Albrecht Dürer: Die Heilige Dreifaltigkeit (1511); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
Figürliche Darstellungen des christlichen Dreieinigkeits-Dogmas, also der Einheit der drei göttlichen Personen Gottvater, Sohn und Heiliger Geist, sind vor allem ein Bildtypus des Spätmittelalters. Sie werden als Gnadenstuhl, Notgottes oder auch Trinitarische Pietà bezeichnet und gelten als die wichtigsten abendlichen Visualisierungen der Trinität. Gezeigt wird ein zumeist thronender Gottvater, der den Gekreuzigten bzw. den Schmerzensmann hält oder präsentiert; die Taube als Symbol des Heiligen Geistes ist Teil des Bildprogramms, hat aber keinen festen Ort in der Bildkomposition. Das Motiv selbst ist nicht auf eine bestimmte Textquelle zurückzuführen, sieht man einmal vom Johannes-Evangelium ab, wo Christus „der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist“ (1,18; LUT) genannt wird. Bis zum Ausgang des Barock greifen zahlreiche bedeutende Altarretabel diesen Bildtypus auf, auch im 19. Jahrhundert bleibt er aktuell, und bis heute wird er zur Illustration des Apostolikums bevorzugt.
Inhaltlich wird im Gnadenstuhl auf das Sühneopfer des Gottessohns und die durch sein Erlösungswerk erwirkte Gnade Gottes angespielt; hinzu kommt der Gedanke des den Tod überwindenden, triumphierenden Christus. Der Begriff selbst geht auf Martin Luther zurück, der die Vulgata-Formulierungen thronum gratiae (Thron der Gnade; Hebräerbrief 4,16) und propitiatorium (Sühnemittel, Gnadenspender; Hebräerbrief 9,5) mit „Gnadenstuhl“ übersetzte. Das Wort „Stuhl“ bezieht sich jedoch nicht auf den Thron Gottes, sondern auf das Kruzifix. Der neutestamentliche Hebräerbrief vergleicht das Kreuzesopfer Christi mit dem Blutopfer des Alten Testaments und das Kreuz mit dem Deckel der Bundeslade, dem Propitiatorium, auf das der Hohepriester das Blut des Opfertieres sprengte. Der Begriff Notgottes ist die volkstümliche Übersetzung der mittelalterlichen Bezeichnung agonia Domini. Er wird zwar auch für das Trinitäts-Bild verwendet, meint aber eigentlich die Todesangst Christi am Ölberg. Trinitarische Pietà nennt man die Variante, bei der Gottvater den Sohn analog zur Marien-Pietà auf dem Schoß hält.Albrecht Dürer: Landauer Altar (1511); Wien, Kunsthistorisches Museum |
Eine der bedeutsamsten Gnadenstuhl-Darstellungen, und zwar in Form der Trinitarischen Pietà, stammt von Albrecht Dürer (1571–1528). In seiner technischen Vollendung gehört sein Holzschnitt Die Heilige Dreifaltigkeit unbestritten zu den Höhepunkten im druckgrafischen Werk des Nürnberger Meisters. Der Gedanke, das Thema der Heiligen Dreifaltigkeit als Einblattholzschnitt auf den Markt zu bringen, kam Dürer während der Arbeit an einem Altarbild für Matthias Landauer. Dürer entschied sich bei diesem auch „Allerheiligenbild“ genannten Gemälde (datiert 1511) für ein älteres Gnadenstuhl-Schema, das Gottvater thronend auf einem Regenbogen zeigt: Er hält den am Kreuzbalken hängenden Christus in den ausgebreiteten Armen und präsentiert ihn feierlich. Zwei in goldene Gewänder gehüllte Engel halten die Enden des göttlichen Pluviale; andere Engel mit den Leidenswerkzeugen Christi begleiten die Szene. Über der Vater-Sohn-Gruppe schwebt in einer Gloriole die Taube des Heiligen Geistes.
Im Gegensatz zum Landauer Altar, auf dem Heilige und Gläubige der Trinität ihre Verehrung entgegenbringen, betont Dürers ebenfalls 1511entstandener Holzschnitt (39,5 x 28,5 cm) weit mehr das innige Verhältnis zwischen Vater und Sohn. Mit seinem intimen Charakter wendet er sich nicht wie das Allerheiligenbild an die christliche Gemeinde. Es spricht vielmehr den im privaten Raum Betenden an. Darauf verweisen der Ausschnittcharakter und die Konzeption der Darstellung, die die Nahsicht des Betrachters voraussetzen.
Dürer zeigt uns die Trauer des Vaters
Auf dem Holzschnitt schwebt Gottvater in pontifikalem Ornat mit dem Leichnam Jesu über den Wolken. Mit verhüllten Händen fasst er unter seine Achseln und trägt ihn empor; ergriffen blickt er auf den lediglich mit einem Lendentuch bekleideten Sohn nieder. Christus lehnt mit dem Gesäß gegen sein Knie lehnt, sein Haupt ist auf die Schulter des Vaters gesunken. Bekrönt wird die zentrale Bildgruppe von der Taube des Heiligen Geistes. Die vorderen Engel aus der Himmelsschar, die die Dreifaltigkeit rahmen, stützen Arm und Hand des Toten, heben die Enden des göttlichen Umhangs, als wollten sie ihn zurückschlagen und den corpus Christi vorweisen. Nur die Wundmale, die wie die Leidenswerkzeuge auf die Passion Jesu verweisen, beeinträchtigen die makellose Schönheit des Erlösers. Mit der Drehung seines Körper und der unruhigen Faltendraperie des Leichentuchs durchbricht Dürer die hierarchische und starre Symmetrie vieler Trinitätsdarstellungen, bei denen die Dreifaltigkeit zentriert in der Bildachse angeordnet wird (wie es auch auf seinem Landauer Altar der Fall ist). „Durch ihre abwechslungsreichen Haltungsmotive, gestischen und mimischen Äußerungen verlebendigt die prächtig gekleidete Himmelsschar die hoheitsvolle Szene“ (Doosry 2002, S. 368). Die Figuren stehen „geheimnisvoll schwebend vor einem düsteren Himmel, den milchigweiße Wolken und das elektrische Aufblitzen der Nimben erleuchten“ (Panofsky 1977, S. 186). Vom irdischen Bereich getrennt werden die himmlischen Gestalten durch einen Wolkensaum und vier Köpfe als Personifikationen der vier Windrichtungen– sie symbolisieren die weltumspannende Bedeutung von Jesu Opfertod.
Neu an der Bildauffassung Dürers ist zum einen der anatomisch durchgebildete Körper Christi, der erkennbar dem antiken Körperideal entspricht. Die Bewunderung heidnischer Körperästhetik stellte für den Renaissance-Künstler kein Problem dar; in dem Entwurf zu seinem Lehrbuch der Malerei forderte Dürer: „Dan zw gleicher weis, wy sy (die antiken Künstler) dy schönsten gestalt eines menschen haben zw gemessen jrem abgott Abblo (Apollo), also wollen wyr dy selb mos (Maß, Proportion) prawchen zw Crysto dem herren, der der schönste aller welt ist“ (Rupprich 1956, S. 104). Ebenso neu an Dürers Holzschnitt ist das innige Verhältnis von Vater und Sohn, das sich im unmittelbaren Nebeneinander der beiden Köpfe ausdrückt. Betont werden dabei vor allem Schmerz, Trauer und Erbarmen Gottvaters.Tintoretto: Kreuzabnahme (um 1550/60); Venedig, Dogenpalast |
El Greco: Gnadenstuhl in den Wolken (1577/79); Madrid, Prado |
Gerade diese Emotionalisierung des komplex-abstrakten Trinitäts-Dogmas inspirierte zahlreiche Nachahmungen. Denn Dürers vielbewunderter Holzschnitt wurde bereits zu dessen Lebzeiten aufgegriffen und vielfach verarbeitet. Bis ins späte 19. Jahrhundert ist das Blatt von nachfolgenden Künstlern in zahlreichen Grafiken, Gemälden, Skulpturengruppen und Reliefs rezipiert worden. So nutzten es etwa Jacopo Tintoretto (1518–1594) als Vorbild für seine Kreuzabnahme im Dogenpalast in Venedig (um 1550/60) und El Greco (1541–1614) für den Gnadenstuhl in den Wolken (1577/79; heute im Prado ausgestellt).
Glossar
Pluviale: ein vorne offener, ansonsten die ganze Gestalt umschließender liturgischer Umhang.
Literaturhinweise
Doosry, Yasmin: Die Heilige Dreifaltigkeit. In: Mende, Matthias u.a. (Hrsg.), Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band I: Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München 2000, S. 366-369;
Germanisches Nationalmuseum (Hrsg.): Dürer – 80 Meisterblätter. Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen aus der Sammlung Otto Schäfer. Prestel Verlag, München/London/New York 2000, S. 114;
Panofsky, Erwin: Das Leben und die Kunst Albrecht Dürers. Verlag Rogner & Bernhard, München 1977 (zuerst erschienen 1943), S. 186;
Preising, Dagmar u.a. (Hrsg.): Der Schmerz des Vaters? Die Trinitarische Pietà zwischen Gotik und Barock. Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2021, S. 48-51;
Rupprich, Hans (Hrsg.): Dürer. Schriftlicher Nachlaß. Band 1. Deutscher Verein für Kunstwissenschaft, Berlin 1956.
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