorbote Christi besondere Verehrung erfahren hat. Die Johannesschüssel will deswegen nicht nur Schrecken hervorrufen, sondern ebenso Andacht und Adoration.
Dem niederländischen Maler Albrecht Bouts (ca. 1455–1549) ist es gelungen, den Kopf des Täufers in die Zweidimensionalität des Gemäldes zu übertragen, ohne etwas vom Realismus der skulpturalen Darstellung zu verlieren. Indem er das abgetrennte Haupt auf einen Tondo aus Pappelholz malte (eine Tafel im Kreisformat), schuf er ein regelrechtes illusionistisches Trompe-l’œil, bei dem der Bildträger mit der Schale verschmilzt (Ø 30,5 cm). Bouts’ in Oldenburg aufbewahrtes Gemälde gilt dabei als Modell für eine ganze Gruppe von weiteren Kopien, die in seiner Werkstatt angefertigt wurden.
Der langgestreckte Kopf des Täufers ist durch knochige Wangen, eine breite Stirn und einen langen Nasenrücken charakterisiert. Ein dunkler Doppelring betont die Augen, während die Netzhaut durch einen Tupfer azuritblauen Pigments akzentuiert ist – eine von Bouts häufig verwendete Technik. Über dem rechten Auge ist eine Narbe zu erkennen, die der Legende nach von einem Messerstich der Herodias stammt, mit dem sie noch nachträglich das abgeschlagene Haupt des verhassten Johannes attackierte. Die wirren Strähnen der Haupt- und Barthaare unterstreichen die Gewalt, die dem Täufer widerfahren ist. Der leicht geöffnete Mund mit den bläulichen Lippen lässt die obere Zahnreihe erkennen. Um die Vertiefung des Tellers zu simulieren, hat Bouts den Goldgrund mit einer Reihe schwarzer Striche verziert, die in mehr oder weniger dichten Netzen gesetzt sind. Eine Aufhänge- oder Befestigungsvorrichtung fehlt, dafür findet sich auf der Rückseite eine leichte Abschrägung: Man darf deswegen annehmen, dass die Tafel wie ihre skulpturalen Entsprechungen einfach auf einen Tisch oder einem anderen Möbelstück gelegt wurde.

Literaturhinweise
Arndt, Hella/Kroos, Renate: Zur Ikonographie der Johannesschüssel. In: Aachener Kunstblätter 38 (1969) S. 243-328;
Baert, Barbara: Vox clamantis in deserto. Die Johannesschüssel: Sinne und Stille. In: das münster 67 (2014), S. 194-206.

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