Michelangelo: Auferstandener Christus (1519-1521); Rom, Santa Maria sopra Minerva |
S. Maria sopra Minerva in Rom, davor Berninis Elefant |
Aber dabei blieb es nicht. Die Nacktheit Christi muss schon bald Widerspruch erregt haben. Spätestens ab 1588
bedeckte man die Blöße des Erlösers mit einer bronzenen Draperie; trotzdem schlug
ein Mönch im 17. Jahrhundert das Geschlechtsteil der Figur ab. 1735 und nochmals 1933 wurde das Lendentuch erneuert. Sämtliche Nachbildungen der Figur aus dem 16. Jahrhundert zeigen die Skulptur bereits „verhüllt“, als diese noch unberührt in Santa Maria
sopra Minerva stand – so etwa die Marmorkopie des italienischen Bildhauer Taddeo Landini (1561–1596), die er 1579 für die Kirche Santo Spirito in Florenz anfertigte.
Der Minerva-Christus ohne Bronzedraperie |
Darüber hinaus versah man den rechten Fuß von Michelangelos Auferstandenem Christus mit einem metallenen Schuh, um ihn vor den zahlreichen Küssen
römischer Verehrerinnen zu schützen. Die Römer waren traditionell abergläubisch:
„Während etwa die jungen Männer sich vom Berühren der Hoden des Pferdes der
Marc-Aurel-Statue auf dem Kapitol eine Steigerung ihrer Zeugungskraft
versprachen, glaubten die jungen Frauen, daß ihnen ein Kuß auf den rechten Fuß
des Christus bei der Partnersuche helfen würde. Später dann suchten die
schwangeren Frauen Jacopo Sansovinos Madonna
del Parto in S. Agostino auf, um für eine komplikationslose Niederkunft zu
beten. Skulptur gehörte also im 16. Jahrhundert in Rom in einem Maße zur
Alltagskultur, wie man es sich heute kaum mehr vorstellen kann“ (Zöllner 2007, S. 234/238).
... und mit Metallschuh |
Taddeo Landini: Auferstandener Christus (1579); Florenz, Santo Spirito |
Nicht den Leidenden zeigt Michelangelo, sondern den glorreich auferstandenen Christus. Entsprechend wird das Kreuz wie ein Wahrzeichen des Sieges und der Herrschaft über den Tod präsentiert. Der Auferstandene umschließt es mit seinen Armen und betont damit, dass er seinen Kreuzestod freiwillig auf sich genommen hat. „Auch die Haltung des Körpers, seine ,Serpentinata‘-Verschränkung mit dem großen Kreuz, von dessen Querbalken der Körper optisch eingespannt wird, zeigt die Untrennbarkeit von Figur und schicksalsträchtigem, aber auch heilsgeschichtlich bedeutsamem Attribut“ (Schwedes 2000, S. 357). Hinter der aufrecht stehenden Figur sinkt das Leichentuch Christi zu Boden und bedeckt ein baumstumpfartiges Gebilde – auch dies ein Hinweis auf die Auferstehung.
Wir sehen einen Christus in anmutiger, völlige Gelassenheit ausstrahlender Pose, „die sich nicht zuletzt darin ausdrückt, daß die Figur insgesamt von einem weichen Bewegungsfluß erfaßt ist“ (Poeschke 1992, S, 101). Sein ebenmäßig-fester, athletisch-wohlgeformter Leib verweist auf das antike Körperideal, das auch bei dieser sakralen Thematik für Michelangelo bestimmend bleibt. Ganz ähnlich hatte Michelangelos Zeitgenosse Albrecht Dürer nachdrücklich betont, dass Christus als schöner Mensch analog dem Apoll der Griechen zu gestalten sei (siehe meinen Post „Aus Apoll wird Adam“). Ausgesprochen unantik ist beim Minerva-Christus allerdings die von der Bauchzone ausgehende Drehung der Figur. Christoph Luitpold Frommel erinnern die gegenläufigen Bewegungen von Blick und Körper an Raffaels Galatea aus der römischen Villa Farnesina (1514). Dass der Betrachter tatsächlich keine antike Gottheit vor sich wähnen musste, zeigt auch das Haupt des Auferstandenen: Es ist von Michelangelo nach dem traditionellen Antlitz Christi gestaltet, dass sich der Legende nach dem Schweißtuch der Veronika eingeprägt hat und dann als Vera Icon („wahres Abbild“) überliefert wurde.
Raffael: Triumph der Galatea (1515); Rom, Villa Farnesina (für die Großansicht einfach anklicken) |
Für eine Deutung der Skulptur als zweiter Adam spreche, so Gerda S. Panofsky, dass Darstellungen des aus seinem Grab auffahrenden Christus ihn nie ohne sein Leichentuch zeigen. Allerdings scheint ihr das Tuch hinter dem Rücken Christi entgangen zu sein, denn sie erwähnt es in ihrem Aufsatz zu Michelangelos Skulptur mit keinem Wort. Auch steige Christus niemals mit seinem baumlangen Kreuz aus dem Sarkophag, sondern halte allenfalls eine Siegesfahne oder ein dünnes Prozessionskreuz in der Hand.
Michelangelos Statue war ursprünglich für eine enge, dunkle Nische konzipiert und angefertigt worden, aus der Christus regelrecht einen Schritt nach vorn macht, als trete er aus dem Grab und dem Schatten des Todes hervor. Das linke Bein Christi trägt die gesamte Last des Körpers. „The advanced right leg is in the act of pressing the front part of the foot into the ground; the heel is raised and the toes curl downward as if making an impression in the soft earth“ (Wallace 1997, S. 1276). Der ca. zehn Zentimeter hohe, rauhen Fels imitierende Stein direkt unter den Zehen Christi gehört nicht zur Originalskulptur; er wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt als separater Sockel hinzugefügt. Der Fußabdruck des Auferstandenen gehört zur Ikonografie mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Darstellungen der Himmelfahrt Christi, wie z. B. auf Albrecht Dürers Holzschnitt aus der Kleinen Passion zu sehen. William E. Wallace geht davon aus, dass Michelangelo mit der Bewegung des rechten Fußes, der sich in den Stein zu drücken scheint, auch die Himmelfahrt Jesu andeutet.
Auf der vom Betrachter aus linken Seite von Michelangelos Statue dominieren das Kreuz mit seinem breiten Balken und die Passionswerkzeuge, mit seinem Kopf wendet sich Christus jedoch davon ab und leitet so über zur anderen Seitenansicht, „in der sowohl die herkulische und unversehrte Leiblichkeit seines Körpers, der Triumph des Auferstandenen über den Tod, als auch die Macht und Stärke des Gottessohnes gefeiert werden“ (Schwedes 2000, S. 360). Michelangelos Skulptur ist deswegen ein Andachtsbild, das zum einen den sündhaften Menschen an den für ihn gestorbenen Sohn Gottes erinnert und somit zur Buße auffordert, zum anderen die Hoffnung des Gläubigen auf das durch Christi Opfertod für ihn errungene ewige Leben nach dem Tod bestärkt.
Michelangelos Statue war ursprünglich für eine enge, dunkle Nische konzipiert und angefertigt worden, aus der Christus regelrecht einen Schritt nach vorn macht, als trete er aus dem Grab und dem Schatten des Todes hervor. Das linke Bein Christi trägt die gesamte Last des Körpers. „The advanced right leg is in the act of pressing the front part of the foot into the ground; the heel is raised and the toes curl downward as if making an impression in the soft earth“ (Wallace 1997, S. 1276). Der ca. zehn Zentimeter hohe, rauhen Fels imitierende Stein direkt unter den Zehen Christi gehört nicht zur Originalskulptur; er wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt als separater Sockel hinzugefügt. Der Fußabdruck des Auferstandenen gehört zur Ikonografie mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Darstellungen der Himmelfahrt Christi, wie z. B. auf Albrecht Dürers Holzschnitt aus der Kleinen Passion zu sehen. William E. Wallace geht davon aus, dass Michelangelo mit der Bewegung des rechten Fußes, der sich in den Stein zu drücken scheint, auch die Himmelfahrt Jesu andeutet.
Albrecht Dürer: Himmelfahrt Christi (1510); Holzschnitt |
Michelangelo: Auferstandener Christus (1. Fassung); Bassano Romano, San Vincenzo Martire |
Deutlich sichtbar: die dunkle Ader im Gesicht von Michelangelos erster Version des Christus |
Die Zweitfassung der Skulptur wurde im Sommer 1521 von Florenz aus verschifft. Als die Statue endlich in Rom ankam und in S. Maria sopra Minerva aufgestellt werden sollte, mussten noch einige Details vollendet werden. Michelangelo betraute seinen Assistenten Pietro Urbano mit dieser Aufgabe – der jedoch pfuschte, und zwar am rechten Fuß, an der rechten Hand, an der Nase und am Bart, wie Sebastiano del Piombo dem Meister in einem Brief berichtete. Die Figur wurde dann von Federico Frizzi, einem weiteren Bildhauer, wieder „repariert“. Frizzi fertigte auch die Nische an, vor oder in der Michelangelos Auferstandener Christus zunächst ihren Platz fand.
Literaturhinweise
Baldriga, Irene: The first
version of Michelangelo’s Christ for S. Maria sopra Minerva. In: The Burlington
Magazine 142 (2000), S. 740-745;
Danesi Squarzina, Silvia: The Bassano ‛Christ the Redeemer’ in the Giustiniani collection. In: The Burlington Magazine 142 (2000), S. 746-751;
Danesi Squarzina, Silvia: The Risen Christ. In: Matthias Wivel (Hrsg.), Michelangelo & Sebastiano. National Gallery Company/Yale University Press, London 2017, S. 173-179;
Frommel, Christoph Luitpold. Die schwarze Ader im Gesicht des Christus. In: F.A.Z. vom 25. April 2009;
Frommel, Christoph Luitpold: Michelangelos „Auferstandener Christus“, seine erste Version, und der junge Bernini. In: artibus et historiae 62 (2010), S. 15-34;
Lotz, Wolfgang: Zu Michelangelos Christus in S. Maria sopra Minerva. In: Gert von der Osten und Georg Kauffmann (Hrsg.), Festschrift für Herbert von Einem zum 16. Februar 1965. Verlag Gebr. Mann, Berlin 1965, S. 143-150;
Panofsky, Gerda S.: Die Ikonographie von
Michelangelos ›Christus‹ in Santa Maria sopra Minerva in Rom. In: Münchner
Jahrbuch für Bildende Kunst 1988, S. 89-112;Danesi Squarzina, Silvia: The Bassano ‛Christ the Redeemer’ in the Giustiniani collection. In: The Burlington Magazine 142 (2000), S. 746-751;
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Frommel, Christoph Luitpold. Die schwarze Ader im Gesicht des Christus. In: F.A.Z. vom 25. April 2009;
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Lotz, Wolfgang: Zu Michelangelos Christus in S. Maria sopra Minerva. In: Gert von der Osten und Georg Kauffmann (Hrsg.), Festschrift für Herbert von Einem zum 16. Februar 1965. Verlag Gebr. Mann, Berlin 1965, S. 143-150;
Poeschke, Joachim: Die Skulptur der Renaissance in Italien. Band 2. Michelangelo und seine Zeit. Hirmer Verlag, München 1992, S. 100-102;
Prange, Peter: Von Feigenblättern und anderen Verhüllungen – Nachrichten aus Moralopolis. In: Peter Prange/Raimund Wünsche, Das Feige(n)blatt... Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek, München 2000, S. 65-119;
Schwedes, Kerstin: Wortlose Beredsamkeit. Evokatorische Bildsprache von Michelangelos Römischer Pietà und dem Minerva-Christus. In: Hartmut Laufhütte (Hrsg.), Künste und Natur in Diskursen der Frühen Neuzeit. Harrossowitz Verlag, Wiesbaden 2000, S. 355-372;
Wallace, William E.: Miscellanae Curiositae Michelangelae: A Steep Tariff, a Half Dozen Horses, and Yards of Taffeta. In: Renaissance Quarterly 47 (1994), S. 330-350;
Wallace, William E.: Michelangelo’s Risen Christ. In: The Sixteenth Century Journal 28 (1997), S. 1251-1280;
Wallace, William E.: Michelangelo. Skulptur – Malerei – Architektur. DuMont Buchverlag, Köln 1999;
Weber, Gerold: Bemerkungen zu Michelangelos Christus in S. Maria sopra Minerva. In: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte XXII (1969), S. 201-203;
Zöllner, Frank: Michelangelo. Das vollständige Werk. Taschen Verlag, Köln 2007;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 20. Februar 2024)
Schwedes, Kerstin: Wortlose Beredsamkeit. Evokatorische Bildsprache von Michelangelos Römischer Pietà und dem Minerva-Christus. In: Hartmut Laufhütte (Hrsg.), Künste und Natur in Diskursen der Frühen Neuzeit. Harrossowitz Verlag, Wiesbaden 2000, S. 355-372;
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Weber, Gerold: Bemerkungen zu Michelangelos Christus in S. Maria sopra Minerva. In: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte XXII (1969), S. 201-203;
Zöllner, Frank: Michelangelo. Das vollständige Werk. Taschen Verlag, Köln 2007;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 20. Februar 2024)
Vielen Dank für diesen aufschlussreichen Artikel.
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