Bertel Thorvaldsen: Adonis (1808/1831); München, Neue Pinakothek (für die Großansicht einfach anklicken) |
Bertel Thorvaldsen: Jason mit dem Goldenen Vließ (1803); Kopenhagen, Thorvaldsen Museum |
Die kunstinteressierte Welt war trunken von dem neuen Ideal. Zahlreiche Romreisende und Kunstagenten studierten die Antike, kauften alte Kunstwerke und bei den hier arbeitenden Malern und Bildhauern Ansichten der Stadt und der Umgebung oder Marmorbildwerke antiker Themen. Der Markt florierte. Der wichtigste Repräsentant des klassizistischen Stils war der italienische Bildhauer Antonio Canova (1757–1822), der seit 1779 in Rom arbeitete. Ihm folgten 1785 die beiden deutschen Bildhauer Johann Heinrich Dannecker (1758–1841) und Johann Gottfried Schadow (1764–1850), 1792 der deutsche Maler Asmus Jokob Carstens (1754–1798) und fünf Jahre später schließlich Thorvaldsen. Diese Künstler verhalfen dem Klassizismus zu einem unvergleichlichen Siegeszug durch die Welt.
Bertel Thorvaldsen: Büste Ludwigs I. als Kronprinz (1818); München, Glyptothek |
Thorvaldsens nackter Adonis steht, mit der rechten Hüfte leicht an einen Baumstrunk gelehnt, im Kontrapost vor dem Betrachter. Der linke Arm ist angewinkelt auf die Hüfte gestützt, die Rechte umfasst einen Speer, dessen Spitze den Boden berührt. Adonis hat den Kopf nach rechts gewendet und leicht geneigt; im halblangen, kräftig gelockten Haar trägt er eine Binde. Der Blick ist schräg nach unten gerichtet, der Gesichtsausdruck wirkt ernst und in sich gekehrt. Adonis hat die Chlamys abgelegt und an den Baumstumpf gehängt, ebenso seine Jagdbeute an einen vorstehenden Ast, einen Hasen mit zusammengebundenen Hinterläufen.
Antonio Canova: Adonis und Aphrodite (1794); Possagno, Museo Gypsotheca Antonio Canova |
Thorvaldsens Skulpturen waren bei Auftraggebern in ganz Europa begehrt, sodass der Bildhauer die Nachfrage nur durch einen großen Werkstattbetrieb befriedigen konnte. Er entwickelte in seinen Ateliers mit zahlreichen, speziell qualifizierten Mitarbeitern ein arbeitsteiliges Produktionsverfahren: Thorvaldsen selbst zeichnete und modellierte Bozzetti in Ton, die von anderen zu originalgroßen Tonmodellen ausgearbeitet und in Gips ausgegossen wurden. Diese Gipse standen fortan als Originalmodelle zur Reproduktion in Marmor durch Mitarbeiter und Schüler zur Verfügung. Thorvaldsens Ateliers, in denen die Modelle und halbfertigen Werke ausgestellt, vervielfältigt und bearbeitet wurden, standen auf der Liste jedes Romreisenden. Reiche Büger, Adlige und der Klerus besuchten den „nordischen Phidias“ und wünschten, einen „Thorvaldsen“ zu besitzen. Das rief auch die Kunstindustrie auf den Plan: In Miniaturausgaben einzelner Werke in Bronze, in Nachbildungen aus Biskuitporzellan, mit Gipsen, Gemälden, Kupferstichen, Eisengusstellern und Prunkvasen fanden die Meisterwerke Thorvaldsens Eingang in viele Haushalte. Dem Kitsch öffneten sich Tür und Tor.
Thorvaldsens rationelle Werkstattorganisation wirkte vorbildhaft und wurde durch zahlreiche Schuler, etwa Ludwig Schwanthaler (1802–1848), verbreitet. Die große Produktivität und effiziente Arbeitsteilung machten ihn zum wohlhabenden Mann. Allerdings war diese Arbeitsweise nicht unbedingt ein Garant für eine zügige Lieferung – es erging auch anderen Auftraggebern wie König Ludwig I.: Der englische Bankier Thomas Hope, der bei Thorvaldsen 1803 eine Marmorausführung der in Gips gegossenen Jason-Statue bestellte (und dem Bildhauer damit den Verbleib in Rom ermöglichte), musste auf seine Skulptur sogar 25 Jahre warten.
Bertel Thorvaldsen: Maximilian I. (1835/1839); München, Wittelsbacher Platz |
Literaturhinweise
Bayerische Staatsgemäldesammlungen München (Hrsg.): Bayerische Staatsgemäldesammlungen. Neue Pinakothek. Katalog der Skulpturen – Band I: Die Sammlung Ludwigs I. Deutscher Kunstverlag, Berlin und München 2021, S. 297-307;
Birkedal Hartmann, Jörgen: Gesenktes Haupt und Emporblicken. Neue Beiträge zu Thorvaldsens Antikenrezeption. In: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 22 (1985), 209–234.
Winckelmann, Johann Joachim: Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Malerey und Bildhauer-Kunst. Dresden 1755;
Wünsche, Raimund: „Perikles“ sucht „Pheidias“. Ludwig I. und Thorvaldsen. In: Gerhard Bott/Heinz Spielmann (Hrsg.), Künstlerleben in Rom. Bertel Thorvaldsen (1770–1844. Der dänische Bildhauer und seine deutschen Freunde. Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 1991, S. 307-326.
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