Caravaggio: David mit dem Haupt Goliaths (1609/10); Rom, Galleria Borghese (für die Großansicht einfach anklicken) |
Ein
nachdenklicher junger Mann betrachtet sinnierend das bluttriefende Haupt, das
er soeben vom Rumpf getrennt hat. Es handelt sich um den biblischen David, der
Kopf ist der des riesenhaften Philister-Kriegers Goliath, den der junge
Schafhirte mit einem gezielten Steinwurf töten konnte (1. Samuel 17). Einem
Henker nach vollbrachter Hinrichtung gleich hält David den Kopf an den Haaren
empor. Es ist jedoch kein Publikum anwesend – außer dem Betrachter des Bildes.
Den Kopf ein wenig geneigt, den Blick gesenkt, lässt sich an Davis
Gesichtszügen kein Triumphgefühl ablesen. „Dieser David scheint den Auftrag im
Dienste seines Volkes ausgeführt zu haben, ohne den Sieg als eine persönliche
Genugtuung zu empfinden“ (Held 2007, S. 173).
Der
biblische Held steht als Dreiviertelfigur in leichter Schrägansicht vor einem
vollständig dunklen Hintergrund. Oben links ist schemenhaft ein Vorhang
angedeutet. David trägt eine ockerfarbene Hose und ein dünnes weißes Hemd, das
den nackten Oberkörper nur zur Hälfte bedeckt. In der rechten Hand hält der
Hirtenknabe das Schwert, mit dem er Goliath enthauptet hat – die Klinge blitzt
hell im Licht auf. Die Waffe und der ausgestreckte linke Arm sind parallel
ausgerichtet; Davids Körper scheint sich nach links zu bewegen, während sein
Kopf in Gegenrichtung auf das abgetrennte Haupt herabblickt.
Das
Gemälde entstand 1609 oder 1610 während des letzten Lebensjahres Caravaggios in
Neapel. Die Faszination des Bildes rührt zu einem großen Teil aus der
nachdrücklichen Präsenz des abgeschlagenen Hauptes. „Dem Betrachter
entgegengestreckt, stellt diese makabre Kopftrophäe die Figur Davids geradezu
in den Schatten“ (Lang 2001, S. 132). Der abgetrennte Kopf ist kein bloßes
Attribut des jugendlichen Helden, sondern das ausdrucksstärkste Bildelement.
Goliaths markantes Haupt nimmt die Protagonistenrolle vor David ein. Freilich
ist der Kopf des Riesen Goliath größer als der seines Bezwingers. Doch nicht
der Größenunterschied ist der Grund dafür, dass unsere Aufmerksamkeit vor allem
dem Haupt des Philisters gilt. Die schockierende Präsenz des abgeschlagenen Kopfes
rührt von den soeben brechenden, aber in diesem Moment noch lebenden Augen her,
wobei das eine voll geöffnet, das andere halb geschlossen ist. Diese Asymmetrie
gibt dem Gesicht einen entstellten Ausdruck. Die Stirnwunde dagegen ist ohne
jeden Horroreffekt relativ zurückhaltend gestaltet. Zwar trieft das Blut in
Strömen aus der dem Blick entzogenen Schnittfläche am Hals, aber über das
Gesicht läuft es nicht. Die zusammengezogene Stirn und der schmerzlich
geöffnete Mund sind Elemente, die auch an Caravaggios anderen abgeschlagenen
Köpfen zu finden sind.
Caravaggio: David mit dem Haupt Goliaths (1605); Wien, Kunsthistorisches Museum |
Caravaggio hatte das gleiche Motiv bereits 1605 dargestellt, allerdings in einem Querformat. David erscheint auch hier als ärmlich gekleideter, doch schöner Jüngling. Das seinen Oberkörper nur halb bedeckende Hemd erinnert an antike Kleidungsstücke; die Tasche, die er am Rücken trägt, weist ihn als Hirten aus, das Schwert Goliaths schultert er wie einen Hirtenstab. Die untersichtige Darstellung gibt zu verstehen, dass er zum Helden geworden ist. Mit Blick und Geste richten sich an eine für uns nicht sichtbare Person: Ist es König Saul selbst, dem er den Kopf des getöteten Feindes präsentiert? Wie das spätere Gemälde lebt das Bild vom Kontrast zwischen der Schönheit des Jünglings und der grausigen Siegestrophäe, aus der noch Blut fließt und die beinahe aus dem Bild zu ragen scheint.
Caravaggio: David mit dem Haupt des Goliath (1598/99); Madrid, Prado |
Und es gibt von Caravaggio noch eine weitere Fassung des Themas, die sich heute im Prado befindet und um 1598/99 entstanden sein dürfte. Die ursprüngliche Leinwand wurde allerdings an beiden Seiten beschnitten. Im Unterschied zu den späteren Fassungen in Wien und Rom hat Caravaggio hier, trotz des grausigen Bildmotivs, einen Moment relativer Ruhe dargestellt. David hat sein linkes Knie auf den mächtigen Rumpf Goliaths gesetzt und beugt sich über das bereits abgeschlagene Haupt, um die Haare des Philisters zusammenzubinden – an dieser Schnur wird er den Kopf dann davontragen. Der Betrachter blickt auf die Schulterpartie des bildeinwärts gelagerten, sich im Dunkel verlierenden Riesen, dessen im Tod erstarrte Hand am linken Bildrand hervorragt. Sein bärtiger Kopf ist uns in Gegenrichtung, mit offenem Mund und aufgerissenen Augen, zugewandt. Deutlich ist die tödliche Stirnwunde erkennbar.
Nach einer Restaurierung im Jahr 2023 ist nun wieder ein Bein Goliaths sichtbar, das sich hinter David zum oberen Leinwandabschluss erhebt, ebenso konnte der zur geballten Faust gehörige Arm wiederhergestellt werden. In vorderster Bildebene liegen, um auf den Hergang des Geschehens zu verweisen, einige Steine und das gewaltige Schwert Goliaths. Die bedächtige Ruhe, mit der David vorgeht, wirkt fast so, als sei ihm die ganze Tragweite und Bedeutung seiner heroischen Tat noch nicht bewusst.
Zurück zu dem Gemälde aus der Galleria Borghese: Der Schrecken, den die Miene des enthaupteten Goliaths einflößt, „beruht nicht zuletzt auf der Porträthaftigkeit des prägnanten Gesichts“ (Lang 2001, S. 133). Schon im 17. Jahrhundert hat man in diesem Kopf ein Selbstbildnis Caravaggios gesehen. Vergleiche mit Porträts und anderen Selbstdarstellungen des Künstlers bestätigen diese Überlieferung.
Ottavio Leoni: Porträt Caravaggios (um 1621) |
Die abgezogene Haut des Märtyrers Bartholomäus trägt die Gesichtszüge Michelangelos |
Auch im abgeschlagenen Haupt des Holofernes in der Judith-Episode wird ein Kryptoporträt Michelangelos vermutet |
Tizian: Salome mit dem Haupt des Täufers (um 1515); Rom, Galleria Doria Pamphilij |
Guido Reni: David mit dem Haupt Goliaths (1605/06); Paris, Louvre |
Benvenuto Cellini: Perseus (1545-1554); Florenz; Piazza della Signoria |
Caravaggios römischer David erinnert darüber hinaus an eine der berühmtesten Renaissance-Statuen überhaupt: nämlich an Benvenuto Cellinis Perseus in Florenz (siehe meinen Post „Cellinis Medusentöter“). Mit einer ähnlichen Geste wie Caravaggios David präsentiert uns der bronzene Perseus den abgeschlagenen Kopf der Medusa.
Valentin de Boulogne: David mit dem Haupt Goliaths (um 1615/16); Madrid, Museo Thyssen-Bornemisza |
Tanzio da Varallo: David mit dem Haupt Goliaths (1616); Varallo, Palazzo dei Musei |
Tanzio da Varallo: David mit dem Haupt Goliaths (um 1620); Varallo, Palazzo dei Musei |
Jusepe de Ribera: David mit dem Haupt Goliaths (um 1620); Privatbesitz |
Simon Vouet: David mit dem Haupt Goliaths (um 1621); Genua Palazzo Bianco |
Bull, Duncan: Tanzio da Varallo, David mit dem Haupt Goliaths. In: Gudrun Swoboda/Stefan Weppelmann, Caravaggio & Bernini. Entdeckung der Gefühle. Hannibal Publishing, Veurne 2019, S. 113;
Held, Jutta: Caravaggio. Politik und Martyrium der Körper. Reimer Verlag, Berlin 2007 (zweite Auflage);
Lang, Walther K.: Grausame Bilder. Sadismus in der neapolitanischen Malerei von Caravaggio bis Giordano. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2001;
Özel, Çiğdem:Valentin de Boulogne; David mit dem Haupt Goliaths. In: Gudrun Swoboda/Stefan Weppelmann, Caravaggio & Bernini. Entdeckung der Gefühle. Hannibal Publishing, Veurne 2019, S. 111;
Pichler, Wolfram: Michelangelo Merisi da Caravaggio, David mit dem Haupt Goliaths. In: Gudrun Swoboda/Stefan Weppelmann, Caravaggio & Bernini. Entdeckung der Gefühle. Hannibal Publishing, Veurne 2019, S. 107;
Schütze, Sebastian: Caravaggio. Das vollständige Werk. Taschen Verlag, Köln 2009, S. 76 und 283-284;
Stone, David M.: Self and Myth in Caravaggio’s David and Goliath. In: Genevieve Warwick (Hrsg.), Caravaggio. Realism, Rebellion, Reception. University of Delaware Press, Newark 2006, S. 36-46.
(zuletzt bearbeitet am 22. Juli 2024)
Ich bin per Zufall auf Ihren Blog gestoßen. Gerade als Kunstinteressierter (ohne Kunststudium) gibt es hier viel zu entdecken und viel zu lernen. Vielen Dank für Ihre Arbeit. Grüße aus Ulm
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