Mittwoch, 11. August 2021

Ein König bestellt sich einen schönen jungen Mann – Bertel Thorvaldsens „Adonis“

Bertel Thorvaldsen: Adonis (1808/1831); München, Neue Pinakothek
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1797 traf der dänische Bildhauer Bertel Thorvaldsen (1770–1844) als Stipendiat der Kopenhagener Akademie in Rom ein. Damit begann seine mehr als vier Jahrzehnte umfassende Tätigkeit in Rom, die er erst 1838 wieder verließ, um die letzten Lebensjahre wieder in seiner Heimatstadt Kopenhagen zu verbringen. Thorvaldsen beschäftigte sich nach seiner Ankunft intensiv mit dem Studium antiker Skulpturen und schuf gegen Ende seiner Stipendienzeit sein erstes großes Hauptwerk, die überlebengroße Statue des Jason mit dem goldenen Vließ (1803). Das Werk begründete einen Klassizismus, der sich eng an Vorbildern der griechischen Plastik des 5. Jahrhunderts v.Chr. orientierte, und machte den Bildhauer berühmt.

Bertel Thorvaldsen: Jason mit dem Goldenen Vließ (1803);
Kopenhagen, Thorvaldsen Museum
Seit Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) war die antike Kunst zum strahlenden Leitstern erhoben worden. Der Vater der archäologischen Wissenschaft beschrieb die griechische Skulptur, die in römischen Kopien erhalten war, mit dem berühmten Satz: „Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der Griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Grösse, so wohl in der Stellung als im Ausdruck“ (Winckelmann 1755, S. 24) In dem Begriffspaar „edle Einfalt und stille Größe“ drückt sich Winckelmanns Ablehnung gegen die Kunst des Barock aus, insbesondere gegen das Pathos in den Werken von Gian Lorenzo Bernini (1598–1680). Winckelmann wies den zeitgenössischen Künstlern die Richtung mit den Worten: „Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten“ (Winckelmann 1755, S. 8).

Die kunstinteressierte Welt war trunken von dem neuen Ideal. Zahlreiche Romreisende und Kunstagenten studierten die Antike, kauften alte Kunstwerke und bei den hier arbeitenden Malern und Bildhauern Ansichten der Stadt und der Umgebung oder Marmorbildwerke antiker Themen. Der Markt florierte. Der wichtigste Repräsentant des klassizistischen Stils war der italienische Bildhauer Antonio Canova (1757–1822), der seit 1779 in Rom arbeitete. Ihm folgten 1785 die beiden deutschen Bildhauer Johann Heinrich Dannecker (1758–1841) und Johann Gottfried Schadow (1764–1850), 1792 der deutsche Maler Asmus Jokob Carstens (1754–1798) und fünf Jahre später schließlich Thorvaldsen. Diese Künstler verhalfen dem Klassizismus zu einem unvergleichlichen Siegeszug durch die Welt.

Bertel Thorvaldsen: Büste Ludwigs I. als Kronprinz (1818);
München, Glyptothek
Bei Thorvaldsens Marmorstatue des Adonis handelte sich um eine Auftragsarbeit für den bayerischen Kronprinzen Ludwig, den späteren König Ludwig I. Er nahm sie 1808 in Angriff, vollendete die Statue aber erst 1831. Adonis, eine Gestalt der griechischen Mythologie und Inbegriff männlicher Schönheit, war der inzestuös gezeugte Sohn eines phönizischen Königs und seiner Tochter, die ihn im Gebirge zur Welt brachte, wo er unter Hirten aufwuchs. Zu einem strahlend-schönen jungen Mann herangewachsen, machte ihn die Göttin Aphrodite zu ihrem Geliebten. Der Kriegsgott Ares wurde darüber eifersüchtig und tötete Adonis, indem er sich in einen Eber verwandelte und ihn während einer Jagd tödlich verwundete.

Thorvaldsen stattet seinen Adonis wie die antiken Statuen mit einem kleinen
Penis aus: Bei den alten Griechen galt ein großer Penis als hässlich und wurde
mit Barbarentum, Wollust und Dummheit in Verbindung gebracht
Thorvaldsens nackter Adonis steht, mit der rechten Hüfte leicht an einen Baumstrunk gelehnt, im Kontrapost vor dem Betrachter. Der linke Arm ist angewinkelt auf die Hüfte gestützt, die Rechte umfasst einen Speer, dessen Spitze den Boden berührt. Adonis hat den Kopf nach rechts gewendet und leicht geneigt; im halblangen, kräftig gelockten Haar trägt er eine Binde. Der Blick ist schräg nach unten gerichtet, der Gesichtsausdruck wirkt ernst und in sich gekehrt. Adonis hat die Chlamys abgelegt und an den Baumstumpf gehängt, ebenso seine Jagdbeute an einen vorstehenden Ast, einen Hasen mit zusammengebundenen Hinterläufen.

Antonio Canova: Adonis und Aphrodite (1794);
Possagno, Museo Gypsotheca Antonio Canova
Anders als Canova, dessen Adonis von 1794 als schlanker Ephebe dargestellt ist, formt Thorvaldsen seine Figur männlicher und erwachsener, jugendlich zwar, aber mit einem athletisch voll ausgebildeten Körper. Darüber hinaus versieht er seinen Adonis mit einem melancholisch-sinnenden Gesichtsausdruck. Das unterscheidet ihn erkennbar von Thorvaldsens Jason, der deutlich heroischer angelegt ist. Der gesenkte Blick des Adonis könnte dabei auf das Schicksal des jungen Mannes und damit auf seinen gewaltsamen Tod verweisen.

Thorvaldsens Skulpturen waren bei Auftraggebern in ganz Europa begehrt, sodass der Bildhauer die Nachfrage nur durch einen großen Werkstattbetrieb befriedigen konnte. Er entwickelte in seinen Ateliers mit zahlreichen, speziell qualifizierten Mitarbeitern ein arbeitsteiliges Produktionsverfahren: Thorvaldsen selbst zeichnete und modellierte Bozzetti in Ton, die von anderen zu originalgroßen Tonmodellen ausgearbeitet und in Gips ausgegossen wurden. Diese Gipse standen fortan als Originalmodelle zur Reproduktion in Marmor durch Mitarbeiter und Schüler zur Verfügung. Thorvaldsens Ateliers, in denen die Modelle und halbfertigen Werke ausgestellt, vervielfältigt und bearbeitet wurden, standen auf der Liste jedes Romreisenden. Reiche Büger, Adlige und der Klerus besuchten den „nordischen Phidias“ und wünschten, einen „Thorvaldsen“ zu besitzen. Das rief auch die Kunstindustrie auf den Plan: In Miniaturausgaben einzelner Werke in Bronze, in Nachbildungen aus Biskuitporzellan, mit Gipsen, Gemälden, Kupferstichen, Eisengusstellern und Prunkvasen fanden die Meisterwerke Thorvaldsens Eingang in viele Haushalte. Dem Kitsch öffneten sich Tür und Tor.

Thorvaldsens rationelle Werkstattorganisation wirkte vorbildhaft und wurde durch zahlreiche Schuler, etwa Ludwig Schwanthaler (1802–1848), verbreitet. Die große Produktivität und effiziente Arbeitsteilung machten ihn zum wohlhabenden Mann. Allerdings war diese Arbeitsweise nicht unbedingt ein Garant für eine zügige Lieferung – es erging auch anderen Auftraggebern wie König Ludwig I.: Der englische Bankier Thomas Hope, der bei Thorvaldsen 1803 eine Marmorausführung der in Gips gegossenen Jason-Statue bestellte (und dem Bildhauer damit den Verbleib in Rom ermöglichte), musste auf seine Skulptur sogar 25 Jahre warten.

Bertel Thorvaldsen: Maximilian I. (1835/1839); München, Wittelsbacher Platz
Für den bayerischen König schuf Thorvaldsen neben seiner Büster dem Adonis außerdem noch das Reiterdenkmal des Kurfürsten Maximilian I. auf dem Wittelsbacher Platz in München. Das Modell dazu vollendete er 1835; 1839 wurde es in Bronze gegossen. Im Auftrag von Ludwigs Schwester Auguste schuf Thorvaldsen in Verbindung mit seinem Schüler Pietro Tenerani die Skulpturen am Kenotaph von deren Ehemann Eugène de Beauharnais in der Michaelskirche. Der Auftrag erfolgte 1824, enthüllt wurde das Monument 1830.

 

Literaturhinweise

Bayerische Staatsgemäldesammlungen München (Hrsg.): Bayerische Staatsgemäldesammlungen. Neue Pinakothek. Katalog der Skulpturen – Band I: Die Sammlung Ludwigs I. Deutscher Kunstverlag, Berlin und München 2021, S. 297-307;

Birkedal Hartmann, Jörgen: Gesenktes Haupt und Emporblicken. Neue Beiträge zu Thorvaldsens Antikenrezeption. In: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 22 (1985), 209–234.

Winckelmann, Johann Joachim: Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Malerey und Bildhauer-Kunst. Dresden 1755;

Wünsche, Raimund: „Perikles“ sucht „Pheidias“. Ludwig I. und Thorvaldsen. In: Gerhard Bott/Heinz Spielmann (Hrsg.), Künstlerleben in Rom. Bertel Thorvaldsen (1770–1844. Der dänische Bildhauer und seine deutschen Freunde. Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 1991, S. 307-326.

 


Sonntag, 1. August 2021

Der Kreuzzug des Drachentöters – Albrecht Dürers Kupferstiche des hl. Georg

Albrecht Dürer: Der hl. Georg zu Pferd (1505/08); Kupferstich

Dies ist ein Heiligenbildchen. Aber eins von Albrecht Dürer (1471–1528), und es lohnt sich deswegen, etwas genauer hinzuschauen. Der 10,6 x 8,3 cm kleine Kupferstich zeigt den hl. Georg auf seinem Pferd nach siegreich bestandenem Kampf gegen den Drachen. Vor hellem Hintergrund, in engem Bildausschnitt schräg von hinten gesehen und nah an den Vordergrund gerückt, erheben sich Ross und Reiter denkmalhaft auf einem schmalen Bodenstreifen, auf dem hingestreckt das erlegte Untier liegt. In andächtig gesammelter Haltung – den Rücken durchgedrückt, die Beine in die Steigbügel gestemmt, die Zügel straff geführt – blickt der gerüstete Ritter im verlorenen Profil und mit hoch erhobenem Kopf in die Ferne. „Radiale Strahlen um sein behelmtes Haupt künden vom dankbaren Zwiegespräch mit Gott“ (Scherbaum 2001, S. 116). Quer über dem Sattel hält er seine Lanze mit der Kreuzfahne; Spuren des Kampfes sind an ihm nicht zu erkennen, auch sein Pferd ist in völliger Ruhe dargestellt.

Der römische Offizier Georg wurde der Legende nach um Anfang des 4. Jahrhunderts wegen seines christlichen Glaubens zu Tode gefoltert. Die Erzählung vom Drachentöter Georg kam dann im 11. Jahrhundert auf, fand aber erst mit der Legenda aurea des Jacobus de Voragine größere Verbreitung und bestimmte fortan maßgeblich das Bild des Heiligen. Dass der hl. Georg im späten 14. Jahrhundert in die Runde der 14 Nothelfer aufgenommen wurde, verhalf seiner Verehrung in breiteren, auch ländlichen Schichten schließlich zum Durchbruch.

Die Legenda aurea berichtet von einem blutrünstigen Drachen, der die Stadt Silena in Libyen tyrannisierte. Zur Besänftigung mussten ihm die Bewohner Schafe und Menschen opfern. Als das Los auf die Königstochter fiel, weigerte sich der König zunächst, sein Kind dem Drachen auszuliefern. Er musste sich jedoch dem Druck seiner Untertanen beugen, die dieses Opfer forderten. Schließlich brachte er seine Tochter zu dem Drachen, der an einem See hauste. Dort kam der hl. Georg vorbei, sah die verzweifelte Prinzessin und eilte ihr zu Hilfe. Er ritt gegen den Drachen und machte ihn mit einem kräftigen Lanzenstoß kampfunfähig. Auf seine Anweisung hin führte die Prinzessin den verletzten Drachen an ihrem Halsband zurück in die Stadt. Aus Angst wollten die Bewohner fliehen, doch der hl. Georg sagte ihnen, er sei von Gott gesandt, um die Stadt zu erlösen. Als Bedingung für die Tötung des Drachens forderte er die Bekehrung der Bevölkerung zum Christentum. So ließen sich der König und alle Untertanen taufen.

Albrecht Dürer: Der hl. Georg und der Drache (1504); Holzschnitt
Die Legenda aurea erwähnt am Ende noch, mancherorts sei zu lesen, „daß Georg, als der Drache kam, um das Mädchen zu fressen, sich mit dem Kreuz wappnete, den Drachen angriff und tötete“ (de Voragine 2014, S. 817). Der hier angedeutete tödliche Kampf mit dem Drachen setzte sich in der bildenden Kunst gegenüber der weniger dramtischen Halsband-Version überwiegend durch. 1504 hatte Dürer die Vorlage für einen künstlerisch weniger anspruchsvollen Holzschnitt gezeichnet, die den berittenen Georg im Kampf mit dem Drachen zeigt; der Kupferstich präsentiert dagegen einen neuen ikonografischen Typus: den Georg „triumphans“. Diesen Typus hatte Dürer bereits 1502/03 in einem ebenfalls kleinformatigen Kupferstich stehend dargestellt.

Das kräftige, aber korrekt proportionierte Streitross des hl. Georg erscheint durch die Schrägansicht perspektivisch leicht verkürzt. Das Tier streckt die Hinterbeine leicht nach hinten und verlagert sein Gewicht auf die Vorderbeine – eine gut beobachtete Pferdehaltung. Das Fell des beschlagenen Pferdes ist gestriegelt, die Mähne gekämmt, der Schweif kupiert, sodass er in zwei Strähnen nach unten fällt. Hier und am Stirnschopf ist das Ross als Zeichen des Sieges mit Eichenlaub geschmückt. Der Ritter in Reiterharnisch und Helm des späten 15. Jahrhunderts, geschlitztem Lederwams und Lederstulpen ist zeitgenössisch gekleidet. Beeindruckend ist Dürers Fähigkeit, die stoffliche Beschaffenheit der einzelnen Oberflächen nachzubilden: das hart-glänzende Metall der Rüstung, der weich fallende Stoff der Kreuzfahne, die schwere Satteldecke, die strähnig-glatte Mähne des Pferdes und sein samtig schimmerndes Fell.

Albrecht Dürer: Der Reiter (Aquarellstudie, 1498); Wien, Albertina
Albrecht Dürer: Das Große Pferd (1505); Kupferstich
Albrecht Dürer: Ritter, Tod und Teufel (1513); Kupferstich
Dürers Kupferstich liegt eine Aquarellstudie in der Wiener Albertina zugrunde. Zaum und Putz des Pferdes, die Rüstung des Reiters und wie er die Lanze hält sind hier vorbereitet. Die Sicht von hinten auf das schräg in den Raum gestellte, den Bildraum füllende Ross erinnert mit seiner ungewöhnlichen Perspektive an das Große Pferd von 1506 (siehe meinen Post „Dürers Pferde“). Auch dem Meisterstich Ritter, Tod und Teufel von 1513 steht das Georgspferd sehr nahe. So wiederholt sich der Putz an Kopf und Schwanz nahezu wörtlich auf dem berühmten späteren Blatt. Das Datum des Stichs zeigt eine Korrektur: Nach allgemeiner Einschätzung wurde das Blatt noch vor Dürers zweiter Italienreise (1505 bis 1507) begonnen, aber erst nach seiner Rückkehr nach Nürnberg vollendet und die „5“ der bereits gestochenen Datierung in eine „8“ geändert.

Albrecht Dürer: Der hl. Georg zu Fuß (1502/03); Kupferstich
In dem früheren Kupferstich steht der hl. Georg in leichtem Kontrapost und ganzer Figur wie ein Standbild auf einer Anhöhe. Während im Hl. Georg zu Pferd auf die Andeutung einer Landschaft völlig verzichtet wird, weitet sich hier der Blick im Hintergrund auf einen großen See mit Segelschiffen, an dessen diesseitigem Ufer eine Stadt liegt. Der hl. Georg blickt im Halbprofil nach rechts aus dem Bild; die linke geöffnete Hand am angewinkelten Arm ist im Redegestus ausgestreckt, ohne dass für den Betrachter ein Gegenüber erkennbar wird. Der Ritter ist als reifer, bärtiger Mann dargestellt; er trägt einen modernen, schimmernden Reiterharnisch der Zeit um 1500 und hat nach vollbrachter Tat seinen federgeschmückten Helm abgelegt: Der besiegte Drache, eine geflügelte Riesenechse, liegt ausgestreckt auf dem Rücken zu seinen Füßen. Das Untier streckt seine vier Krallenfüße weit von sich; sein Körper zeigt mehrere Verletzungen, von denen die klaffende Schwertwunde am Hals wohl tödlich gewesen sein dürfte.

Ein altertümlicher Scheibennimbus umgibt das von einer Netzhaube mit Schweißband bedeckte Haupt des Heiligen. Zwei Diagonalen durchkreuzen die strenge Vertikale der Gestalt: ein langes, beidhändig zu führendes Schwert, das der hl. Georg zur Linken trägt, und eine Turnierlanze mit dem Kreuzbanner, das er im rechten Arm hält. Nicht der im Kampf siegreiche Held wird uns hier präsentiert, sondern die Erinnerung an diesen Kampf – der hl. Georg posiert regelrecht „wie ein moderner Jäger vor seiner Beute für die Nachwelt“ (Schneider 1999, S. 36). Im Typus der denkmalhaft isolierten, geharnischten Standfigur des hl. Georg steht Dürers Kupferstich Andrea Mantegnas (1431–1506) Gemälde in der Accademia in Venedig näher als seiner eigenen Darstellung auf dem linken Flügel des Paumgartner-Altars (nach 1503 entstanden).

Andrea Mantegna: Hl. Georg (um 1460);
Venedig, Accademia

Das Banner mit dem Kreuz im Kreis stellt Dürers Grafik in einen konkreten politisch-historischen Kontext, da es sich um das Banner des St. Georgs-Ritterorden handelt. 1469 von Kaiser Friedrich III. (1440–1493) gegründet, wurde der Orden von seinem Sohn Maximilian I. (1493–1519) entschieden gefördert und erweitert. Zusammen mit der 1493 gegründeten Georgs-Bruderschaft und der 1503 ins Leben gerufenen Georgs-Gesellschaft wurde der Orden zum Träger seiner Idee eines Kreuzzuges gegen die Türken. Als Inbegriff des christlichen Ritters im Kampf gegen den „mohammedanischen Trach“ (Unverfehrt 1997, S. 252) wurde Georg zum Schutzpatron des Kaisers – und nahm damit in der zeitgenössischen Frömmigkeit und politischen Propaganda eine herausragende Rolle ein. Diesem Zweck dient auch Dürers erster Georgs-Kupferstich. Es ist mitnichten ein Andachtsbild zur gläubigen Anrufung des spätantiken Märtyrers. Die Legende des Drachentöters wird mit der um 1500 aktuellen Bedrohung durch die Osmanen verknüpft: So wie Georg den Drachen siegreich bekämpfte, genauso werden die christlichen Ritter in seinem Namen die Ungläubigen besiegen. 1501/02 erreichte die Kreuzzugsagitation des Kaisers ihren Höhepunkt – mit dem Waffenstillstand zwischen Venedig und den Osmanen im Dezember 1502 und dem Friedensvertrag vom Mai des folgenden Jahres war der latente Türkenkrieg allerdings fürs Erste beendet.

Meister H L: Der hl. Georg als Sieger über den Drachen
(um 1522); Kupferstich

Um 1522 hat der Meister H L einen Kupferstich mit dem Hl. Georg als Sieger über den Drachen angefertigt, der sich erkennbar an Dürers Hl. Georg zu Fuß anlehnt. Das Blatt folgt dem Vorbild nicht nur im Typus, sondern auch in Details, etwa dem toten Drachen, der von unten zu sehen ist und dessen Schwanzspitze vom linken Bildrand überschnitten wird; links unten, wo auf Dürers Stich das Monogramm-Täfelchen liegt, hat auch der Meister H L das seinige platziert. Während Dürer aber den hl. Georg auf einer Anhöhe zeigt, stellt der spätere Kupferstich ihn vor eine Ruine und dichte Bäume, so dass der dunkle Hintergrund die helle Figur plastisch hervortreten lässt (darin wiederum mit Dürers Adam und Eva-Kupferstich von 1504 vergleichbar).

Andrea Mantegna: Das Bacchanal mit Weinkelter (1475); Kupferstich
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Von Dürers Vorbild weicht auch der Ritter selbst ab: Die Rüstung mit antikischem Brustpanzer, auf dem die Taube des Heiligen Geistes zu sehen ist, wirkt mit seinen Ornamenten und einer einer Helmzier aus Federn fast überladen. Obwohl der Drache mit durchbohrtem Hals und herausquellenden Gedärmen tot hinter ihm liegt, ist der Held noch immer vom Furor des Kämpfes gepackt, was auch die wehenden Gewandzipfel unterstreichen: Grimmig blickend, hat er das Zweihandschwert erhoben. Diese in Untersicht wiedergegebene Pose, die inhaltlich unmotiviert erscheint, ist durch eine weitere Übernahme zu erklären: der Figur des Bachus aus dem Kupferstich Das Bacchanal mit Weinkelter von Andrea Mantegna (1431–1506). Auch von diesem Vorbild weicht der Meister H L etwas ab, indem er die Armhaltung spiegelt und den hl. Georg wesentlich stämmiger zeigt als Mantegnas schlanke Figur.

 

Literaturhinweise

de Voragine, Jacobus: Legenda aurea. Erster Teilband. Einleitung, Edition, Übersetzung und Kommentar von Bruno W. Häuptli. Verlag Herder, Freiburg i.Br. 2014, S. 811-823;

Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen in Baden-Württemberg 32 (1995), S. 174-176;

Schneider, Erich (Hrsg.): Dürer – Die Kunst aus der Natur zu „reyssenn“. Welt, Natur und Raum in der Druckgraphik. Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen aus der Sammlung-Otto–Schäfer-II. Schweinfurt 1997, S. 68;

Schneider, Erich (Hrsg.): Dürer – Himmel und Erde. Gottes- und Menschenbild in Dürers druckgraphischem Werk. Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen aus der Sammlung-Otto–Schäfer-II. Schweinfurt 1999, S. 36;

Scherbaum, Anna: Der heilige Georg zu Pferd, 1505/08. In: Mende, Matthias u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band I: Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München 2000, S. 116-117;

Schoch, Reiner: Der heilige Georg zu Fuß, 1502/03. In: Mende, Matthias u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band I: Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München 2000, S. 100-101;

Unverfehrt, Gerd (Hrsg.): Dürers Dinge. Einblattgraphik und Buchillustrationen Albrecht Dürers aus dem Besitz der Georg-August-Universität Göttingen. Kunstsammlung der Universität Göttingen 1997, S. 250-254.

 

(zuletzt bearbeitet am 14. August 2024)