Pieter Bruegel d.Ä.: Volkszählung zu Bethlehem (1566); Brüssel, Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique (für die Großansicht einfach anklicken) |
Das Wirtshaus vorne links ist für die
Volkszählung zum amtlichen Lokal umfunktioniert worden. Die Zählung selbst
scheint mit einer Steuererhebung verbunden, denn der schreibende Beamte nimmt
durch das Fenster Geld entgegen. An der Wirtshauswand hat man für diese Tage
als Zeichen der Obrigkeit ein Schild mit dem habsburgischen Doppeladler
angebracht – 1566 regiert Philipp II. über die Niederlande, aber der Aufstand
gegen die Spanier steht kurz bevor: 1567 beginnt der über 80 Jahre dauernde
Befreiungskrieg gegen die spanisch-habsburgische Herrschaft.
Für Steuern ist immer Saison |
Die Menschen drängen sich am „Schalter“ des
Steuereinnehmers. Vor dem
Wirtshaus werden Schweine geschlachtet, wohl auch deshalb, weil der Wirt angesichts der vielen wartenden Menschen, die sich registrieren lassen und ihre Steuern zahlen, mit einem ordentlichen Profit rechnet. Alle Gerätschaften, die bei der Schlachtung gebraucht werden, sind dargestellt: etwa das Beil, mit dem die Hälften getrennt werden, oder das Stroh, das zum späteren Sengen der Schweinehaut nötig ist. Ein Mann kniet auf
dem Hals eines Schweins, während eine Frau mit einer Pfanne das herauslaufende Schweineblut
auffängt. Zwei Kinder beobachten die beiden Erwachsenen; eines von ihnen bläst eine Schweinsblase auf, die normalerweise beim
Wurstmachen zum Einsatz kommt. Wie niederländisch Bruegels Bethlehem ist, zeigt sich
nirgends deutlicher: Den Juden ist der Verzehr von Schweinefleisch verboten,
hier aber gehört es ganz selbstverständlich zum Winter, in die
Vorweihnachtszeit.
So kennen wir es: Maria reitet auf einem Esel – davon steht allerdings nichts in der Bibel |
Zwischen einer Vielzahl von
typisch dörflichen Winterszenen, die vom Schlittschuhlaufen, Schneeballwerfen,
Schneefegen über das Weinzapfen und Würfeln bis zum
Kreiselspiel auf dem Eis reichen, nähern sich Maria und Joseph. Die werdende Mutter sitzt in einem weiten Mantel, den sie wärmend um sich geschlagen hat, und mit einem
Korb in der Hand auf einem Esel; Joseph führt den Esel und einen Ochsen zum Wirtshaus. Dort beeilen sich jedoch alle, die ihre Steuern entrichtet haben, in den warmen Gasthof zu gelangen, der schon jetzt voll ist. Und das bedeutet: Wenn Maria und Joseph an der Reihe sind, werden sie mit dem Stall vorlieb nehmen müssen, „denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge“, wie Lukas schreibt (Lukas 2,7; LUT). Hoffnungsvoll weist Joseph zwar noch auf das Wirtshaus, aber der Betrachter weiß bereits, dass er vergeblich um Unterkunft bitten wird.
Bruegel malt Maria und Joseph nicht größer als die anderen Figuren, er hebt sie weder durch Farbe, Kleidung oder Heiligenschein noch durch ihre Position im Bild hervor. Fast sieht es so aus, als habe Bruegel sie versteckt. Immerhin hat er den Zimmermann Joseph mit einer Säge versehen. Maria auf ihrem Esel erinnert in Kleidung und Haltung an spätgotische Mariendarstellungen und stellt – zusammen mit Ochs und Esel – den deutlichsten Bezug zur Weihnachtsgeschichte her. Sie unterscheidet sich von den übrigen buntfleckigen und lebhaften Menschen, die allesamt sehr beschäftigt und in Anspruch genommen sind: ob sie sich nun auf dem Eis vergnügen, herumstehen und schwatzen, Geld zählen, Bäume schleppen, an Schlitten oder Kindern zerren. Doch das wirklich Wichtige, das aus göttlicher Sicht Entscheidende nehmen die Menschen nicht wahr: die bevorstehende Geburt des Heilands.
Bruegel malt Maria und Joseph nicht größer als die anderen Figuren, er hebt sie weder durch Farbe, Kleidung oder Heiligenschein noch durch ihre Position im Bild hervor. Fast sieht es so aus, als habe Bruegel sie versteckt. Immerhin hat er den Zimmermann Joseph mit einer Säge versehen. Maria auf ihrem Esel erinnert in Kleidung und Haltung an spätgotische Mariendarstellungen und stellt – zusammen mit Ochs und Esel – den deutlichsten Bezug zur Weihnachtsgeschichte her. Sie unterscheidet sich von den übrigen buntfleckigen und lebhaften Menschen, die allesamt sehr beschäftigt und in Anspruch genommen sind: ob sie sich nun auf dem Eis vergnügen, herumstehen und schwatzen, Geld zählen, Bäume schleppen, an Schlitten oder Kindern zerren. Doch das wirklich Wichtige, das aus göttlicher Sicht Entscheidende nehmen die Menschen nicht wahr: die bevorstehende Geburt des Heilands.
Der Heiland kommt – leider sind alle wahnsinnig beschäftigt |
Blindheit, das Sichverschließen und
Verschlossensein des Menschen vor dem göttlichen Heil, ist das eigentliche
Thema dieses Bildes. Deswegen finden sich auf Bruegels Gemälde auch viele Figuren,
deren Sehvermögen deutlich eingeschränkt ist: Gesicht und Augen sind verdeckt
durch Mäntel, Hauben oder Helme. Sie tragen ihre Mützen wie Pferde die
Scheuklappen – eine symbolisch-bildliche Umsetzung des Bibelwortes: „Denn mit sehenden Augen sehen sie nicht“ (Matthäus 13,13; LUT). Selbstgefällig
bleibt die Wahrnehmung der Menschen auf das Alltägliche beschränkt. Für den
entscheidenden Augenblick, in dem Gott in die Menschheitsgeschichte eingreift,
indem er selbst Mensch wird, sind sie blind.
Bruegel hat die Volkszählung „aktualisiert“: Wie
damals, will der Maler sagen, erkennen die Menschen auch heute nicht, wie nah
ihnen das Heil ist; sie beachten es nicht und sind gefangen im Hier und Jetzt.
Genau in der Mitte des Bethlehem-Bildes steht ein Wagenrad. Es ist wohl von dem daneben stehenden Karren abgefallen oder abmontiert worden. Bruegel nutzte das
Zentrum seiner Bilder sehr oft, um einem Detail durch diesen herausgehobenen
Ort besonderes Gewicht zu verleihen. Das Rad ist Symbol des Weltlaufes, Zeichen
für Werden und Vergehen, für die vergehende Zeit. Mag die Geschichte auch
voranschreiten – das Treiben der Menschen ändert sich nicht wesentlich. Sie
haben nur ihre Beschäftigungen im Sinn, die heute wie morgen die gleichen sind.
Die Geburt Jesu dagegen ist der bedeutende Augenblick, der den unaufhörlich
gleichen Ablauf des Lebens und der Zeit durchbricht: „Die Zeit ist erfüllt“
(Markus 1,15; LUT). Eine neue Zeit ist angebrochen, nichts ist mehr, wie es war –
das gilt es zu begreifen.
Die Hütte mit dem Kreuz – Gottes Sohn tritt ganz unauffällig in diese Welt |
In den biblischen Berichten folgen auf die Volkszählung die Geburt Jesu, Anbetung der Könige und Hirten, bethlehemitischer Kindermord und Flucht nach Ägypten. Für diese Stationen finden sich Hinwise im Bild: Der Stall verweist auf Geburt und Anbetung, Joseph und Maria auf dem Esel erinnern an die Flucht nach Ägypten, die Soldaten im Hintergrund wie auch die unschuldig spielenden Kindern an den daran anschließenden Kindermord. Auch das Schlachten der Schweine könnte auf die Gefahr anspielen, die den Kindern droht: Ganz in der Nähe dieser Szene sehen wir eine Mutter und ihr Kind, die erschrocken auf die Schlachtung blicken und eine Ahnung von dem bevorstehenden Unheil vermitteln.
Das Schlachten der Schweine verweist auf das Grauen, das noch kommen wird |
Literaturhinweise
Mann, Heinz Herbert: Überlegungen zum Thema „Zeit“ bei
Pieter Bruegel d.Ä. In: Christian W. Thomsen/Hans Holländer (Hrsg.), Augenblick
und Zeitpunkt. Studien zur Zeitstruktur und Zeitmetaphorik in Kunst und
Wissenschaften.Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1984, S. 198-207;
Müller, Jürgen: Spuren im Schnee – Anmerkungen
zu zwei „Winterbildern“ Pieter Bruegels d.Ä. In: Kirsten Kramer/Jens Baumgarten
(Hrsg.), Visualisierung und kultureller Transfer. Verlag Königshausen und
Neumann, Würzburg 2009, S. 133-150;
Warncke, Carsten-Peter: Sprechende Bilder – sichtbare Worte. Das Bildverständnis in der frühen Neuzeit. Otto Harrassowitz, Wiesbaden 1987, S. 248-250;
Warncke, Carsten-Peter: Sprechende Bilder – sichtbare Worte. Das Bildverständnis in der frühen Neuzeit. Otto Harrassowitz, Wiesbaden 1987, S. 248-250;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984,
durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 2. April 2020)
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