Gallier Ludovisi, römische Marmorkopie eines hellenistischen Bronzeoriginals; Rom, Museo Nazionale Romano (für die Großansicht einfach anklicken) |
Von den lebensgroßen Gestalten dieses Denkmals
sind nur drei in zwei Marmorkopien des 1. Jahrhunderts n.Chr erhalten – sie
befinden sich beide in Rom. Das eine der beiden überlieferten Werke ist der berühmte Gallier Ludovisi: Die Skulpturengruppe zeigt einen Gallierhäuptling, der angesichts des verlorenen Kampfes
seine Frau getötet hat, damit sie nicht zur Siegesbeute wird, und sich nun
selbst, hochaufgerichtet, das Schwert von oben in die Brust stößt.
Sterbender Gallier, römische Marmorkopie eines hellenistischen Bronzeoriginals; Rom, Musei Capitolini (für die Großansicht einfach anklicken) |
Der Kampf ist verloren, Sklaverei keine Option |
Der Gallierhäuptling, der wohl im Zentrum eines
Haufens niedergesunkener Gallier stand, schreitet weit aus, wirft aber den
Kopf mit heftiger Bewegung zurück, als sähe er einen Verfolger, und sticht
sich, bevor jemand ihn erreichen und gefangennehmen kann, mit hochgerecktem
rechtem Arm das Schwert fast senkrecht von oben in die Halsgrube zwischen
Schulter und Schlüsselbein. Seine Frau hält er noch am linken Oberarm fest, während
sie mit zur Seite gesunkenem Kopf leblos an seinem ausschreitenden Bein zu
Boden gleitet. Ihre Wunde ist unter der linken Achsel sichtbar.
Blick- und Bewegungsachsen fahren nach allen Seiten auseinander. Um die Gruppe ganz zu erfassen, muss man sie umschreiten und von allen Seiten in Augenschein nehmen – ein Kennzeichen hellenistischer Plastik. Wo immer der Betrachter auch steht – stets wird etwas Wichtiges verdeckt oder zeigt sich nur von hinten. So bietet die Ansicht von links zunächst die Gestalt eines vorstürmenden Kämpfers mit zurückgewendetem, „heroisch“ aufblickendem Kopf, dessen rechter Arm angesichts herannahender Feinde zu einem gewaltigen Streich auszuholen scheint. „Folgt der Betrachter der Torsion des Körpers zur Vorderansicht hin, überwindet er die vom rechten Arm des Galliers (und seinem linken Bein) gebildete Blickbarriere, so tritt eine kunstvoll zugespitzte dramatische Peripetie ein“ (Kunze 2002, S. 42): Nicht das kraftvolle Voranstürmen ist jetzt zu sehen, sondern der Selbstmord des Barbaren-Kriegers. „Der Betrachter wird somit Zeuge eines sich scheinbar real vor seinen Augen fortentwickelnden dramatischen Ablaufs von bedrohlicher Attacke, verzweifelter Flucht, Akt des Selbstmordes und abschließendem Tod“ (Kunze 2002, S. 42).
Blick- und Bewegungsachsen fahren nach allen Seiten auseinander. Um die Gruppe ganz zu erfassen, muss man sie umschreiten und von allen Seiten in Augenschein nehmen – ein Kennzeichen hellenistischer Plastik. Wo immer der Betrachter auch steht – stets wird etwas Wichtiges verdeckt oder zeigt sich nur von hinten. So bietet die Ansicht von links zunächst die Gestalt eines vorstürmenden Kämpfers mit zurückgewendetem, „heroisch“ aufblickendem Kopf, dessen rechter Arm angesichts herannahender Feinde zu einem gewaltigen Streich auszuholen scheint. „Folgt der Betrachter der Torsion des Körpers zur Vorderansicht hin, überwindet er die vom rechten Arm des Galliers (und seinem linken Bein) gebildete Blickbarriere, so tritt eine kunstvoll zugespitzte dramatische Peripetie ein“ (Kunze 2002, S. 42): Nicht das kraftvolle Voranstürmen ist jetzt zu sehen, sondern der Selbstmord des Barbaren-Kriegers. „Der Betrachter wird somit Zeuge eines sich scheinbar real vor seinen Augen fortentwickelnden dramatischen Ablaufs von bedrohlicher Attacke, verzweifelter Flucht, Akt des Selbstmordes und abschließendem Tod“ (Kunze 2002, S. 42).
Schon die kleinste Standortänderung bietet ein verändertes Bild der Gruppe – deswegen muss man sie sich im Original anschauen! |
Die beiden gallischen Krieger zeigen den gleichen Typus: athletischer
Körperbau, schlank, muskulös, nackt (denn so zogen die Gallier in den Kampf)
und mit Schnurrbart. „Ihre struppigen, rötlichen Haare rieben sie mit Gips ein,
um sie weiß und bedrohlich starrend erscheinen zu lassen“ (Andreae 2001, S.
93). Die beiden männlichen Gestalten sind außerdem durch den vorn offenen
Halsring aus gedrehtem Golddraht, ihrem charakteristischen Schmuck, als Gallier
gekennzeichnet. Wegen des Schnurrbarts, der nach antiken Quellen bevorzugt von keltischen „Adligen“ getragen wurde, sind der Gallier Ludovisi und der Sterbende Gallier wohl als Stammesführer, als „Häuptlinge“ zu deuten. „Dass die Gallier so heroisch
dargestellt sind, lässt ihnen Gerechtigkeit widerfahren, hebt aber zugleich die Leistung der Sieger hervor, an deren Stelle der Betrachter nun selbst steht“ (Andreae 1998, S. 84).
Unter dem Sterbenden Gallier liegt ein zerbrochenes, eingerolltes Blashorn samt ovalem Kampfschild. Aus der antiken Literatur wissen wir, dass die Kelten ihre Angriffe nicht nur unter wildem Kriegsgesang führten, sondern auch unter dem durchdringenden Lärm unzähliger Trompeten und Hörner.
Der Realismus dieser auf Nahsicht angelegten hellenistischen Skulpturen gehört zum ästhetischen Programm einer Bildhauerkunst, die sich bewusst vom Schönheitsideal der griechischen Klassik aus dem 5. und 4. Jahrhundert absetzte. Den hellenistischen Bildhauern geht es in ihren Großplastiken „um den Eindruck von glaubhafter physischer Präsenz, um die sinnliche Suggestion von akuter Gegenwart und greifbarer Nähe, und es geht zugleich um den Versuch, den Betrachter emotional zu beteiligen, ihn zu verblüffen und zu spontanen Reaktionen herauszufordern“ (Kunze 2002, S. 233).
Unter dem Sterbenden Gallier liegt ein zerbrochenes, eingerolltes Blashorn samt ovalem Kampfschild. Aus der antiken Literatur wissen wir, dass die Kelten ihre Angriffe nicht nur unter wildem Kriegsgesang führten, sondern auch unter dem durchdringenden Lärm unzähliger Trompeten und Hörner.
Der Halsring, „torques“ genannt, weist den sterbenden Krieger als Gallier aus |
Fritz Behn: Sterbender Krieger (1919); Lübeck, Ehrenfriedhof |
Albert Bechtold: Kriegerdenkmal (1931); Bregenz, St. Gallus |
Duane Hanson: Vietnam Piece (1967); Duisburg, Lehmbruck Museum |
Literaturhinweise
Andreae, Bernhard: Schönheit des Realismus. Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1998, S. 80-86;
Andreae, Bernard: Skulptur des Hellenismus. Hirmer Verlag, München 2001;
Andreae, Bernard: Skulptur des Hellenismus. Hirmer Verlag, München 2001;
Kunze, Christian: Zum Greifen nah. Stilphänomene in der hellenistischen Skulptur und ihre
inhaltliche Interpretation. Biering & Bringmann, München 2002, S. 40-51;
Mandel, Ursula: Räumlichkeit und Bewegungserleben – Körperschicksale im Hochhellenismus (240–190 v.Chr.). In: Peter C. Bol (Hrsg.), Die Geschichte der antiken Bildhauerkunst III. Hellenistische Plastik. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2007, S. 167-173.
(zuletzt bearbeitet am 3. April 2024)
Mandel, Ursula: Räumlichkeit und Bewegungserleben – Körperschicksale im Hochhellenismus (240–190 v.Chr.). In: Peter C. Bol (Hrsg.), Die Geschichte der antiken Bildhauerkunst III. Hellenistische Plastik. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2007, S. 167-173.
(zuletzt bearbeitet am 3. April 2024)
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