Sonntag, 1. August 2021

Der Kreuzzug des Drachentöters – Albrecht Dürers Kupferstiche des hl. Georg

Albrecht Dürer: Der hl. Georg zu Pferd (1505/08); Kupferstich

Dies ist ein Heiligenbildchen. Aber eins von Albrecht Dürer (1471–1528), und es lohnt sich deswegen, etwas genauer hinzuschauen. Der 10,6 x 8,3 cm kleine Kupferstich zeigt den hl. Georg auf seinem Pferd nach siegreich bestandenem Kampf gegen den Drachen. Vor hellem Hintergrund, in engem Bildausschnitt schräg von hinten gesehen und nah an den Vordergrund gerückt, erheben sich Ross und Reiter denkmalhaft auf einem schmalen Bodenstreifen, auf dem hingestreckt das erlegte Untier liegt. In andächtig gesammelter Haltung – den Rücken durchgedrückt, die Beine in die Steigbügel gestemmt, die Zügel straff geführt – blickt der gerüstete Ritter im verlorenen Profil und mit hoch erhobenem Kopf in die Ferne. „Radiale Strahlen um sein behelmtes Haupt künden vom dankbaren Zwiegespräch mit Gott“ (Scherbaum 2001, S. 116). Quer über dem Sattel hält er seine Lanze mit der Kreuzfahne; Spuren des Kampfes sind an ihm nicht zu erkennen, auch sein Pferd ist in völliger Ruhe dargestellt.

Der römische Offizier Georg wurde der Legende nach um Anfang des 4. Jahrhunderts wegen seines christlichen Glaubens zu Tode gefoltert. Die Erzählung vom Drachentöter Georg kam dann im 11. Jahrhundert auf, fand aber erst mit der Legenda aurea des Jacobus de Voragine größere Verbreitung und bestimmte fortan maßgeblich das Bild des Heiligen. Dass der hl. Georg im späten 14. Jahrhundert in die Runde der 14 Nothelfer aufgenommen wurde, verhalf seiner Verehrung in breiteren, auch ländlichen Schichten schließlich zum Durchbruch.

Die Legenda aurea berichtet von einem blutrünstigen Drachen, der die Stadt Silena in Libyen tyrannisierte. Zur Besänftigung mussten ihm die Bewohner Schafe und Menschen opfern. Als das Los auf die Königstochter fiel, weigerte sich der König zunächst, sein Kind dem Drachen auszuliefern. Er musste sich jedoch dem Druck seiner Untertanen beugen, die dieses Opfer forderten. Schließlich brachte er seine Tochter zu dem Drachen, der an einem See hauste. Dort kam der hl. Georg vorbei, sah die verzweifelte Prinzessin und eilte ihr zu Hilfe. Er ritt gegen den Drachen und machte ihn mit einem kräftigen Lanzenstoß kampfunfähig. Auf seine Anweisung hin führte die Prinzessin den verletzten Drachen an ihrem Halsband zurück in die Stadt. Aus Angst wollten die Bewohner fliehen, doch der hl. Georg sagte ihnen, er sei von Gott gesandt, um die Stadt zu erlösen. Als Bedingung für die Tötung des Drachens forderte er die Bekehrung der Bevölkerung zum Christentum. So ließen sich der König und alle Untertanen taufen.

Albrecht Dürer: Der hl. Georg und der Drache (1504); Holzschnitt
Die Legenda aurea erwähnt am Ende noch, mancherorts sei zu lesen, „daß Georg, als der Drache kam, um das Mädchen zu fressen, sich mit dem Kreuz wappnete, den Drachen angriff und tötete“ (de Voragine 2014, S. 817). Der hier angedeutete tödliche Kampf mit dem Drachen setzte sich in der bildenden Kunst gegenüber der weniger dramtischen Halsband-Version überwiegend durch. 1504 hatte Dürer die Vorlage für einen künstlerisch weniger anspruchsvollen Holzschnitt gezeichnet, die den berittenen Georg im Kampf mit dem Drachen zeigt; der Kupferstich präsentiert dagegen einen neuen ikonografischen Typus: den Georg „triumphans“. Diesen Typus hatte Dürer bereits 1502/03 in einem ebenfalls kleinformatigen Kupferstich stehend dargestellt.

Das kräftige, aber korrekt proportionierte Streitross des hl. Georg erscheint durch die Schrägansicht perspektivisch leicht verkürzt. Das Tier streckt die Hinterbeine leicht nach hinten und verlagert sein Gewicht auf die Vorderbeine – eine gut beobachtete Pferdehaltung. Das Fell des beschlagenen Pferdes ist gestriegelt, die Mähne gekämmt, der Schweif kupiert, sodass er in zwei Strähnen nach unten fällt. Hier und am Stirnschopf ist das Ross als Zeichen des Sieges mit Eichenlaub geschmückt. Der Ritter in Reiterharnisch und Helm des späten 15. Jahrhunderts, geschlitztem Lederwams und Lederstulpen ist zeitgenössisch gekleidet. Beeindruckend ist Dürers Fähigkeit, die stoffliche Beschaffenheit der einzelnen Oberflächen nachzubilden: das hart-glänzende Metall der Rüstung, der weich fallende Stoff der Kreuzfahne, die schwere Satteldecke, die strähnig-glatte Mähne des Pferdes und sein samtig schimmerndes Fell.

Albrecht Dürer: Der Reiter (Aquarellstudie, 1498); Wien, Albertina
Albrecht Dürer: Das Große Pferd (1505); Kupferstich
Albrecht Dürer: Ritter, Tod und Teufel (1513); Kupferstich
Dürers Kupferstich liegt eine Aquarellstudie in der Wiener Albertina zugrunde. Zaum und Putz des Pferdes, die Rüstung des Reiters und wie er die Lanze hält sind hier vorbereitet. Die Sicht von hinten auf das schräg in den Raum gestellte, den Bildraum füllende Ross erinnert mit seiner ungewöhnlichen Perspektive an das Große Pferd von 1506 (siehe meinen Post „Dürers Pferde“). Auch dem Meisterstich Ritter, Tod und Teufel von 1513 steht das Georgspferd sehr nahe. So wiederholt sich der Putz an Kopf und Schwanz nahezu wörtlich auf dem berühmten späteren Blatt. Das Datum des Stichs zeigt eine Korrektur: Nach allgemeiner Einschätzung wurde das Blatt noch vor Dürers zweiter Italienreise (1505 bis 1507) begonnen, aber erst nach seiner Rückkehr nach Nürnberg vollendet und die „5“ der bereits gestochenen Datierung in eine „8“ geändert.

Albrecht Dürer: Der hl. Georg zu Fuß (1502/03); Kupferstich
In dem früheren Kupferstich steht der hl. Georg in leichtem Kontrapost und ganzer Figur wie ein Standbild auf einer Anhöhe. Während im Hl. Georg zu Pferd auf die Andeutung einer Landschaft völlig verzichtet wird, weitet sich hier der Blick im Hintergrund auf einen großen See mit Segelschiffen, an dessen diesseitigem Ufer eine Stadt liegt. Der hl. Georg blickt im Halbprofil nach rechts aus dem Bild; die linke geöffnete Hand am angewinkelten Arm ist im Redegestus ausgestreckt, ohne dass für den Betrachter ein Gegenüber erkennbar wird. Der Ritter ist als reifer, bärtiger Mann dargestellt; er trägt einen modernen, schimmernden Reiterharnisch der Zeit um 1500 und hat nach vollbrachter Tat seinen federgeschmückten Helm abgelegt: Der besiegte Drache, eine geflügelte Riesenechse, liegt ausgestreckt auf dem Rücken zu seinen Füßen. Das Untier streckt seine vier Krallenfüße weit von sich; sein Körper zeigt mehrere Verletzungen, von denen die klaffende Schwertwunde am Hals wohl tödlich gewesen sein dürfte.

Ein altertümlicher Scheibennimbus umgibt das von einer Netzhaube mit Schweißband bedeckte Haupt des Heiligen. Zwei Diagonalen durchkreuzen die strenge Vertikale der Gestalt: ein langes, beidhändig zu führendes Schwert, das der hl. Georg zur Linken trägt, und eine Turnierlanze mit dem Kreuzbanner, das er im rechten Arm hält. Nicht der im Kampf siegreiche Held wird uns hier präsentiert, sondern die Erinnerung an diesen Kampf – der hl. Georg posiert regelrecht „wie ein moderner Jäger vor seiner Beute für die Nachwelt“ (Schneider 1999, S. 36). Im Typus der denkmalhaft isolierten, geharnischten Standfigur des hl. Georg steht Dürers Kupferstich Andrea Mantegnas (1431–1506) Gemälde in der Accademia in Venedig näher als seiner eigenen Darstellung auf dem linken Flügel des Paumgartner-Altars (nach 1503 entstanden).

Andrea Mantegna: Hl. Georg (um 1460);
Venedig, Accademia

Das Banner mit dem Kreuz im Kreis stellt Dürers Grafik in einen konkreten politisch-historischen Kontext, da es sich um das Banner des St. Georgs-Ritterorden handelt. 1469 von Kaiser Friedrich III. (1440–1493) gegründet, wurde der Orden von seinem Sohn Maximilian I. (1493–1519) entschieden gefördert und erweitert. Zusammen mit der 1493 gegründeten Georgs-Bruderschaft und der 1503 ins Leben gerufenen Georgs-Gesellschaft wurde der Orden zum Träger seiner Idee eines Kreuzzuges gegen die Türken. Als Inbegriff des christlichen Ritters im Kampf gegen den „mohammedanischen Trach“ (Unverfehrt 1997, S. 252) wurde Georg zum Schutzpatron des Kaisers – und nahm damit in der zeitgenössischen Frömmigkeit und politischen Propaganda eine herausragende Rolle ein. Diesem Zweck dient auch Dürers erster Georgs-Kupferstich. Es ist mitnichten ein Andachtsbild zur gläubigen Anrufung des spätantiken Märtyrers. Die Legende des Drachentöters wird mit der um 1500 aktuellen Bedrohung durch die Osmanen verknüpft: So wie Georg den Drachen siegreich bekämpfte, genauso werden die christlichen Ritter in seinem Namen die Ungläubigen besiegen. 1501/02 erreichte die Kreuzzugsagitation des Kaisers ihren Höhepunkt – mit dem Waffenstillstand zwischen Venedig und den Osmanen im Dezember 1502 und dem Friedensvertrag vom Mai des folgenden Jahres war der latente Türkenkrieg allerdings fürs Erste beendet.

Meister H L: Der hl. Georg als Sieger über den Drachen
(um 1522); Kupferstich

Um 1522 hat der Meister H L einen Kupferstich mit dem Hl. Georg als Sieger über den Drachen angefertigt, der sich erkennbar an Dürers Hl. Georg zu Fuß anlehnt. Das Blatt folgt dem Vorbild nicht nur im Typus, sondern auch in Details, etwa dem toten Drachen, der von unten zu sehen ist und dessen Schwanzspitze vom linken Bildrand überschnitten wird; links unten, wo auf Dürers Stich das Monogramm-Täfelchen liegt, hat auch der Meister H L das seinige platziert. Während Dürer aber den hl. Georg auf einer Anhöhe zeigt, stellt der spätere Kupferstich ihn vor eine Ruine und dichte Bäume, so dass der dunkle Hintergrund die helle Figur plastisch hervortreten lässt (darin wiederum mit Dürers Adam und Eva-Kupferstich von 1504 vergleichbar).

Andrea Mantegna: Das Bacchanal mit Weinkelter (1475); Kupferstich
(für die Großansicht einfach anklicken)
Von Dürers Vorbild weicht auch der Ritter selbst ab: Die Rüstung mit antikischem Brustpanzer, auf dem die Taube des Heiligen Geistes zu sehen ist, wirkt mit seinen Ornamenten und einer einer Helmzier aus Federn fast überladen. Obwohl der Drache mit durchbohrtem Hals und herausquellenden Gedärmen tot hinter ihm liegt, ist der Held noch immer vom Furor des Kämpfes gepackt, was auch die wehenden Gewandzipfel unterstreichen: Grimmig blickend, hat er das Zweihandschwert erhoben. Diese in Untersicht wiedergegebene Pose, die inhaltlich unmotiviert erscheint, ist durch eine weitere Übernahme zu erklären: der Figur des Bachus aus dem Kupferstich Das Bacchanal mit Weinkelter von Andrea Mantegna (1431–1506). Auch von diesem Vorbild weicht der Meister H L etwas ab, indem er die Armhaltung spiegelt und den hl. Georg wesentlich stämmiger zeigt als Mantegnas schlanke Figur.

 

Literaturhinweise

de Voragine, Jacobus: Legenda aurea. Erster Teilband. Einleitung, Edition, Übersetzung und Kommentar von Bruno W. Häuptli. Verlag Herder, Freiburg i.Br. 2014, S. 811-823;

Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen in Baden-Württemberg 32 (1995), S. 174-176;

Schneider, Erich (Hrsg.): Dürer – Die Kunst aus der Natur zu „reyssenn“. Welt, Natur und Raum in der Druckgraphik. Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen aus der Sammlung-Otto–Schäfer-II. Schweinfurt 1997, S. 68;

Schneider, Erich (Hrsg.): Dürer – Himmel und Erde. Gottes- und Menschenbild in Dürers druckgraphischem Werk. Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen aus der Sammlung-Otto–Schäfer-II. Schweinfurt 1999, S. 36;

Scherbaum, Anna: Der heilige Georg zu Pferd, 1505/08. In: Mende, Matthias u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band I: Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München 2000, S. 116-117;

Schoch, Reiner: Der heilige Georg zu Fuß, 1502/03. In: Mende, Matthias u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band I: Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München 2000, S. 100-101;

Unverfehrt, Gerd (Hrsg.): Dürers Dinge. Einblattgraphik und Buchillustrationen Albrecht Dürers aus dem Besitz der Georg-August-Universität Göttingen. Kunstsammlung der Universität Göttingen 1997, S. 250-254.

 

(zuletzt bearbeitet am 14. August 2024)


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