Albrecht Dürer: Der hl. Georg zu Pferd (1505/08); Kupferstich |
Dies ist ein Heiligenbildchen. Aber eins von Albrecht Dürer (1471–1528), und es lohnt sich deswegen, etwas genauer hinzuschauen. Der 10,6 x 8,3 cm kleine Kupferstich zeigt den hl. Georg auf seinem Pferd nach siegreich bestandenem Kampf gegen den Drachen. Vor hellem Hintergrund, in engem Bildausschnitt schräg von hinten gesehen und nah an den Vordergrund gerückt, erheben sich Ross und Reiter denkmalhaft auf einem schmalen Bodenstreifen, auf dem hingestreckt das erlegte Untier liegt. In andächtig gesammelter Haltung – den Rücken durchgedrückt, die Beine in die Steigbügel gestemmt, die Zügel straff geführt – blickt der gerüstete Ritter im verlorenen Profil und mit hoch erhobenem Kopf in die Ferne. „Radiale Strahlen um sein behelmtes Haupt künden vom dankbaren Zwiegespräch mit Gott“ (Scherbaum 2001, S. 116). Quer über dem Sattel hält er seine Lanze mit der Kreuzfahne; Spuren des Kampfes sind an ihm nicht zu erkennen, auch sein Pferd ist in völliger Ruhe dargestellt.
Der römische Offizier Georg wurde der Legende nach um Anfang des 4. Jahrhunderts wegen seines christlichen Glaubens zu Tode gefoltert. Die Erzählung vom Drachentöter Georg kam dann im 11. Jahrhundert auf, fand aber erst mit der Legenda aurea des Jacobus de Voragine größere Verbreitung und bestimmte fortan maßgeblich das Bild des Heiligen. Dass der hl. Georg im späten 14. Jahrhundert in die Runde der 14 Nothelfer aufgenommen wurde, verhalf seiner Verehrung in breiteren, auch ländlichen Schichten schließlich zum Durchbruch.Die Legenda aurea berichtet von einem blutrünstigen Drachen, der die Stadt Silena in Libyen tyrannisierte. Zur Besänftigung mussten ihm die Bewohner Schafe und Menschen opfern. Als das Los auf die Königstochter fiel, weigerte sich der König zunächst, sein Kind dem Drachen auszuliefern. Er musste sich jedoch dem Druck seiner Untertanen beugen, die dieses Opfer forderten. Schließlich brachte er seine Tochter zu dem Drachen, der an einem See hauste. Dort kam der hl. Georg vorbei, sah die verzweifelte Prinzessin und eilte ihr zu Hilfe. Er ritt gegen den Drachen und machte ihn mit einem kräftigen Lanzenstoß kampfunfähig. Auf seine Anweisung hin führte die Prinzessin den verletzten Drachen an ihrem Halsband zurück in die Stadt. Aus Angst wollten die Bewohner fliehen, doch der hl. Georg sagte ihnen, er sei von Gott gesandt, um die Stadt zu erlösen. Als Bedingung für die Tötung des Drachens forderte er die Bekehrung der Bevölkerung zum Christentum. So ließen sich der König und alle Untertanen taufen.
Albrecht Dürer: Der hl. Georg und der Drache (1504); Holzschnitt |
Das kräftige, aber korrekt proportionierte Streitross des hl. Georg erscheint durch die Schrägansicht perspektivisch leicht verkürzt. Das Tier streckt die Hinterbeine leicht nach hinten und verlagert sein Gewicht auf die Vorderbeine – eine gut beobachtete Pferdehaltung. Das Fell des beschlagenen Pferdes ist gestriegelt, die Mähne gekämmt, der Schweif kupiert, sodass er in zwei Strähnen nach unten fällt. Hier und am Stirnschopf ist das Ross als Zeichen des Sieges mit Eichenlaub geschmückt. Der Ritter in Reiterharnisch und Helm des späten 15. Jahrhunderts, geschlitztem Lederwams und Lederstulpen ist zeitgenössisch gekleidet. Beeindruckend ist Dürers Fähigkeit, die stoffliche Beschaffenheit der einzelnen Oberflächen nachzubilden: das hart-glänzende Metall der Rüstung, der weich fallende Stoff der Kreuzfahne, die schwere Satteldecke, die strähnig-glatte Mähne des Pferdes und sein samtig schimmerndes Fell.
Albrecht Dürer: Der Reiter (Aquarellstudie, 1498); Wien, Albertina |
Albrecht Dürer: Das Große Pferd (1505); Kupferstich |
Albrecht Dürer: Ritter, Tod und Teufel (1513); Kupferstich |
Albrecht Dürer: Der hl. Georg zu Fuß (1502/03); Kupferstich |
Ein altertümlicher Scheibennimbus umgibt das von einer Netzhaube mit Schweißband bedeckte Haupt des Heiligen. Zwei Diagonalen durchkreuzen die strenge Vertikale der Gestalt: ein langes, beidhändig zu führendes Schwert, das der hl. Georg zur Linken trägt, und eine Turnierlanze mit dem Kreuzbanner, das er im rechten Arm hält. Nicht der im Kampf siegreiche Held wird uns hier präsentiert, sondern die Erinnerung an diesen Kampf – der hl. Georg posiert regelrecht „wie ein moderner Jäger vor seiner Beute für die Nachwelt“ (Schneider 1999, S. 36). Im Typus der denkmalhaft isolierten, geharnischten Standfigur des hl. Georg steht Dürers Kupferstich Andrea Mantegnas (1431–1506) Gemälde in der Accademia in Venedig näher als seiner eigenen Darstellung auf dem linken Flügel des Paumgartner-Altars (nach 1503 entstanden).
Andrea Mantegna: Hl. Georg (um 1460); Venedig, Accademia |
Das Banner mit dem Kreuz im Kreis stellt Dürers Grafik in einen konkreten politisch-historischen Kontext, da es sich um das Banner des St. Georgs-Ritterorden handelt. 1469 von Kaiser Friedrich III. (1440–1493) gegründet, wurde der Orden von seinem Sohn Maximilian I. (1493–1519) entschieden gefördert und erweitert. Zusammen mit der 1493 gegründeten Georgs-Bruderschaft und der 1503 ins Leben gerufenen Georgs-Gesellschaft wurde der Orden zum Träger seiner Idee eines Kreuzzuges gegen die Türken. Als Inbegriff des christlichen Ritters im Kampf gegen den „mohammedanischen Trach“ (Unverfehrt 1997, S. 252) wurde Georg zum Schutzpatron des Kaisers – und nahm damit in der zeitgenössischen Frömmigkeit und politischen Propaganda eine herausragende Rolle ein. Diesem Zweck dient auch Dürers erster Georgs-Kupferstich. Es ist mitnichten ein Andachtsbild zur gläubigen Anrufung des spätantiken Märtyrers. Die Legende des Drachentöters wird mit der um 1500 aktuellen Bedrohung durch die Osmanen verknüpft: So wie Georg den Drachen siegreich bekämpfte, genauso werden die christlichen Ritter in seinem Namen die Ungläubigen besiegen. 1501/02 erreichte die Kreuzzugsagitation des Kaisers ihren Höhepunkt – mit dem Waffenstillstand zwischen Venedig und den Osmanen im Dezember 1502 und dem Friedensvertrag vom Mai des folgenden Jahres war der latente Türkenkrieg allerdings fürs Erste beendet.
Meister H L: Der hl. Georg als Sieger über den Drachen (um 1522); Kupferstich |
Um 1522 hat der
Meister H L einen Kupferstich mit dem Hl. Georg als Sieger über den Drachen
angefertigt, der sich erkennbar an Dürers Hl. Georg zu Fuß anlehnt. Das Blatt
folgt dem Vorbild nicht nur im Typus, sondern auch in Details, etwa dem toten
Drachen, der von unten zu sehen ist und dessen Schwanzspitze vom linken
Bildrand überschnitten wird; links unten, wo auf Dürers Stich das
Monogramm-Täfelchen liegt, hat auch der Meister H L das seinige platziert.
Während Dürer aber den hl. Georg auf einer Anhöhe zeigt, stellt der spätere
Kupferstich ihn vor eine Ruine und dichte Bäume, so dass der dunkle Hintergrund
die helle Figur plastisch hervortreten lässt (darin wiederum mit Dürers Adam und Eva-Kupferstich von 1504 vergleichbar).
Andrea Mantegna: Das Bacchanal mit Weinkelter (1475); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Literaturhinweise
de Voragine, Jacobus: Legenda aurea. Erster Teilband. Einleitung, Edition, Übersetzung und Kommentar von Bruno W. Häuptli. Verlag Herder, Freiburg i.Br. 2014, S. 811-823;
Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen in Baden-Württemberg 32 (1995), S. 174-176;
Schneider, Erich (Hrsg.): Dürer – Die Kunst aus der Natur zu „reyssenn“. Welt, Natur und Raum in der Druckgraphik. Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen aus der Sammlung-Otto–Schäfer-II. Schweinfurt 1997, S. 68;
Schneider, Erich (Hrsg.): Dürer – Himmel und Erde. Gottes- und Menschenbild in Dürers druckgraphischem Werk. Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen aus der Sammlung-Otto–Schäfer-II. Schweinfurt 1999, S. 36;
Scherbaum, Anna: Der heilige Georg zu Pferd, 1505/08. In: Mende, Matthias u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band I: Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München 2000, S. 116-117;
Schoch, Reiner: Der heilige Georg zu Fuß, 1502/03. In: Mende, Matthias u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band I: Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München 2000, S. 100-101;
Unverfehrt, Gerd (Hrsg.): Dürers Dinge. Einblattgraphik und Buchillustrationen Albrecht Dürers aus dem Besitz der Georg-August-Universität Göttingen. Kunstsammlung der Universität Göttingen 1997, S. 250-254.
(zuletzt bearbeitet am 14. August 2024)
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