Jakob Philipp Hackert: Der Vesuvausbruch am 12. Januar 1774 (1774); Kassel, Museumslandschaft Hessen Kassel (für die Großansicht einfach anklicken) |
Hackerts Ölgemälde Der Vesuvausbruch am 12. Januar 1774 entstand noch im gleichen Jahr 1774. Das eher kleine Format (70,5 x 90,5 cm) zeigt auf den ersten Blick eine klare Diagonalteilung der Leinwand: Die linke und obere Hälfte der quer-rechteckigen Leinwand leuchtet in klarem Nachtblau, während ihr Gegenpart nach rechts unten von einer schweren, schwarzbraunen Farbfläche ausgefüllt wird; ein grelles Orangerot grenzt die beiden Bildteile nochmals deutlich voneinander ab. Es handelt sich um eine nächtliche Nahansicht des inneren Vesuvkegels vom sogenannten Atrio del Cavallo aus, dem älteren äußeren Kraterrund des Vulkans, auf dessen hoch gelegener Gipfelspitze sich der neue Berg erhoben hatte.
Aus der Spitze des schwarzen Kegels, der die gesamte rechte Bildhälfte einnimmt, bricht eine kleine Lavafontäne hervor. Der aufsteigende Rauch nimmt den glutroten Widerschein auf, zieht nach links waagrecht ab und bildet einen farblich gedämpften, grau-orangen oberen Bildabschluss. Im Zentrum des Gemäldes öffnet sich ein Spalt an der linken Schrägseite des Berges: Ein Lavastrom beginnt hier den Hang in steilen Kaskaden hinabzufließen und verschwindet an der linken unteren Bildecke. Links hinter diesem Flankenausbruch wird durch die ihn begleitenden Dampfschwaden hindurch die felsige Begrenzung des äußeren Kraterrandes sichtbar.
Am unteren Bildrand zieht sich eine klar abgegrenzte Vordergrundzone entlang: Auf einem schmalen Felsplateau verteilt sich eine Gruppe überwiegend stehender männlicher Figuren. Die Gesellschaft ist den Berg heraufgekommen, um das Naturschauspiel von Nahem zu betrachten. Drei Rückenfiguren erscheinen in der linken unteren Ecke des Bildes besonders hervorgehoben. Ihre dunklen Silhouetten heben sich kontrastierend vom hinter ihnen fließenden, gelb glühenden Lavastrom ab. Durch sie wird der Blick, den Lava-„Fall“ hinauf, wieder in den Bildmittelgrund gelenkt, und nun nimmt man eine Entsprechung dieser Dreiergruppe – in verkleinertem Maßstab – an der Quelle des Stromes wahr. Weitere menschliche Gestalten sind etwas unterhalb am Hang des Berges zu erkennen, „und erst jetzt lassen sich die räumlichen Dimensionen des dargestellten Landschaftsausschnittes erahnen; die Personenstaffage fungiert als innerbildliche Maßstabsvorgabe“ (Keller 2006, S. 271).
Hackert präsentiert mit Hilfe der dargestellten Gesellschaft unterschiedliche emotionale und intellektuelle Reaktionen auf das Naturschauspiel. Die Gruppe ist gemischt: Sechs junge Herren in gepflegter Kleidung werden von mindestens acht Ciceroni begleitet, Bauern aus Neapels Umgebung, die sich den damaligen Italienreisenden als Berg-und Fremdenführer anboten. Ohne sie war eine Vesuvbesteigung nicht zu bewältigen gewesen, was im Bild auch verdeutlicht wird: Ein Cicerone reicht einem der Herren die Hand zur Sicherung, ein anderer trägt die Fackel; ein dritter steht mit seinem dicken Stock am äußersten Rand des Plateaus neben seinen beiden Schutzbefohlenen, die ganz in den Anblick des Naturspektakels versunken sind. Doch in der Gestik der elegant gekleideten Männer zeigt sich keinerlei Unsicherheit: Neugierig und gelassen nähern sie sich dem Lavastrom. Ein Herr in schwarzem Gehrock erklärt mit ausgetrecktem Arm seinen Begleitern die Naturerscheinung – er könnte ein Wissenschaftler sein.
Hackert wollte offensichtlich ein spektakuläres Naturphänomen und die geologischen Formationen wahrheitsgetreu und minuziös festhalten, darum geht es zuallererst. Die Nahsicht auf den Vulkan lässt darauf schließen, dass der Künstler tatsächlich vor Ort Skizzen von dem eindrucksvollen Flankenausbruch angefertigt hat. Auch die wenig differenzierte Behandlung der Bergflanke und des Lavagesteins spricht für eine authentische Naturwiedergabe: „Zu erklären wäre diese damit, dass Hackert eine real erlebte, nächtliche Beleuchtung wiedergeben wollte, die alle Konturen verschwimmen ließ, zumal im Kontrast mit der feurigen Lichtquelle des Glutstroms, der in kleinteiliger, bemühter Malarbeit gestaltet ist“ (Keller 2006, S. 272).
Bemerkenswert ist, dass Hackerts Gemälde weder eine ausgeprägte emotionale Begeisterung für das ästhetische Naturerlebnis zeigt noch Schrecken und Angst angesichts der Gefährlichkeit dieser Naturkraft. „Im Bild beraubt Hackert die Natur all ihrer Zerstörungsmacht“ (Keller 2006, S. 279). Sorgsam geleitet und kontrolliert fließt der Lavastrom als kleiner „Wasserfall“ im sicheren Bett den Hang hinab. Die Rauchwolken ziehen in die Ferne ab, in keiner Weise wird Schwefelgestank oder lästiger Aschestaub suggeriert. „Das Gipfelfeuerchen kann nur schwer die Erinnerung an die Zerstörung ganzer Ortschaften und Landstriche heraufbeschwören, die durch die Vesuvausbrüche dieser Jahre eigentlich ständig präsent gewesen sein müsste“ (Keller 2006, S. 280). Die Staffagefiguren des bühnenartigen Vordergrundes betrachten zwar interessiert, aber nüchtern und gelassen das Naturgeschehen. Darin spiegele sich, so Susanne Keller, die optimistische Überzeugung einer aufgeklärten Gesellschaft, die ungewöhnlichsten Naturerscheinungen rational erklären und damit domestizieren zu können.
Joseph Wright of Derby: An Eruption of Vesuvius, seen from Portici (um 1774/76); Pasadena (CA), The Huntington Library (für die Großansicht einfach anklicken) |
In Wrights Bild erscheint der Vesuv im mittleren Hintergrund, ein Lavastrom wälzt sich bis in die Ebenen der vorderen Bildzone, bedroht Ortschaften, zerstört also menschliche Zivilisation. Anders als auf Hackerts Vesuvbild erscheint keine Staffage, kein narratives Element im Bild. Der Mensch ist bei Wright nur mit thematisiert in Form der bedrohten landschaftlichen Nutzflächen oder der Ortschaft, die sich angesichts der überwältigenden Zerstörungsenergie des Vulkans fast noch ein Stück tiefer in die Senke zu ducken scheint. Dennoch dominiert bei der Bildwirkung das sinnliche Vergnügen an den grandiosen Licht- und Feuereffekten: „Der Vulkan wird bei Wright in der künstlerischen Umsetzung ästhetisch überhöht und daher trotz seiner impliziten Zerstörungsmacht als kunstvolles Spektakel rezipierbar“ (Keller 2006, S. 285).
Literaturhinweis
Keller, Susanne K.: Naturgewalt im Bild. Strategien visueller Naturaneignung in Kunst und Wissenschaft 1750-1830. VDG, Weimar 2006.